Lokalaugenschein

Die „Krone“ im Irak: Saddams langer Schatten

Ausland
03.02.2019 06:00

„Krone“-Reporter Gregor Brandl berichtet aus dem Irak: Nach dem Sieg über die IS-Krieger hilft Österreich in Krisenregionen, der Einfluss der Mullahs nimmt zu.

Wasserpfeifen dampfen, der Kaffee duftet nach Kardamom, und auf der Fassade Richtung Basar hängen Lampions. Auf dem Balkon des Lokals Machko neben der Zitadelle von Erbil herrscht Stimmung und Sprachengewirr ähnlich wie in Rick’s Café im Film „Casablanca“. Doch statt Humphrey Bogart schiebt sich ein anderer Amerikaner am Türsteher mit der Kalaschnikow vorbei. Ein Ex-Soldat, der nun eine Sicherheitsfirma leitet und mit Landsleuten verabredet ist. Am Nachbartisch spielt ein Ire von einer Hilfsorganisation mit Einheimischen Karten.

Land der zwei Gesichter
15 Jahre nach Saddams Sturz und 14 Monate nach dem Sieg der Irak-Streitkräfte über den IS zeigt das Zweistromland seine beiden Gesichter: hier das geschäftige und nach Normalität förmlich lechzende Erbil als Zentrum der Autonomieregion Kurdistan, dort, ein paar Kilometer hinter den Ölfeldern, liegt die Todeszone. Ein minenverseuchtes Trümmermeer, hinterlassen als gespenstisches Souvenir der islamistischen Terroristen. Doch so tief sich die Wunde auch ins Gedächtnis der Nation eingebrannt hat, die Narben können auch etwas Gutes haben - oder zumindest zur Abschreckung dienen.

Araber gegen Kurden, Sunniten versus Schiiten. „Wir müssen diese Konflikte hinter uns lassen, damit wir eine Zukunft haben“, meint ein Student an der Uni Dohuk. Gemeinsam mit seinem Kommilitonen Sarbust hat er eine interkonfessionelle Bibliothek gegründet. „Dafür brauchen wir keine Regierung“, sprühen sie vor Tatendrang.

Präsident Salih hat andere Sorgen
Der Pragmatiker muss gegen das Machtvakuum kämpfen, das seit Saddams Tod herrscht. Und gegen Einflüsse von außen. „Die Amerikaner haben im Irak militärisch gesiegt, aber politisch hat nun das iranische Mullah-Regime das Sagen“, analysiert der in Bagdad geborene Wiener Nahost-Experte Amer Albayati.

Österreichs Entwicklungshilfeagentur (ADA) unterstützt sorgfältig ausgewählte Projekte im Land. Damit auch Menschen eine Stimme haben, die sich sonst nicht artikulieren können: Alte, Behinderte. Oder Kinder wie die beiden Buben, die vor dem Café Machko neben dem Mann mit dem Maschinengewehr hocken und Lumpen tragen. Im Schatten der Zitadelle putzen sie Gästen um 500 Dinar, umgerechnet 35 Cent, die Schuhe. Damit sie sich am Ende des Tages eine Schüssel Reis leisten können. Irak - das Land der zwei Gesichter.

Terror bekämpfen, Migrationsdruck senken
Interview mit Clarisse Pásztory, Leiterin der EU-Vertretung in Erbil:

„Krone“: Wie verschlägt es eine Wienerin in den Irak?
Clarisse Pásztory: Nach dem Studium war ich als Diplomatin zunächst am Balkan tätig, dann unter anderem in Saudi-Arabien. Seit 2016 leite ich das Büro in Erbil.

Krisenmanagement gilt als Ihr Spezialgebiet. Wie gehen Sie an die Sache ran?
Ich bin neugierig und ehrlich. Ich mache keine leeren Versprechungen. So erwirbt man sich Respekt.

Wie ist aktuell das Verhältnis zwischen der Regierung in Bagdad und der kurdischen Autonomieregion?
Der Irak ist wie eine brasilianische Telenovela. Wenn man drei Monate weg ist und die täglichen Dramen ausklammert, wird man immer noch die Handlung verstehen. Die echten Probleme bleiben als roter Faden. Es gibt aber den Willen, zwischen Bagdad und Erbil die Herausforderungen zu lösen.

Welche Gefahr geht vom IS im Irak noch aus?
Der IS ist nicht geschlagen und bleibt gefährlich. Er übt nur keine territoriale Souveränität mehr aus. Ein Sicherheitsvakuum könnte schnell genutzt werden.

Warum engagiert sich die EU überhaupt im Irak?
Die EU wird oft als Super-NGO missverstanden - ein Irrglaube! Das Büro betreibt politische Interessenvertretung. Erstens gilt es, Terror zu bekämpfen, zweitens, Migrationsdruck zu senken, und drittens geht es, um Energiesicherheit, Stichwort Öl und Gas.

Was hat Österreich davon?
Das alles betrifft uns. Für die Vertriebenen hier Grundlagen zu schaffen, liegt in unserem ureigensten Interesse. Alle Leute, die bleiben, kommen nicht nach Österreich.

Zweistromland, Islam und Erdöl

  • Mit 38 Millionen Einwohnern gehört der Irak zu den größten Ländern Arabiens. Bagdad ist die Hauptstadt der Republik. 97 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch.
  • Die Wirtschaft basiert auf Ölexport.
  • Rund 75 Prozent der Bevölkerung sind Araber, 15 Prozent Kurden, fünf Prozent Turkmenen.
  • Das Zweistromland Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris war eine der frühesten Hochkulturen. 1921-1958 bestand das Königreich Irak. Bei einem Putsch wurde der König schließlich gestürzt.
  • Von 1979 bis 2003 wurde das Land von Diktator Saddam Hussein regiert. Der Irak führte Kriege gegen den Iran und Kuwait.
  • Nach der Invasion unter US-Führung und dem Sturz Saddams 2003 kam es zu Bürgerkrieg und Terror.
  • 2014 eroberten Islamisten Teile des Staatsgebiets. Im Dezember 2017 erklärte die Regierung den Krieg gegen den IS schließlich für beendet.

Gregor Brandl, Kronen Zeitung

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