ORF-Star nach Brüssel

Waren Sie immer ein Schwarzer, Herr Pirchner?

Politik
22.01.2019 06:00

Der ÖVP-Überraschungskandidat für die EU-Wahl, Publikumsliebling Wolfram Pirchner (60), spricht mit Conny Bischofberger über Stolz und Gänsehaut, sein rot-schwarzes Elternhaus und Stimmenfang zwischen Kurz und Karas.

Die ÖVP-Zentrale, in der vom Kugelschreiber bis zu den Servietten jetzt alles türkis ist, am Montagnachmittag: Punkt 14 Uhr präsentiert der Kanzler, flankiert von Othmar Karas und dem Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, seine Liste für die EU-Wahl.

Eine Stunde später sitzt die Nummer 6, Wolfram Pirchner, unter einem Kurz-Plakat, vor einem Tablett mit Topfentascherln, das weiß-grau-melierte Haar frech nach oben gegelt, bereit zum ersten Interview. Neben sich hat der ehemalige ORF-Moderator ein Datenblatt mit den wichtigsten Fakten zu Österreich und Europa liegen, das er aber nur benutzt, um klarzumachen: Mich könnt ihr nicht aufs Glatteis führen!

„Krone“: Herr Pirchner, hat die ÖVP für ihre Liste noch ein prominentes Gesicht gesucht?
Wolfram Pirchner: Welche Beweggründe ausschlaggebend waren, dass man mich gesucht und gefunden hat, sei den Damen und Herren der ÖVP überlassen. Ich habe jedenfalls Ja gesagt, aus tiefster Überzeugung.

Wie muss man sich das vorstellen? Ruft da eines Abends der Bundeskanzler an und fragt, ob man vielleicht nach Brüssel gehen möchte?
Das ist richtig formuliert. Es war Abend und ich hab‘ grad Gemüsewok gekocht, als Sebastian - wir kennen uns ja schon lange genug, um per Du zu sein - angerufen hat.

Haben Sie sich Bedenkzeit erbeten?
Beraten habe ich mich nur kurz mit meinen Kindern, den zwei vertrautesten Menschen, die ich habe. Da ich ein relativ entscheidungsfreudiger Mensch bin, war in der Früh alles klar.

Eugen Freund, Josef Broukal, Karin Resetarits, Theresia Zierler, Reinhard Jesionek: Den Ausgang dieser Polit-Karrieren kennt man. Warum glauben Sie, dass Sie als ORF-Quereinsteiger mehr Glück haben werden?
Da geht es nicht um Glück, sondern um eine Entscheidung. Ich kenne meine Begeisterungsfreude, ich wage mit bald 61 einen Neubeginn. Wenn du entflammt bis für eine Idee, für eine Bewegung, dann denkst du nicht daran, wie haben es die anderen gemacht? Sondern du schaust nur in die Zukunft. Und die sehe ich rosa, respektive türkis. (Lacht)

Eugen Freund ist bei seinem ersten Interview über diese Frage gestolpert: Wie viel beträgt das durchschnittliche Gehalt eines Arbeiters in Österreich?
Zehn Minuten nach Beginn unseres Gesprächs kommt also diese Frage. Ich kenne das Durchschnittsgehalt eines Arbeiters, es beträgt 2360 Euro brutto, und ich kenne auch den Preis für ein Viertelkilo Butter. Es würde mich aber auch nicht in die tiefste Depression stürzen, wenn ich auf eine der vielen Quereinsteiger-Fragen mal keine Antwort wüsste. (Grinst)

„Der schmähbegabte Pirchner wird vor allem bei den älteren Semestern Stimmen holen“, schrieb eine Zeitung. Können Sie das unterschreiben?
Was verstehen Sie unter schmähbegabt? Ich bin nicht der Thomas Gottschalk für Arme. Ich bin schlagfertig, weil ich authentisch bin. Und ja, ich sehe mich als jung gebliebenen Senior, 2030 wird die Generation 60 plus bereits 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dieses Selbstbewusstsein will ich mit entwickeln.

Es wird einen Vorzugsstimmen-Wahlkampf geben. Wollen Sie Vorzugsstimmen-Kaiser werden?
Vorzugsstimmen-Kaiser, interessanter Terminus. Aber ich bin nicht nur Stimmensammler, sondern ein Teamplayer. Ich hab‘ ja schon in meiner frühesten Jugend Fußball und Eishockey gespielt. Und der Othmar Karas ist für mich der Cristiano Ronaldo meiner politischen Lieblingsmannschaft. Ein Kapitän erster Klasse.

Wenn Othmar Karas der Kapitän ist, was ist dann Sebastian Kurz?
Wenn wir bei der Fußball-Metapher bleiben, dann wäre Sebastian der Präsident, der dem Team die Linie vorgibt.

An diese Linie hält sich der Kapitän aber nicht immer. Karas spricht sich in Sachfragen immer wieder offen gegen den Koalitionspartner, aber auch gegen die eigene Partei aus.
Beide Herren machen sich das bestimmt untereinander aus, sie brauchen keinen Kommentar von meiner Seite. Nur so viel: Thematische Auseinandersetzungen beleben die Diskussion. Man muss nicht immer einer Meinung sein.

Wie geht es Ihnen damit, dass Leute wie Vilimsky, der offen mit einem Ausstieg Österreichs aus der EU spekuliert, mit der ÖVP in der Regierung sitzen?
Ich höre mehr auf meine Parteifamilie als auf das, was in der FPÖ alles gesagt wird. Über den Stil der Mitbewerber mache ich mir weniger Gedanken.

Hatte Sebastian Kurz recht mit dem viel diskutierten Satz, dass es immer mehr Familien gebe, in denen in der Früh nur noch die Kinder aufstehen?
Meine von mir nach wie vor sehr geschätzte Ex-Frau unterrichtet in einem Gymnasium und berichtet mir, dass nicht selten Kinder mit einer Dose Red Bull in die Schule kommen. Das nehmen sie sich in der Früh aus dem Eiskasten, weil ihnen die Eltern, aus welchen Gründen auch immer, kein Frühstück machen.

Waren Sie eigentlich immer schon ein „Schwarzer“?
Ich bin im Heiligen Land Tirol aufgewachsen, quasi in einer politischen Koalition. Mein Vater war ein Ursozialist, meine Mutter hatte schwarzes Blut in ihren Adern. Das war eine respektvolle, lang andauernde, Nutzen stiftende Verbindung. Jeder hat seine Meinung vertreten. Und das ist es auch, was mir am Stil von Sebastian Kurz so gut gefällt. Schluss mit der Anschütterei und der Streiterei - aber nicht im Sinne einer gespielten Harmonie, sondern eines respektvollen Miteinanders. So habe ich es auch privat immer gehalten, da können Sie meine ehemaligen Kollegen fragen.

Also hat sich, was Ihre politische Einstellung betrifft, schlussendlich die Mutter durchgesetzt?
Ja, ich bin eigentlich seit meinem 18. Lebensjahr ein Schwarzer. Für meinen sozialistischen Vater war es im wahrsten Sinn des Wortes ein schwarzer Tag, als ich es ihm mitgeteilt habe.

Wie würden Sie in einem Satz Ihre Vision für Europa erklären?
Das „Wir-Gefühl“ intensivieren, noch mehr zusammenrücken, gerade in einer Welt, die immer unsicherer wird - schauen wir nur nach Russland, in die Ukraine, nach Frankreich - die Reformpolitik von Macron wird den Bach runtergehn - oder nach England. Wir müssen den Frieden und den Wohlstand erhalten. Und ich möchte ein Botschafter der EU in Österreich sein.

Wie sicher rechnen Sie mit dem Einzug ins EU-Parlament?
Ich rechne damit, dass unser breit und großartig aufgestelltes Team sechs Mandate holen wird. Ich denke nicht an mich, sondern an unser Team, an unseren Kapitän und vor allem an unseren Herrn Präsidenten. Ich bin wirklich stolz, dass ich von ihm gefragt wurde, und blicke mit großer Freude einem intensiven Wahlkampf entgegen.

Herr Pirchner, Sie haben Musikpädagogik studiert und spielen Klavier. Wir klingt für Sie Europa?
Wie Beethovens neunte Symphonie! Jedesmal, wenn ich sie höre, spüre ich diese große Euphorie. Dynamisch, herz- und seelenerfüllend. „Freude schöner Götterfunken“! Sehen Sie? Machen Sie ein Foto! Mir zieht es die Gänsehaut auf.

Mentalcoach und Dancing Star
Geboren am 21. April 1958 in Innsbruck. Studium der Anglistik und Musikpädagogik, schon als Student arbeitet er im ORF-Landesstudio Tirol mit. Zwischen 1981 und 2017 ist Pirchner abgesehen von zwei Jahren bei SAT.1 in Bayern beim ORF und wird zweimal „beliebtester Moderator“. 2012 nimmt er an der Tanzshow „Dancing Stars“ teil. 2018 kandidiert er für die ÖVP Niederösterreich. Der Mentalcoach, Lebensberater und Buchautor ist seit dreieinhalb Jahren „glücklich geschieden“ und hat zwei Kinder (Felix ist 26, Sophie 15).

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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