Ist er schuldfähig?

Duell der Gutachter im Prozess gegen Robert K.

Wien
19.12.2018 18:48

Nur Stimmen in seinem Kopf hätten sein Handeln dominiert, sagt Robert K. (16) am Mittwoch vor Gericht. Und die eingebildeten Gestalten, die wie Leichen in zerfetzten Kleidern aussahen, hätten Befehle erteilt. Auch beim Mord an der siebenjährigen Hadishat sei er eine Marionette an unsichtbaren Fäden gewesen. Doch Gutachter haben Zweifel, dass der Angeklagte zur Tatzeit geisteskrank war.

Von Rachedrohungen überschattet und deshalb unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen begann am Mittwoch der Prozess des Jahres. Der Angeklagte wurde mit kugelsicherer Weste in den Verhandlungssaal des Wiener Landesgerichts geführt. Angeblich soll ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt sein. Mit leiser Stimme antwortet Robert K. dann auf die Fragen des Richters. Sie klingt mechanisch, fast wie aus einem Computer, und er sagt: Ja, schuldig am Tod der kleinen Hadishat. Doch er schränkt schnell ein: Nicht er selbst, sondern dominante Stimmen in seinem Kopf hätten ihm befohlen: „Würg sie!“

„Die Stimmen haben es mir angeschafft“
Auch dass er auf das zierliche Mädchen, das sich nur zum Spielen in der Wohnung in Wien-Döbling aufhielt, einstechen sollte, sei nicht sein eigener Wille gewesen: „Die Stimmen haben es mir angeschafft. Dass ich die Leiche dann in den Müll werfe, war ebenfalls ein Befehl.“ - „Robert K. ist unzurechnungsfähig, er ist psychisch krank, schwer schizophren“, sagt deshalb Verteidigerin Liane Hirschbrich, die mit bulligem Bodyguard zum Prozess erschienen ist.

Richter Daniel Rechenmacher fragt genau nach: „Warum haben Sie in den ersten Einvernahmen nichts von den Stimmen erzählt?“ Der Angeklagte: „Die Stimmen haben es mir nicht erlaubt.“ Anfangs hatte Robert K. ja als Motiv angegeben: „Ich wollte wissen, wie das ist, wenn man jemanden tötet.“ Auch das schiebt der Jugendliche jetzt auf die Einbildungen, die sein kranker Geist produziert habe.

Welche Gestalten er denn gesehen habe, fragt der Richter weiter. Robert K.: „Da waren kleine Mädchen, die aussahen wie Leichen.“ Erst jetzt in der Zeit der Haft seien die Stimmen weniger geworden. Und er habe erkannt, dass vieles, was früher für ihn - eingebildete - Realität war, in Wirklichkeit nur Ausdruck einer schweren Geisteskrankheit war. So zum Beispiel seine früher feste Überzeugung, er habe eine enge Freundin namens Antonia. Dass es das Mädchen nicht gab, teilten ihm Polizisten mit. Der Richter abschließend: „Hören Sie jetzt auch Stimmen?“ - „Ja“, sagt Robert K., „sie sagen mir, sei ruhig, es ist nicht so schlimm.“

Schnippische Äußerungen
Schnell kommen die psychiatrischen Gutachter zu Wort. Vor allem Dozent Peter Hofmann ist überzeugt, dass der Angeklagte am Tag der Tat, also am 11. Mai dieses Jahres, noch genau wusste, was er tat. Dass er noch Herr seiner Sinne war. Gutachter Hofmann berichtet chronologisch von seinen Besuchen beim Täter. Und anfangs sei da von den Stimmen noch keine Rede gewesen. Vielmehr eher schnippische Äußerungen wie: „Mir tut der Tod von (Physik-Genie) Stephen Hawking viel mehr leid als der Tod des Mädchens.“

Erst nach und nach habe Robert K. in den Gesprächen mit dem Psychiater von den Einbildungen berichtet. Der Sachverständige führt aus, dass eine kindliche Schizophrenie, wie sie nun behauptet wird, andere Symptome zeige als beim Angeklagten: „Sprachstörungen oder totaler Leistungsabfall ist hier nicht festzustellen.“ Für den Gutachter steht aber fest, dass der Jugendliche jetzt geisteskrank ist: „Da waren die Zeit in der Einzelhaft und die Trennung von der Familie ausschlaggebend.“ Seine Schlussfolgerung: Zur Tatzeit litt Robert K. zwar an einer schweren Persönlichkeitsstörung, er wusste aber, was er tat. Psychologin Dorothea Stella-Kaiser unterstützt Hofmann: Auch bei ihren ersten Besuchen beim Angeklagten war von Halluzinationen noch keine Rede.

Gutachter widersprechen einander
Gegenteiliger Ansicht ist der Linzer Kinder- und Jugendpsychiater Werner Gerstl: Für ihn steht fest, dass Robert K. an einer selten vorkommenden frühkindlichen Schizophrenie leidet. Da gebe es so viele Hinweise, sagt der Gutachter. Die Schilderungen Robert K.s über die elf Gestalten, die sein Leben dominiert hätten, seien extrem detailliert. Hadishat, das tschetschenische Mädchen aus der Nachbarschaft, sei einfach „zur falschen Zeit am falschen Ort“ gewesen. Der Gewaltausbruch hätte jeden treffen können.

Den Prozess verfolgte auch die Mutter des Opfers, Zarema G.: Zuerst vermag sie kaum Fassung zu bewahren, als die Staatsanwältin die grausamen Details der Tat schildert. Dann aber wird sie wütend. Sie glaubt Robert K. kein Wort: „Wenn er derart geisteskrank gewesen wäre, dann hätte man das doch bemerken müssen. Die Lehrer, die Mitschüler, die Eltern - niemandem ist etwas aufgefallen.“

Geschworene am Zug
Um 18.15 Uhr zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Nach der Rechtsbelehrung durch den Richter müssen sie entscheiden, ob es sich bei der inkriminierten Bluttat um eine vorsätzliche Tötung gehandelt hat und ob der Bursch zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig und damit schuldfähig war. Falls die Geschworenen der Staatsanwaltschaft und dem von der Anklagebehörde nominierten psychiatrischen Sachverständigen Peter Hofmann folgen, wäre der Schüler wegen Mordes an Hadishat zu verurteilen. Zusätzlich wäre der Jugendliche aufgrund der von ihm ausgehenden, aus seiner geistig-seelischen Abartigkeit resultierenden Gefährlichkeit in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wo er auch nach Verbüßung der über ihn verhängten Strafe so lange angehalten werden könnte, bis er als geheilt gilt.

Sollten die acht Laienrichter dagegen dem vom Gericht zum Sachverständigen bestellten Psychiater Werner Gerstl folgen, wäre der Jugendliche ohne Ausspruch einer Strafe zeitlich unbefristet in eine geschlossene Anstalt einzuweisen. Der 16-Jährige wäre dann nicht als Mörder anzusehen.

Peter Grotter, Gabriela Gödel und Silvia Schober, Kronen Zeitung

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