Ein Jahr Türkis-Blau

Teil zwei: So gut schnitt die Bundesregierung ab

Österreich
18.12.2018 06:00

Am Montag hat die Koalition ihr Einjähriges gefeiert - zu diesem Anlass bewertete eine Runde aus namhaften Meinungsforschern und Politikexperten für die „Krone“ die Leistungen der Regierungsmitglieder im ersten Jahr Türkis-Blau - inklusive Durchschnittsnote. Im zweiten Teil geht es etwa um Kanzler Sebastian Kurz, Innenminister Herbert Kickl oder Infrastrukturminister Norbert Hofer.

Ex-Schüssel-Beraterin Heidi Glück, der SPÖ-nahe PR-Mann Josef Kalina, Ex-Ministerin sowie Meinungs- und Motivforscherin Sophie Karmasin und Politikberater Thomas Hofer zogen für die „Krone“ eine Bilanz des ersten Regierungsjahres.

„Kurz gibt vor, was in der Regierung passiert“
Karmasin erinnert sich ans Regieren mit Sebastian Kurz: „Da sagten viele: Ach, wenn er einmal Kanzler ist, wird er sich schwer tun. Aber das ist nicht passiert, er gibt vor, was in der Regierung passiert.“ Die Prestigeprojekte - Kassenfusion, Familienbonus, Mindestsicherung - wurden vom Kanzler stets selbst „verkauft“, neben ihm dürfen andere Regierungsmitglieder kaum strahlen. „Und die FPÖ“, sagt Glück, „lässt er leben.“

„Kurz-Festspiele mit FPÖ-Misstönen“
Die Ex-Schüssel-Beraterin sieht einen grundlegenden Unterschied zwischen ihrem Ex-Arbeitgeber und Kurz: „Schüssel scheute mit seiner Pensionsreform auch nicht vor Unpopulärem zurück.“ Kurz zeichne indes aus, dass er „ein gutes Gespür für verträgliche Dosis“ hat, was ihn laut Hofer vom französischen „Reform-Präsidenten“ Emmanuel Macron unterscheide: „Notfalls rudert man - wie bei der AUVA-Auflösung oder dem 12-Stunden-Tag - eben ein Stück zurück.“ Kalina: „Anders als Schüssel hat Kurz keine echte Reformagenda, die vielen wehtut.“ Der PR-Mann sieht in Kurz aber einen „herausragenden Kommunikator mit herausragenden Zustimmungswerten“. Hofer fasst Kurz’ erstes Kanzler-Jahr zusammen: „2018 sahen wir Kurz-Festspiele mit ein paar FPÖ-Misstönen.“ Note: 1,25

„Charmanter Auftritt, konfliktfreies Jahr“
Liebling der ÖVP-Kollegen, stabil in Vertrauensindizes, beliebt in Wirtschaftskreisen, fehlerlos und stets guter Laune: So nahm die Expertenrunde Verkehrsminister und FPÖ-Regierungskoordinator Norbert Hofer wahr. Glück beurteilt die Leistung des blauen Burgenländers wie folgt: „Die großen Umbesetzungen, die er beispielsweise in den ÖBB vornahm, gingen geräuschlos über die Bühne. Er ist der ,Nice-Guy‘ dieser Regierung, will sich mit Kontroversen nichts verbauen.“ Der Grund dafür, wie Namensvetter und Politikberater Hofer erklärt: „Alles ist ausgerichtet auf Projekt 2022, und damit meine ich nicht die Nationalratswahl.“ Der Minister will nämlich erneut für die Hofburg kandidieren.

Laut Kalina nützt Hofer sein Ressort als „blaues Wirtschaftsministerium“, dies erhöhe die Akzeptanz der FPÖ in diesen Kreisen. Neben Großprojekten, die kaum schnelle Erfolge ermöglichen - etwa dem Ausbau der E-Mobilität und des 5G-Netzes - punkte er mit Randthemen wie Tempo 140. Kurzum, analysiert Karmasin: „Ein charmater Auftritt und ein konfliktfreies Jahr.“ Note: 2

Gute Noten für den Bildungsminister
Heinz Faßmann hat es nicht immer leicht in seinem neuen Job, das gab er zuletzt relativ unverhohlen zu: So erklärte der Bildungsminister etwa, dass er den Diskurs in der Politik „unglaublich oberflächlich“ findet. Er vermisse Tiefe in Debatten - und bezeichnete seine eigenen Maßnahmen beim jüngst im Parlament beschlossenen Pädagogik-Paket (es bringt Deutschklassen sowie die Rückkehr von Ziffernnoten und Sitzenbleiben in der Volksschule) als „politisch“.

Kritisch sah Faßmann Kickls Aussage, Österreich sei kein Zuwanderungsland, und das Nein zum Migrationspakt. „Dass er de facto selbst sagt, sich nicht bei allen Entscheidungen wohlzufühlen, finde ich erfrischend ehrlich“, anerkennt Hofer. Glück zufolge vertritt er „die eigenständigste Linie in dieser Regierung“, zudem habe er die Bildungspolitik „etwas aus dem Ideologie-Debatteneck geholt“. Im Bildungsbereich sei er den Experten zufolge beliebt, mit Pädagogik-Paket und neuer Unifinanzierung ging auch etwas weiter. Die Folge: gute Noten für den Unterrichtsminister. Note: 2

Der blaue Turm in der Schlacht
Ex aequo mit Sozialministerin Hartinger-Klein schnitt er, der Umfragen zufolge vertrauensunwürdigste aller Minister, im Expertenurteil am schlechtesten ab: Innenminister Herbert Kickl. Die BVT-Affäre oder das Mail über unliebsame Medien sorgten international für Schlagzeilen und sind für Karmasin nur ein Vorgeschmack: „Kickl ist kein Wolf im Schafspelz, sondern ein Tiger im Wolfspelz. Die Regierung engt er auf Dauer ein.“

Laut Hofer „fährt Kickl schlichtweg sein Programm und ist der blaue Turm in der Schlacht.“ Trotz allem sitze er Glück zufolge fest im Sattel: „Ein anderer stünde nach so einem Jahr an der Kante, aber ohne ihn geht in der FPÖ nix.“ Zudem spreche er jene Blauen an, denen die Koalition zu harmonisch ist. Ein Mehr an Abschiebungen und Polizisten wird von der BVT-Affäre überlagert. Letzthin, so Kalina, ziehe er bewusst Kritik auf sich: „Das sind keine Fehler, die passieren, das ist direkte Zielgruppenansprache.“ Note: 4,25

Ohne Fehler und Profil
Mario Kunasek fiel - im Vergleich zu vorangegangenen Verteidigungsministern - kaum auf, darin ist die Expertenrunde einig. Das Riesenthema Eurofighter-Kauf wurde erst einmal vertagt, ansonsten blieben die großen Projekte 2018 laut Experten aus. Hofer: „Er agiert unauffällig, orientiert sich wohl schon etwas in seine steirische Heimat, wo er 2020 bei der Landtagswahl antreten wird.“

Der freiheitliche Unteroffizier im Ministerrang agiert laut Glück „defensiv, mit mehr Geld, im Grunde ohne Fehler, aber noch ohne Profil“. Kalina zufolge sei dies das Optimum: „Kunasek stellt sich als Mann der Truppe dar und gibt sich martialisch als Soldat. So punktet er bei der Truppe und jenen, denen das Bundesheer wichtig ist. Viel mehr ist als Verteidigungsminister in Österreich wohl nicht drin.“ Note: 3

„Sie holt das meiste heraus“
Die türkise Quereinsteigerin Margarethe Schramböck übernahm laut Hofer ein „amputiertes Ministerium“, wanderten doch die wichtigen Bereiche Energie und Tourismus ins Umweltressort. Ihren Schwerpunkt setzte sie daher vor allem auf den Bereich Digitales, da bewegt sich auch manches.

„Sie ist bemüht und angesichts ihrer Mittel sehr präsent, wenn man auch noch keine klare wirtschaftspolitische Linie erkennen kann“, sagt Karmasin. Laut Glück „holt Schramböck von all den Quereinsteigern wohl das meiste heraus“. Note: 2,25

„Weicht Kritikern sehr gut aus“
Seit der Nationalratswahl war Elisabeth Köstinger ÖVP-Generalsekretärin, Parlamentspräsidentin und letztlich Umweltministerin. „Doch sie war überall schnell eingearbeitet, Köstinger ist eine Alleskönnerin“, sagt Karmasin über die Türkise, die Gerüchten zufolge bald nach Brüssel wechseln könnte.

Kalina sieht in ihr „eine zentrale Figur der Koalition“. Dass klimapolitisch laut Experten wenig weitergeht - Stichwort Umweltprüfungen und Tempo 140 -, „wird gut weggeredet, sie weicht Kritikern sehr gut aus“. Note: 2

Keine Konflikte mit Kickl
Sie soll vor allem ein Gegengewicht zu Innenminister Herbert Kickl sein, diese Aufgabe erfüllt Karoline Edtstadler laut Kalina. Die Staatssekretärin kümmere sich um Antifaschismus-Aktionen, besuche oft Gedenkstätten. „Sie ist im Innenministerium ein guter Ausgleich, zudem trug sie keine Konflikte mit Kickl aus“.

Mit der Strafrechtsreform, die Edtstadler leitend ausarbeitet, bekam sie laut Glück „eine Sonderaufgabe“, auch wenn diese eher in die Justiz gehörte. „Für eine Staatssekretärin wirkt sie überqualifiziert und hat Potenzial für Höheres.“ Note: 2,75

Den ersten Teil dieser Bewertung durch Ex-Wolfgang-Schüssel-Beraterin Heidi Glück, den SPÖ-nahen PR-Experten Josef Kalina, Ex-Ministerin sowie Meinungs- und Motivforscherin Sophie Karmasin und Politikberater Thomas Hofer (u. a. über Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Familienministerin Juliane Bogner-Strauß oder Außenministerin Karin Kneissl) gibt es hier nachzulesen.

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