Kolumne „Harte Schule“

Susanne Wiesinger: Das Kopftuch aus 1001 Nacht

Österreich
14.12.2018 06:00

„Wie können Sie Jugendlichen vorschreiben, was sie anziehen dürfen?“, schleuderte mir eine Frau nach einer Podiumsdiskussion entgegen. Während dieser hatte ich mich als Befürworterin des Kopftuchverbots für sechs- bis 14-jährige Mädchen bekannt. Dies stieß bei einem überwiegend linken Publikum natürlich auf Ablehnung.

Da ich bereits seit Jahren über das Kopftuch diskutiere, meist auf verlorenem Posten, kenne ich die Positionen „meines“ linken Lagers. Was Feministinnen, Pädagogen, Sozialwissenschaftler und Psychologen dazu bewegt, sich vehement gegen ein Kopftuchverbot in der Pflichtschule auszusprechen, erschließt sich mir nicht. Einmal wird das Kopftuch als Zeichen der Emanzipation gesehen. Dann wieder meint man, es sei nur ein Kleidungsstück und habe mit Religion nichts zu tun. Manchmal gleitet man auch in die Märchenwelt von 1001 Nacht ab: der geheimnisvolle Orient mit seinen schönen Frauen unter dem Schleier.

Das wichtigste Motiv gegen das Kopftuchverbot begründet sich allerdings darin, dass die FPÖ dafür ist. Als einzige Maßnahme wird das Verbot die Probleme vieler muslimischer Mädchen jedoch nicht lösen. Dazu braucht es Schulung der Eltern und eine stärkere Einbindung liberaler Muslime.

Dass sich Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft sogar an Volksschulen gegen ein Verbot aussprechen, zeigt nur deren konservative Haltung. Wie mir ein islamischer Theologe bestätigte, gibt es keinen religiösen Grund für sechs- bis zehnjährige Mädchen, das Kopftuch zu tragen. Es schränkt kleine Mädchen stark in ihrer Bewegungsfreiheit ein. Darüber hinaus halte ich aber auch ein Verbot in der Schule der Zehn- bis 14-Jährigen für sinnvoll.

Ein islamischer Religionslehrer erklärte mir, dass im Sexualkundeunterricht das Schamgefühl der Kinder nicht verletzt werden dürfe. Themen wie Homosexualität und Empfängnisverhütung würden viele muslimische Jugendliche verunsichern. Wie aber steht es um das Schamgefühl eines Mädchens, das sich verhüllt, sobald es seine erste Periode hat? Es zeigt völlig offen: Ich bin jetzt geschlechtsreif. Ich bemerke oft, wie peinlich dies vielen Mädchen ist. Es hat zur Folge, dass sie sich noch mehr zurückziehen, als es pubertierende Mädchen ohnehin tun.

Vielleicht hilft es, sich intensiver mit der Realität muslimischer Mädchen auseinanderzusetzen! Mit jenen, die unter dem Kopftuch niemals frei sein können. Das Leben vieler muslimischer Schülerinnen hat nichts mit der Romantik aus 1001 Nacht zu tun. Es sind Mädchen, mit und ohne Kopftuch, die um ihre Unabhängigkeit ringen oder sich in ihr Schicksal ergeben.

Als die Schüler die Legende des Nikolaus gelesen hatten, diskutierten wir darüber, wie schlimm es für einen Vater war, seine Töchter nicht verheiraten zu können. Zum Glück gab Nikolaus ihm Gold. Unglaublich, wie aktuell diese Geschichte für viele meiner Schülerinnen ist. Darüber sollten wir reden!

Egal, ob wir für oder gegen ein Kopftuchverbot sind.

Susanne Wiesinger ist Lehrerin an einer Brennpunktschule in Wien-Favoriten und Autorin des Bestsellers „Kulturkampf im Klassenzimmer“, Edition QVV.

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