Obdachlos im Winter

Wenn ein Schlafplatz zur Überlebensfrage wird

Tirol
12.12.2018 15:00

Die Zahl der Obdachlosen ist in Tirol über die Jahre gestiegen. Für sie ist der Winter lebensgefährlich, wenn sie keinen warmen Platz zum Schlafen finden. Heuer wurde das Netz an Notschlafstellen auf mehrere Bezirke ausgeweitet. Die Bürgermeister sind froh über das Angebot. Sie berichten von offener und „versteckter Obdachlosigkeit“, die es in allen Landesteilen gebe.

Obdachlose sind in Innsbruck Teil des Stadtbildes. In Lienz, Schwaz, Kufstein oder Imst nimmt man sie nicht wahr. Doch sie sind da! Sie schlafen in Parks, am Ufer von Flüssen und Bächen, in leer stehenden Gebäuden. Oder sie finden für eine oder zwei Nächte bei Menschen Unterschlupf, die ihre Wohnungstüren öffnen.

Kufstein: „Wir planen auch Sozialarbeit“
Kufsteins Bürgermeister Martin Krumschnabel spricht von „versteckter Obdachlosigkeit“, die es auch in der Festungsstadt gebe. Sichtbar dürfte sie heuer werden. Ende November eröffneten die Tiroler Sozialen Dienste (TSD) des Landes in Kufstein erstmals eine Winter-Notschlafstelle mit 20 Plätzen. „Wir werden jetzt sehen, ob sie angenommen wird. Wir sind aber froh um das Angebot, das wir möglichst rasch auch um begleitende Sozialarbeit erweitern möchten“, fasst der Bürgermeister zusammen.

Imst: Herberge öffnet kommende Woche
So wie Krumschnabel denkt auch der Imster Stadtchef Stefan Weirather. Auch in seiner Stadt wird in diesem Winter erstmals eine Notschlafstelle eröffnet. Weirather: „Derzeit werden dafür von den TSD im Flüchtlingsheim im Zentrum der Stadt Plätze hergerichtet.“ Insgesamt werden in Imst 15 Betten zur Verfügung stehen. Kommenden Montag soll die Herberge ihre Pforten öffnen. Weirather: „Bisher hat sich die Gemeinde im Einzelfall darum bemüht, einen Platz zu finden. Für uns ist es eine Erleichterung, eine fixe Anlaufstelle zu haben.“

Schwaz: Pfarrer ergriff die Initiative
Klein, aber mit viel Engagement umgesetzt - das trifft auf jene drei Schlafplätze zu, die Pfarrer Rudolf Theurl und seine Helfer in St. Barbara in Schwaz heuer eingerichtet haben. Der Priester ergriff die Initiative, weil immer wieder Quartiersuchende an seine Tür klopfen. „Barmherzigkeit predigen allein ist zu wenig“, sagt der für seine Entschlossenheit bekannte Seelsorger.

Lienz: „Erfahrung zeigt, dass Angebot wichtig ist“
Wie die neuen Notschlafstellen in den Bezirken angenommen werden, ist noch nicht absehbar. Bereits Erfahrungen hat Lienz. Osttirol war die erste Region neben Innsbruck mit einer Winterherberge. „Die letzte Saison hat gezeigt, dass das Angebot dringend notwendig ist“, verweist Bürgermeisterin Elisabeth Blanik auf 336 Übernachtungen. Die meisten Notschlafstellen befinden sich nach wie vor in der Landeshauptstadt. Rotes Kreuz Innsbruck (100 Plätze) und TSD (25 Plätze) ergänzen im Winter die Ganzjahresschlafstellen Alexihaus und Städtische Herberge. Der Bedarf ist groß. Geplant ist außerdem eine eigene Einrichtung für Frauen und Kinder.

„Leider gibt es das heute nicht mehr“
Michael Hennermann (Verein für Obdachlose) über notwendige Winterquartiere und Obdachlose, die trotzdem keinen Unterschlupf finden.

Herr Hennermann, ist mit den neuen Notschlafstellen in den Bezirken der Bedarf gedeckt?
Wir sind froh, dass es nun auch dezentrale Angebote gibt. In Innsbruck ist Obdachlosigkeit sichtbar, in kleineren Städten ist sie oft versteckt. Doch auch dort stehen Menschen auf der Straße und wissen nicht, wo sie die nächste Nacht verbringen können.

Wie groß schätzen Sie den Kreis jener, die kein Dach über dem Kopf haben?
2017 haben wir die bislang letzte Erhebung durchgeführt. Damals hatten trotz Städtischer Herberge und Alexihaus (Anm.: Ganzjahresschlafstellen) 300 Personen keinen Platz. Zählt man die knapp 100 Plätze in den Innsbrucker Winterquartieren weg, stehen immer noch viele auf der Straße.

Wie kann man diese Menschen unterstützen? Und wie hilft man jenen, die nicht in eine der Notschlafstellen gehen wollen?
Das ist jedes Jahr eine große Herausforderung. Wir bieten zwar Anlaufstellen für den Tag an, in der Nacht verkriechen sich die Menschen aber oft an Orten, die besonders gefährlich sind. Zum Beispiel am Innufer: Dort finden Obdachlose zwar ihre Ruhe, aber dafür ist die Gefahr zu erfrieren besonders groß. Unsere Streetworker kennen die Plätze und achten darauf, die Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.

Nicht jeder Obdachlose hält es in einer Notschlafstelle aus. Oft sind psychische Probleme Grund dafür. Kann man diese Menschen überhaupt erreichen?
Früher wurden uns immer wieder einmal leer stehende Häuser zur Verfügung gestellt. Dort konnten wir für einen Winter kleine Einheiten - auch Einzelzimmer - anbieten. Für Menschen, die sich mit sozialen Kontakten schwer tun. Leider gibt es solche Angebote nicht mehr.

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