Ministerium reagiert

Erlass an Ankläger und Richter wegen “Sitten-Urteil”

Wien
26.01.2010 14:23
Das Justizministerium hat mit einem eindringlichen Schreiben auf das umstrittene Wiener Totschlag-Urteil reagiert, mit dem einem gebürtigen Türken, der seine Frau niedergestochen hatte, eine "allgemein begreifliche, heftige Gemütsbewegung" aufgrund seiner "Sittenvorstellungen" zugebilligt wurde. Der Erlass an Gerichte und Staatsanwaltschaften ändert jedoch nichts an dem Urteil, das letztendlich durch mehrere "unglückliche" juristische Konstellationen entstanden sein dürfte.

In einem mit 25. Jänner datierten, an sämtliche Oberlandesgerichte, Oberstaatsanwaltschaften und die Korruptionsstaatsanwaltschaft gerichteten Schreiben bekundet das Ministerium seine Rechtsmeinung zu dem Fall und kommt damit primär einer Forderung der Frauensprecherinnen von SPÖ und Grünen sowie weiterer Kritiker nach.

Man melde sich "aus gegebenem Anlass" und "unvorgreiflich der Rechtsauffassung der unabhängigen Gerichte" zur Auslegung der allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung im Totschlag-Paragrafen 76 Strafgesetzbuch zu Wort, heißt es in dem Schreiben von Christian Manquet, dem Abteilungsleiter für Straflegislative.

"Sowohl bei Mord (§ 75 StGB) als auch bei Totschlag (§ 76 StGB) handelt es sich um vorsätzliche Tötungsdelikte. Voraussetzung für das Vorliegen eines Totschlags anstelle eines Mordes ist, dass sich der Täter beim Totschlag durch eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung zur Tat hinreißen lässt. Bei der verlangten heftigen Gemütsbewegung handelt es sich um eine Tatfrage, bei der allgemeinen Begreiflichkeit um eine Rechtsfrage", führt der Abteilungsleiter in dem krone.at vorliegendem Schreiben aus.

"Ausländereigenschaft keine Begründung"
Zunächst wird festgehalten, "dass nach Lehre und Rechtsprechung weder die Ausländereigenschaft im Allgemeinen noch die Herkunft aus einem bestimmten Land für sich genommen den Grad der Heftigkeit einer Gemütsbewegung und die allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung zu begründen vermögen". Zur Begreiflichkeit bedürfe es neben den sonstigen Voraussetzungen "immer auch der Verständlichkeit aus österreichischer Sicht".

In diesem Sinne sei aber "eine allfällige allein durch die Ankündigung der Scheidung oder Trennung hervorgerufene heftige Gemütsbewegung des Täters unabhängig von seiner Herkunft für sich genommen nicht allgemein begreiflich", betont das Ministerium. Vielmehr würden Gewalthandlungen im Zusammenhang mit Scheidungs- oder Trennungsankündigungen "regelmäßig gegen eine allgemeine Begreiflichkeit einer heftigen Gemütsbewegung sprechen".

"Der Gesetzgeber wollte nur solche Gemütsbewegungen berücksichtigt wissen, die im Verhältnis zu ihrem Anlass allgemein, d.h. für einen Durchschnittsmenschen - als objektiver Maßstab - in dem Sinne verständlich sind, dass sich dieser vorstellen kann, auch er geriete unter den gegebenen besonderen Umständen in eine solche Gemütsverfassung", so das Ministerium.

Urteil durch "unglücklich" juristische Konstellationen
An dem Urteil, über das seit Wochen gestritten wird, ändert der Erlass des Justizministeriums nichts. Dem Ministerium ist es von Rechts wegen unmöglich und - aus gutem Grund - verboten, in ein Urteil einzugreifen. Der Prozess befindet sich allerdings noch im Berufungsverfahren, weil der anklagende Staatsanwalt die Freiheitsstrafe für den gebürtigen Türken näher am Höchstmaß von zehn Jahren sehen möchte.

Wenngleich die Sitten-Argumentation von Richter und Staatsanwalt in dem Fall auf das gängige Rechtsverständnis geradezu verstörend wirkt, so zeigt sich immer mehr, dass es durch eine Mehrzahl an "unglücklichen" juristischen Konstellationen dazu gekommen sein dürfte. In Justizkreisen heißt es, dass eine Anklage wegen versuchten Mordes in dem Fall nur bedingt Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Weder das Opfer noch der Sohn des Opfers, der mit seinem Einschreiten der Mutter vermutlich das Leben rettete, wollten vor Gericht aussagen. Dadurch sei das Risiko für den Staatsanwalt zu hoch gewesen, am Ende dann gar mit einer Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung "nach Hause gehen" zu müssen.

Erlass als Hilfsmittel für die tägliche Arbeit
Damit eine in der Öffentlichkeit derart fatal ankommende Argumentation trotzdem nicht mehr passiert, hat das Justizministerium die Präsidenten der Oberlandesgerichte und die Leiter der Oberstaatsanwaltschaften ersucht, den unmissverständlichen Erlass "allen in Strafsachen tätigen Richterinnen und Richtern, allen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten, allen Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärtern sowie allen Bezirksanwältinnen und Bezirksanwälten zur Kenntnis zu bringen".

Das Papier sei ein Hilfsmittel, "um den Mitarbeitern die tägliche Arbeit zu erleichtern", heißt es aus dem Justizministerium.

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