Von Mazda zu Chery

Designer Kevin Rice: China-Autos nicht Weltklasse

Motor
03.12.2018 19:19

Er ist ein fröhlicher Mensch, 54 Jahre alt und weiß, dass er nichts weiß: Kevin Rice ist seit zwei Monaten globaler Designchef der chinesischen Automarke Chery. „Wir erleben gerade eine der aufregendsten Zeiten in der Geschichte des Automobildesigns“, sagt er. „Die Dinge bewegen sich so schnell, dass selbst die besten Designer herausgefordert sind, Schritt zu halten, und versuchen, die Richtung vorherzusehen, in die das Automobildesign der Zukunft geht.“

(Bild: kmm)

Zu eben jenen besten Designern darf sich der Brite mit ausgezeichneten Deutschkenntnissen durchaus zählen. Im europäischen Designstudio von Mazda gab er dem MX-5, dem CX-3 und dem MX-5 RF eine Gestalt. Bei BMW zeichnete er die 1er- und 2er-Reihe und brachte den 3er GT in Form. Sein neuer Job ist ebenfalls in Deutschland angesiedelt. Im südhessischen Raunheim soll er das europäische Designzentrum der 1997 gegründeten Marke aufbauen, von hier aus die beiden weiteren Entwicklungszentren in China leiten.

„Der Standort ist phantastisch, das Rhein-Main-Gebiet ist schon immer eine automotive Region gewesen, es gibt hier eine lange Tradition und vorzüglich ausgebildete kreative Fachkräfte. Außerdem liegen wir nahe am Flughafen, also sehr verkehrsgünstig.“ Rice vermittelt Begeisterung, während wieder ein Jet in kaum 200 Meter Höhe über dem restaurierten, historischen Chery-Gebäude bei Ostwind lärmig zur Landung auf dem Rhein-Main-Airport ansetzt.

Aus Europa auch für China
Dass Chery den Einstieg in Europa erfolgreicher als andere Hersteller wie Landwind oder Brilliance schafft, davon ist er überzeugt. „Chery startet hier nicht wie andere mit dem Aufbau einer Vertriebs- und Marketing-Organisation sondern mit Forschungs-, Entwicklungs- und Designabteilungen. Wir werden in Raunheim nicht nur Autos für Europa entwickeln, sondern auch Produkte, die ausschließlich für den chinesischen Markt gedacht sind.“ Spätestens auf der IAA im kommenden Jahr will Rice erste Ergebnisse vorstellen.

„Wie Kia und Hyundai, nur günstiger“
Noch ist nicht sicher, ob das Automobile unter dem Namen Chery sind, die dann um Kundengunst buhlen. Vorstellbar sei auch der Start der Tochtermarke Exeed, die bereits ein veritables Konzeptfahrzeug im SUV-Format vorgestellt hat. Exeed ist die emotionalere Marke, soll aber nicht als Luxus-Sparte unter dem Chery-Dach entwickelt werden. „Wir wollen technologisch führend, aber keine Konkurrenz zur europäischen Oberklasse sein, vielleicht Richtung Kia und Hyundai, aber preislich günstiger. Elektronik wird Mechanik ablösen. Ziel ist es, vollkommene Konnektivität zu schaffen. Darin ist China heute schon führend“, erzählt der Designchef.

In China herrscht ein anderer Takt
Und China ist schnell. Bei einem Mobilitätsdienstleister, ähnlich wie Uber, sei es in China zu einem tödlichen Unfall, verursacht durch den Fahrer, gekommen, so Rice. Die Regierung habe den beiden Geschäftsführern eine Frist von 12 Stunden gesetzt, um ihre Software so umzugestalten, dass der Fahrgast künftig bereits vor Fahrtantritt alle Daten seines Chauffeurs, seine Ausbildung und Schadenquote, bei der Buchung übers Smartphone erhalten kann. All das bewerkstelligten die Mitarbeiter in dieser unglaublich kurzen Zeit. Das Unternehmen durfte weiterarbeiten.

Das zeige, wie flexibel China ist. Während die japanischen Autobauer für ihren Erfolg in Europa rund 20 Jahre gebraucht hätten, haben die Koreaner das in nur zehn Jahren geschafft. China, da ist sich Kevin Rice sicher, braucht dafür keine fünf Jahre. „Das liegt vor allem daran, dass sich das Automobildesign in China sehr schnell gewandelt hat. Früher war die Farbe Rot als kaiserliche Würde in vielen Autos zu entdecken, Gold stand für Glück. Das ist heute ganz anders. In Europa haben wir Jahre gerbraucht, um endlich auf die vielen Chromleisten zu verzichten. In China hat das keine sechs Monate gedauert.“ Chinesische Designer seien überaus kreativ, an der Hochschule Pforzheim, eine der renommiertesten Kaderschmieden der Gestalter, kämen die besten Studenten aus China, will Kevin Rice erfahren haben.

„Kanten im Blech haben keinen Sinn mehr“
Was wir vom neuen Chery-Design erwarten dürfen? „Klare Formen und Charakter“, verspricht Rice. Er sei kein Freund des Stylings, allzu expressive Gestaltung sei nicht sein Ding. Zu seinen Ikonen gehören der Käfer und der Jaguar E-Type. Das seien überaus gelungene Formen. Linien und Sicken verwirren seiner Ansicht nach nur. „Die Kanten im Blech sind früher ja nur dafür dagewesen, das Material aus Gewichts- und Kostengründen dünner zu machen und trotzdem seine Steifigkeit zu bewahren. Darauf können wir mit neuen Technologien längst verzichten.“

Und dennoch räumt der Herr der Chery-Formen dem Auto einen erheblichen Prestigefaktor ein. „Denken wir an die Tierwelt. Da sind die Männchen meisten farbenprächtiger und eindrucksvoller als die Weibchen, zum Beispiel bei den Vögeln oder etwa bei den Löwen. Bei Menschen ist das anders, deshalb ist für viele Männer das Auto eine Zierde und eine Art Weltanschauung“.

Elektroautos mit Auspuffblenden…
Wie das bei Elektroautos ist? Die bekommen wegen des Entfalls eines Kühlergrills eine bessere Aerodynamik, könnten aber durchaus auch mit einer dicken Auspuffblende verziert werden. Denn der Auspuff sei ein Ausdruck von Potenz, Form follows Fashion, heute folge die Form nicht mehr allein der Funktion sondern vielmehr der Mode. Vor allem bei Exeed werde es emotional aufgeladene Autos geben, die elektrisch angetrieben werden. Da sitze man in China ja an der Quelle, das Land sei bei der Produktion von Batteriezellen gut aufgestellt.

Keine leichte Aufgabe, nach den beiden fehlgeschlagenen Versuchen anderer Hersteller aus dem Reich der Mitte erfolgreich in Europa Fuß zu fassen. Der Ansatz erscheint schlüssig, erst müssen die Produkte stimmen, dann könne man über deren Verkauf nachdenken. In Russland hat Chery bereits mit den bisherigen Modellen einen Achtungserfolg erreichen können.

China-Autos „noch nicht Weltklasse“
Die westlichen Märkte sind jedoch anspruchsvoller. Daher laufen die Entwicklungsarbeiten in den beiden chinesischen Designstudios am Unternehmenssitz Wuhu sowie in Schanghai und gewiss auch bald in Raunheim auf Hochtouren. Das ist notwendig, denn last, but not least, bekennt der Brite in chinesischen Diensten, dass Autos aus China vielleicht noch nicht Weltklasse sind, aber zumindest schon nahe dran.

(ampnet)

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(Bild: kmm)



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