„Krone“-Interview

Hatebreed: „Sind von Paul McCartney inspiriert“

Musik
04.12.2018 07:00

Songtitel wie „Destroy Everything“ oder „Last Breath“ lassen keine Zweifel oben - bei den US-Metalcore-Urgesteinen Hatebreed ist man seit mittlerweile 25 Jahren nicht auf der sanften Seite des Klangs zuhause. Frontmann Jamey Jasta spricht mit uns ausführlich und detailreich über seine Erfahrungen als Journalist, wie er und die Band sich in einem Vierteljahrhundert verändert haben und aus welchem Grund der Hip-Hop heute den Markt dominiert, während Rock und Metal auf der Stelle zu treten scheinen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Jamey, du bist nicht nur Musiker und ehemaliger Host des MTV-Headbanger-Balls, sondern hast auch einen Podcast, in dem du Musiker zu unterschiedlichsten Themen befragst. Was war diesbezüglich dein interessantestes Erlebnis?
Jamey Jasta: Unlängst hatte ich Mike Muir von den Suicidal Tendencies in meiner Show und daraus hätte ich locker eine Drei-Stunden-Show machen können. Wir gingen tief ins Politische und Persönliche und er hat dazwischen sogar geweint. Er ist ein so offener und echter Mensch - genau diese Leute willst du. Der Hörer soll fühlen, dass er ein Teil der Konversation ist und den Moment direkt erlebt und dafür ist Mike perfekt. Hie und da hat er im Laufe seines Lebens auch mal gelogen, aber er ist kein Sturkopf. Wenn du ihm neue Beweise zu einem Thema bringst, ändert auch mal seine Meinung und gibt zu, dass er sich irrte. Das ist ein fast verlorenes Gut. Dasselbe gilt für Dave Lombardo. Kurz vor unserer letzten Tour hatte ich ein paar Episoden mit Rob Zombie, John 5 und Piggy D. - alle am gleichen Tag. Mit Piggy hatte ich 90 Minuten, mit den beiden anderen etwa eine Stunde. Wir gingen in die Tiefe und das war total genial. Ginger Fish, der Drummer, sagte uns ab, aber auch ihn werde ich einmal kriegen.

Wäre auch eine Person wie David Hasselhoff für dich interessant? Jemand, außerhalb des harten Musikbereichs?
Natürlich, das wäre grandios. Ich habe schon lange mitgekriegt, dass er im deutschsprachigen Raum extrem erfolgreich ist. Jeder, der sich in der Unterhaltungsindustrie einen Namen gemacht hat und das, so wie David, auch noch auf unterschiedlichsten Ebenen wie Musik, Film, Synchronisation etc., ist ein Held. So eine Karriere kannst du schon kaum fünf Jahre aufrechterhalten, bei ihm klappt es schon seit 35 Jahren. Schon ich wuchs mit ihm und „Knight Rider“ auf. Er hat sich immer wieder selbst neu erfunden und die Geschichte hinter seinem Erfolg ist herausragend.

Hast du als Journalist auch ein anderes Verständnis für diese Profession?
Nicht wirklich, denn ich sehe es beidseitig immer als Konservation. Viele Leute haben mich schon angeprangert, etwa bei Five Finger Death Punch. Wie könnte ich nur mit Zoltan über das Alkoholproblem von Ivan Moody sprechen? Ich bin kein Therapeut und auch kein Journalist - ich will einfach Geschichten hören. Ein großer Philosoph, ich weiß leider nicht mehr welcher, sagte einmal: „Große Menschen reden über Ideen, nicht über Ereignisse oder andere Menschen“. Darum geht es mir in meiner Sendung. Ich will einfach keine mediokren Gespräche führen und daran arbeite ich immer hart. Manche lassen sich von mir auch inspirieren oder nehmen mir was weg. Ich habe schon oft Ideen von mir auf Shirt-Designs oder in anderen Sendungen umgesetzt gesehen. Das ist aber okay, so läuft das eben. Die Rob-Zombie-Episode hat ein ganzes Stadion voller Menschen gehört. 80.000 Menschen haben die Sendung heruntergeladen, das ist ein Wahnsinn. Stell dir vor, so viele Menschen hören uns gerade sprechen - da hoffst du auch, dass sich jemand etwas für sich davon herausziehen kann. Brent Hinds von Mastodon hatte bei mir auch 100.000 Hörer und es gab viele Kontroversen, weil er Judas Priest anging und viel gegen Metal sagte. Man muss sich diese Sendung aber anhören und nicht immer einen Satz herauspicken. Wir verkaufen Merchandise von unseren Sendungen und wollen damit auch gegen diese „Alles gratis“-Generation ankämpfen. Man muss heute kreativ sein und trotzdem seine Rechnungen bezahlen können.

Hattest du auch Gesprächspartner, die du nicht geknackt hast? Die dir einfach die Möglichkeit eines persönlichen Zugangs verweigerten?
Natürlich, das passiert dir immer wieder. Manchmal hast du einfach zu wenig Zeit, wenn du jemanden nicht gut kennst oder man nicht so schnell durchdringt. Mit Scorpions-Gitarrist Rudolf Schenker etwa war es schwer. Ich war schon immer Fan, aber wusste nicht so viel über ihn und sein Tourmanager war an diesem Tag etwas gestresst, weil sie in Las Vegas ein dichtes Programm hatten. Er war aber großartig und hat sich geöffnet. Normalerweise gibt er maximal 20-Minuten-Interviews, aber ich hatte ihn für volle 45 Minuten, bettelte immer wieder nach mehr. Leider haben nicht viele Menschen hingehört, aber die Hatebreed-Fans scheren sich wohl weniger um die Scorpions. Es hat aber mich interessiert, denn er ist ein großer Gitarrist. Dass die Sponsoren nicht so glücklich waren, damit musste ich leben. Buzz Osborne von den Melvins war auch eine Stunde bei mir, aber mit schlechter Laune. Die Leute waren etwas irritiert von dem Gespräch, aber er klingt nun einmal so. Er klingt immer etwas verwirrt. (lacht) Die Fans wollten etwas über Courtney Love wissen, deshalb fragte ich, aber er wollte nichts dazu sagen. Das ist zu respektieren.

Kommen wir zu deiner Band - Hatebreed sind nicht nur eine der größten Bands im Metalcore-Genre, sondern auch eine, die im Prinzip eine ganze Generation von jungen Menschen durch ihr Leben begleitete. Wie kam es deiner Meinung nach zu diesem so persönlichen Zugang?
Wir haben darüber erst unlängst im Tourbus geredet. Wir kommen aus einer Ära, in der sich Bands immer stärker von den Fans und der Realität entfernten. Egal ob im Hardcore, Punkrock, Death- oder Black Metal - es gab überall Beispiele von Bands, die falsche Schritte taten und sich von ihren Fans lösten. Für deinen Kreativprozess und deine Freiheitsliebe ist das vielleicht gut, aber dir werden nur wenige Fans treu folgen. Hatebreed war nie eine Band, die derartige Risiken auf sich genommen hat. Wir blieben bei unserer Formel. Ich habe mit Mike Muir darüber geredet, denn auch AC/DC, die Ramones oder anfangs Nirvana blieben eher auf der Sicherheitsebene. Es geht auch um die Songs an sich. Die Musik kann grandios sein, das müssen aber auch die Texte. Du musst eine Verbindung zu den Fans finden.

Viele Leute fühlten sich durch Hatebreed-Texte immer verstanden. Ihr wart für sie quasi ein musikalisches Ventil.
Das Gefühl muss stimmen. Es ist immer wie ein Foto aus der jeweiligen Lebensphase. Wenn uns Leute bereits seit 1997 folgen, dann sollen sie sich auch heute noch bei uns wohlfühlen. Ich fühle mich heute natürlich ganz anders als damals, als ich 15 oder 20 war. Ich habe mich verändert, aber ich will keinen, der heute 17 ist, vor den Kopf stoßen, sondern nehme diese alten Songs immer noch ernst und spiele sie gerne. Wir haben auch niemals ein Jahr pausiert oder sind von der Bildfläche verschwunden. Es lag aber nicht daran, dass wir das Geld brauchten, wir hatten einfach eine andere Karrierestrategie.

Warst du in jungen Jahren, wie viele andere Musiker, eher egogetrieben und hast das Teamwork und die Gemeinschaftlichkeit erst über die Jahre erlernt?
Da ist schon was dran. Ich hatte aber immer die Hoffnung, dass Hardcore und Metal den Weg des Hip-Hop einschlagen würden. Dass 100 verschiedene Musiker genauso viele Songs kreieren könnten und die Welt beherrschen. So lief es aber nicht, denn der Hip-Hop hat gewonnen. Ich bin ungefähr im selben Alter von Lil‘ Wayne und er ist immer noch relevant, größer als je zuvor und verkauft fünf bis zehn Millionen Alben. Wir haben dieses Modell der Mixtapes nie geschafft, das war ein Fehler. In unserer Zunft haben wir uns zu stark nach den Managern und Labels gerichtet. Ich will sie jetzt nicht beleidigen, aber sie sind sehr kontrollbasiert und irgendwie wie eine Helikoptermutter. Sie wollen die Karrieren ihrer Bands fokussiert und gleich halten. Würde ich Tom Araya für einen Hatebreed-Song kriegen, würde ich ihn sofort bezahlen - er verdient es ja auch. So leicht ist das aber leider nicht, denn die Labels müssen sich erst einmal einigen und genau da war der Hip-Hop klüger. Sie haben sich emanzipiert, drehten ihre Filme und erschufen ihre eigene Mode. Wenn du aber von der Gnade deines Labels abhängig bist, dann kannst du noch so viele Songs fertig haben, du wirst nie entscheiden, wann sie erscheinen. Der Hip-Hopper haut einfach sein Mixtape raus - wann immer er das möchte. So etwas kann deine Karriere über Nacht verändern. Viele haben plötzlich zwei Millionen Facebook-Fans und sind im Internet in aller Munde. Das steigert sich mit jedem Mixtape und ich hoffe, dass das der nächsten Generation an Metal- und Hardcore-Bands gelingt. Mit meinem Jasta-Projekt konnte ich mich etwas emanzipieren und spürte zumindest einen Hauch dessen, was mir vorschwebt. Vielleicht kann ich zumindest dort noch etwas in die Richtung forcieren, ohne dass ich mich den Mechanismen eines Labels beugen muss.

Hip-Hop-Künstler kennen auch seltener Stilgrenzen. Sie kooperieren viel öfter mit Musikern aus anderen Genres, was bei Metallern nur selten der Fall ist. Ist das die Angst des Musikers vor dem Klischee des engstirnigen Fans?
Das hat viel mit Angst zu tun. Die Angst gab es immer in der Unterhaltungsindustrie, weil Leute wie ich, die in einem sehr jungen Alter schon Ruhm und etwas Geld hatten, schnell die Bodenhaftung verlieren. Es ist gefährlich, weil sich schnell alles ändert. Als ich dann aber begann, mit anderen Künstlern, die mich selbst respektieren, zu arbeiten, war das sehr prägend. Songs mit Napalm Death, Sepultura oder Ill Nino zu machen, hat mich für alles geöffnet. Ich hatte Fans in all diesen Bereichen und ich würde es heute nicht anders machen. Wahrscheinlich würde ich noch weiter austreiben und mich viel mehr in die „Randbezirke der Musik“ begeben, niemals auf die Engstirnigen hören. Mit der Kooperation mit Five Finger Death Punch habe ich auf einen Schlag 4.000 mehr Abos auf Instagram bekommen, weil sich Leute für Hatebreed interessierten, die noch nie von uns hörten. Wer uns nicht mag, der soll uns einfach nicht hören, so einfach ist das. Ich will mich immer weiterentwickeln und mich nicht in eine Ecke drängen lassen.

Auch da ist es in der Realität nicht immer leicht, denn ältere und bereits längst etablierte Bands bringen oft nicht viel Respekt für jüngere, aufstrebende Künstler auf.
Ich höre unzählige Interviews, in denen alte Musiker verleugnen, dass sie keine neuen Bands hören. Ich denke mir dann immer, verschwindet doch bitte mit diesem peinlichen Versuch, cool sein zu wollen. Es ist doch viel cooler, Neues zu hören und sich weiterzubilden. Wenn du mich nach neuen Hardcore-Bands fragst, dann komme ich auch mit Code Orange, Stick To Your Guns oder Hundreth an. Letztere experimentieren zum Beispiel hervorragend, weil sie etwas Neues erschaffen wollen. Sie gehen Risiken ein, weil sie etwas nicht Dagewesenes erschaffen wollen. Als älterer Musiker ist es aber auch eine Aufgabe, die Szene zu pushen.

Also nicht den Gene-Simmons-Weg einschlagen, Rock als tot zu erachten und die Scheuklappen hochfahren?
Richtig. Oder auch Kerry King. Fiver-Finger-Death-Punch-Bassist Chris Kael fragte ihn danach und er meinte nur, dass er nichts nach 1988 hört. Das ist einfach Bullshit. Wir waren mit ihm auf Tour und er zog sich Chimaira, Killswitch Engage oder Machine Head rein. Für manche Künstler hat das wohl mit Coolness und Image zu tun, aber es stimmt oft einfach nicht. (lacht) Kerry ist ein netter Kerl und hat uns immer sehr stark unterstützt, über all die Jahre. Mit meiner anderen Band Kingdom Of Sorrow durfte ich Shows von Slayer und Anthrax in Australien eröffnen. Er kam auch zu meinem Podcast und war immer toll zu mir, aber wenn er so etwas verzapft, dann ist das schlichtweg gelogen.

Code Orange sind ein gutes Stichwort, weil sie Integrität und Authentizität des Hardcore fast bis zum Exzess leben. Vermisst du diese Einstellung in der modernen Hardcore-Welt?
Das ist schwer zu sagen. Heute ist alles so anders als früher. Eine Formel kann in einem bestimmten Land super funktionieren, in einem anderen überhaupt nicht. Wenn du dich von Bands beeinflussen lässt und einen Weg dahinter findest, der dir trotzdem eine Identität sichert, bist du am richtigen Weg. Die bloßen Kopisten, die es auch gibt, haben es heute schwer, weil es einfach schon zu viel gibt. Es kommt immer darauf an, woher du kommst und von welchen Bands du als Teenager beeinflusst warst. Auch ein Maler, Schauspieler, Videogamer oder Bäcker wird sich von seinen Helden inspirieren lassen. Wenn jemand einen Schuss mehr Passion hat, wird er normalerweise immer erfolgreicher sein. Du musst einfach total dahinter sein und deine Passion leben. Es gibt aber einige Bands, wo es tatsächlich mehr um die Kleidung, die Frisur oder den richtigen Eyeliner geht. Das ist auch okay, aber es ist nicht meine Welt. Ich kann mich mehr mit den Typen identifizieren, die greifbar sind und mit denen man auch auf ein Bier gehen kann. Als ich älter wurde, verstand ich auch Bands wie Van Halen, Skid Row oder Pantera, die vielleicht nicht so einfach greifbar sind, oder mit denen ich nichts gemeinsam hatte. Ich schätze aber deren Sound, das musikalische Handwerk und die Kraft des Klangs. Ich sehe heute keinen mehr, der so viel Leidenschaft in die Stimme legte wie damals Sebastian Bach bei Skid Row. Man hört einfach mehr, wenn man älter wird. Amon Amarth sind das andere Extrem. Die habe ich schon damals im Van gehört. Die machen seit 1996 dasselbe, mit leichten, nuancierten Erweiterungen. Heute sind sie riesig, ohne jemals große Kompromisse eingegangen zu sein. Sie sind heute eingängiger und langsamer, um mehr „Arena-Metal“ zu spielen und auf Festivals zu reüssieren. Aber sie sind sich treu geblieben und haben die Lorbeeren geerntet.

Fiel es dir selbst schwer, in deinem damals jungen Alter am Boden zu bleiben, obwohl so viel Erfolg und Ruhm auf Hatebreed hereinprasselte?
Das bemerkst du gar nicht. Du glaubst, dass jeder das Beste für dich will, aber dem ist nicht so. Sobald jemand auf deinen Erfolgszug aufspringt und merkt, dass da Kohle zu machen ist, springt er von selbst nie wieder ab. Da muss man extrem vorsichtig sein.

Wie hast du gelernt, wem du vertrauen kannst?
Das ist bei jedem anders und auch in jedem Genre anders. Es sind ja überall andere Leute tätig. Ich habe keine Ahnung, wie das im Pop oder bei EDM vor sich geht, aber ich kenne Menschen, die zum EDM übergelaufen sind, als dort das Geld zu holen war. Sind sie klug? Möglicherweise, weil sie den richtigen Zug erwischt haben. (lacht) Für eine Bookingagentur kann es gar nichts Besseres geben, als einen einzigen Typen, dem du nicht einmal Equipment in den Flieger buchen musst, weil er ohnehin alles mit seinem Laptop macht.

Skrillex eben.
(lacht) Durchaus. Er kommt ja aus der Screamo-Ecke.

Inwiefern hat dich dein 40. Geburtstag zum Reflektieren und Überdenken deines bisherigen Lebens gebracht?
Das sorgt mich nicht wirklich. Ich kann mich an all die runden Geburtstage der letzten Jahrzehnte erinnern und hatte nur einmal, zum 30er glaube ich, eine wirklich große Party. Es gab Girls, Alkohol und Drogen - heute gibt es Wasser und Cupcakes. (lacht) Wenn du 40 bist, musst du schon eine große Party schmeißen und ich bin froh, dass ich es so weit gebracht habe. Ich kenne viele, die leider verstorben sind oder im Knast sitzen, insofern kann ich auf Holz klopfen. Ich bin dankbar für mein Leben.

Fällt es dir nicht immer schwerer, diese brutalen, rohen und energetischen Shows mit Hatebreed aufrecht zu erhalten?
Nicht wirklich. Für mich ist das wie eine tägliche Therapie. Wenn jemand fix an einem Platz wohnt, hat er so seine Routinen. Das ist bei Musikern in Bands nicht anders. Wie wachen auf, wollen was essen und duschen. Wenn die Show beginnt, dann willst du zumindest so viel Energie raushauen, dass du danach wirklich fertig bist. Die Leute kommen nach mehr als 20 Jahren auch nur deshalb immer noch zu dir, weil sie diese Energie fühlen wollen. Sie lieben es und es ist auch für sie therapeutisch. Manche gehen zum Psychiater, andere in die Kirche, wiederum andere besuchen ein Konzert. Man muss all die Energien eines Tages sammeln und sie bei der Liveshow auf die Bühne bringen.

Mille von Kreator hat mir erzählt, dass er den Song „Flag Of Hate“ als 15-Jähriger geschrieben hat und heute noch immer dazu steht. Fällt es dir auch so leicht, dich auf deine ganz frühen Songs zurückzubesinnen und sie immer noch zu schätzen?
Bei manchen geht das, bei manchen nicht. Wenn du alterst und dich veränderst, dann werden auch die Erinnerungen subjektiv anders. Deine Sichtweise auf früher ist wesentlich verzerrter. Ich kenne diese Person von damals gar nicht mehr. Sie war von anderen Dingen und Menschen beeinflusst. Die Songs spiele ich aber noch immer. Unlängst fragte uns jemand, ob wir nicht „Conceived To An Act Of Violence“ spielen könnten, was wir dann auch machten. Ich konnte mich aber an die Kontroversen um diesen Song Ende der 90er erinnern und es gab auch eine Zeit, wo es die gleichen Diskussionen um „Puritan“ gab. Im Süden buchten wir Shows für christliche Bands, aber sie lasen die Texte und waren sehr aufgebracht, weil in den alten Texten die Zeile „bastard christ, feeds the fire“ stand. Wir haben sie dann verändert zu „bastard cries, feeds the fire“, weil wir niemanden beleidigen wollten. Ich schrieb die Texte mit 15, warum sollte ich die Leute damit verschrecken mit meiner Sturheit. Dann regten sich wieder welche auf, dass wir die Texte adaptiert hätten. Dieses Album verkauften wir übrigens über Wal-Mart und die hätten uns das niemals durchgehen lassen. (lacht) Das Album war sehr explizit, aber den Textzettel haben wir verändert. Es war also ein Trick. Auch das „Supremacy“-Album hat den „Parental Advisory“-Sticker oben, obwohl wir darauf nie fluchten. Aber wer kauft ein Album, das sauber ist? (lacht) Wir spielen alle diese Songs noch heute, aber mir ist heute egal, was ich damals dachte. Für mich beginnt alles bei der „Perseverance“-Scheibe, darauf kann ich mich immer noch berufen.

Wird es mit jedem neuen Album nicht immer schwerer, neues Material zu schreiben, dass sich auf die alten Bandtraditionen beruft, aber trotzdem keine bloße Kopie darstellt?
Die Wahrnehmung der Menschen ist sowieso eine andere als meine eigene. Auf meinen Social-Media-Accounts kommen oft Leute und beschweren sich, dass ich angeblich immer dasselbe Album schreibe. Wenn das deine Auffassung ist, ist das nicht mein Problem. Für mich unterscheiden sich die Songs beträchtlich, weil wir sie auch total anders spielen, instrumental als auch vokal. Manche haben aber die Auffassung, dass wir uns niemals entwickelten, aber aus irgendeinem Grund folgen sie mir immer noch, um mir das zu sagen. (lacht) Manchmal lasse ich mich von einem legendären Songwriter wie Paul McCartney inspirieren. Er ist immer noch gesund, wirkt sehr nett und sieht noch ziemlich gut aus. Er ist jetzt kein alter, wütender Typ wie Eric Clapton. (lacht) McCartney sagte einmal so etwas wie „finde eine Möglichkeit, denselben Song in 100 verschiedenen Varianten zu schreiben“. Warum sollte man ein Album, das man vor zehn Jahren schrieb, nicht wiederaufleben lassen? Speziell dann, wenn es eine Art von Therapie ist. Viele Hörer schrammen auch am Punkt vorbei. Das ist außerhalb meiner Kontrolle, aber sie überanalysieren die Texte eines Songs und interpretieren etwas, was niemals meine Intention war. Sie suchen immer einen Weg, den Song in ihr Leben einzubauen, aber das kann so nicht gehen, weil er aus meinem Leben stammt. Mir ist auch egal, wenn du den Text nicht verstehst und nur headbangst. Jedenfalls folge ich der McCartney-Doktrin und erzähle meine Geschichte in meinen Songs auf 100 verschiedenen Wegen. In einer irren Art und Weise sind meine Songs also von Paul McCartney inspiriert. (lacht)

Es ist doch genau gleich wie bei AC/DC. Oberflächlich betrachtet mag es immer nach demselben Song klingen, aber ein echter, langjähriger Fan kennt unendlich viele Unterschiede heraus.
Korrekt. Ich glaube, wir sollten uns alle mit diesen Generalisierungen entspannen. Ich sage ja selbst oft Sätze mit „all diese Fans“ und „all diese Musik“ - das ist in Wahrheit aber nie so arg. So etwas ist nicht gut. Nicht jeder Black Metal hat eine dünne, furchtbar klingende Produktion. Satyricon oder Emperor sind weit entfernt davon, dünn und beschissen zu klingen. Die Black-Metal-Elitisten werden sie hassen, aber ich mag die Produktion.

Welchen Ratschlag würdest du dir selbst als 20-Jährigen mitgeben, nachdem du weitere 20 Jahre sehr erfolgreich durchtaucht hast?
Hol dir einen guten Anwalt ins Boot und wenn das finanziell nicht möglich ist, dann knie dich in all die Rechtstexte rein, um sie zu verstehen. Ich will aber auch hier nicht generalisieren, denn jede Firma, mit der wir über all die Jahre zusammenarbeiteten, hatte eine große Gruppe an guten Menschen mit tollen Fähigkeiten. Mit den meisten von denen bin ich noch immer in Kontakt. Wir hatten Jahre, an denen wir fast 300 Shows spielten, um unsere Fanbase aufzubauen und zu halten. Doch wir hätten das geschickter und mit weniger Aufwand machen können, hätten wir die Kontrolle über unsere Alben und unsere Tourpläne gehabt. Bands wie Lamb Of God haben all ihr Geld in ihre Konzerte geworfen, um die Produktion zu verbessern und größere Venues zu spielen. Wir waren eher sparsam, sind dafür aber mehr im Underground, beim Hardcorepunk-Publikum geblieben. Das war vielleicht nicht immer die beste Entscheidung, wenn man sich entwickeln will. Lamb Of God spielten in Kellern und Gärten, aber sie sind einfach extrem gewachsen, weil sie manche Entscheidungen richtig trafen. In Wacken hatten wir auch Pyrotechnik, aber in den USA hielten wir es immer simpel. Das war nachbetrachtet nicht gut, denn in Europa haben wir viel mehr Geld rausgepulvert, um die Band weiterzubringen.

Live in Wien!
Bevor Hatebreed 2019 in den USA auf große 25-Jahre-Jubiläums-Tour gehen (und damit wohl auch duch Europa kreuzen werden), sind sie am 12. Dezember noch im Wiener Gasometer zu Gast. Eingezwängt in einem besonders schmackhaften Metal-Package mit Kreator, Dimmu Borgir und Bloodbath. Karten für das Highlight gibt es noch unter www.oeticket.com.

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