Demjanjuk-Prozess

Überlebender schockt mit Bericht über Lager-Alltag

Ausland
21.01.2010 15:40
Mit der Schilderung beklemmender Einzelheiten aus dem deutschen Vernichtungslager Sobibor ist am Donnerstag der Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Wachmann und SS-Helfer John Demjanjuk fortgesetzt worden. Geladen war ein 84-jähriger Überlebender. Während seine Schwestern und andere Verwandte in die Gaskammern getrieben wurden, wählte die SS seinen älteren Bruder Simcha und ihn als Arbeitshäftlinge aus.

Sowohl der Zeuge Philip Bialowitz (links) als auch sein Bruder konnten bei einem Aufstand 1943 entkommen. Demjanjuk soll in Sobibor Wachmann gewesen sein.

Bereits vor seiner Aussage hatte Bialowitz ebenso wie der 82 Jahre alte Sobibor-Überlebende Thomas Blatt (rechts) klargestellt, dass er sich konkret an Demjanjuk nicht erinnern könne. "Ich bin hier, um zu erzählen, wofür Sobibor steht", hatte Bialowitz am Rande des Prozesses mehrfach betont. Blatt und Bialowitz haben ihre Familien in Sobibor verloren und sind auch Nebenkläger.

Bialowitz musste in Sobibor die Züge mit den Transporten von Juden entladen helfen. In einigen Transporten waren viele Tote - Bialowitz schilderte das Bild einer toten Frau, die noch ihr Baby fest im Arm hatte. Er habe am Boden gelegen und lieber sterben wollen, als diese Körper aus dem Zug zu holen.

"Ich wollte, dass sie mich erschießen"
"Ich war unter Schock", sagte er. "Ich habe gehofft, dass sie mich erschießen." Doch habe ihn ein SS-Mann mit der Peitsche geschlagen und ihn aufgefordert weiterzuarbeiten. Er habe den Geruch nicht mehr ertragen können. So sei der Lagerkommandant Karl Frenzel zu ihm gekommen und habe ihm eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt. Frenzel habe auch die tote Mutter mit ihrem Kind gesehen. "Was für ein schönes Bild", habe Frenzel gesagt, ein Foto gemacht und sich entfernt.

Wie schon Thomas Blatt, der zuvor zwei Tage lang über seine Erlebnisse berichtet und Fragen beantwortet hatte, sagte Bialowitz, die Wachmänner seien zumeist Ukrainer gewesen und hätten sich sehr schlecht verhalten. Bialowitz berichtete auch, dass diese sogenannten Hilfswilligen bei dem Aufstand der Arbeitsjuden im Oktober 1943 nicht mitfliehen wollten. Stattdessen hätten sie ihre Waffen genommen und auf die Flüchtenden geschossen.

Anträge von Demjanjuks Verteidiger abgewiesen
Das Gericht wies am Donnerstag Anträge von Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch ab, den US-Anwalt Martin Mendelsohn als Nebenklagevertreter für Blatt und Bialowitz abzulehnen. Busch hatte argumentiert, Mendelsohn sei vor Jahrzehnten in den USA federführend an Ermittlungen gegen Demjanjuk beteiligt gewesen und könne deshalb nicht Nebenklagevertreter sein.

Demjanjuk ist angeklagt, 1943 bei der Ermordung von 27.900 Juden in den Gaskammern von Sobibor geholfen zu haben. Insgesamt wurden in dem 240 Kilometer südöstlich von Warschau gelegenen Lager von 1942 bis 1943 schätzungsweise 250.000 Juden ermordet. Der Prozess soll Anfang Februar fortgesetzt werden.

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