Bei der Frage, ob bei dem Mann eine "heftige Gemütsbewegung" gegeben war, sei nicht auf den Durchschnittsösterreicher abzustellen gewesen, sondern "auf einen durchschnittlichen, aus der Türkei stammenden Arbeiter in seinem Alter", sagt Jarosch. Einem solchen sei, bezogen auf seine Herkunft, Sozialisation und Mentalität, eine heftige Gemütsbewegung jedenfalls zuzubilligen, wenn ihm seine Frau die Scheidungspapiere präsentiere.
"Eine weitere Frage ist, ob diese Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist", so Jarosch. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei im gegenständlichen Fall diese "für die österreichische Rechtsordnung gerade noch begreiflich". Der zuständige Staatsanwalt habe sich dabei auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs (OGH) und vor allem den sogenannten Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch gestützt.
Linzer Professor schließt sich Ansicht nicht an
Der pensionierte Linzer Strafrechtsprofessor Reinhard Moos, der im Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch die vorsätzlichen Tötungsdelikte behandelte, vermag sich der Ansicht der Staatsanwaltschaft dagegen nur bedingt anzuschließen. Moos bejaht zwar die heftige Gemütsbewegung, zeigt sich aber nicht völlig überzeugt, ob diese auch allgemein begreiflich war. "Es wäre besser gewesen, man wäre mit der Sache vor ein Geschworenengericht gegangen und hätte das Gericht entscheiden lassen, ob ein versuchter Mord oder ein versuchter Totschlag vorliegt, und nicht das Schöffengericht auf den Totschlag festgenagelt", sagte Moos.
Dass im vorliegenden Fall in der Öffentlichkeit die heftige Gemütsbewegung teilweise in Zweifel gezogen wird, ist für den Strafrechts-Experten nicht nachvollziehbar. Bei der Frage, ob eine Affekt-Tat vorliegt, sei auf "den konkreten Täter in seinem sozialen Umfeld und auf seine Herkunft" abzustellen: "Diese Individualisierung ist nötig. Man hat auf jeden Täter einzugehen und zu differenzieren, ob der ein Tiroler Bauer in der Einschicht oder ein Linzer Stahlarbeiter ist. Das ist gerecht."
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