Preisgekrönt

Pirouetten: Zwischen Eiskunstlauf und Jugend

Bücher
30.11.2018 14:27

Die 22-jährige Tillie Walden, deren Illustrationen unter anderem bereits in den berühmten Google Doodles verewigt wurden, erzählt in ihrem Graphic Novel nicht nur über den Druck des Eiskunstlaufes, sondern auch die Emanzipation und ihr Coming-Out. Wir haben sie zum Gespräch über ihr neuestes Werk „Pirouetten“ am Tag der Österreich-Premiere getroffen.

In kaum einer Stunde wird sie in einer vollen Halle des Literaturhaus Wien - das unter Anderem schon Comicgrößen wie Scott McCloud bei sich begrüßen durfte - ihren autobiografischen Comic „Pirouetten“ dem österreichischen Publikum vorstellen. Sie wirkt überhaupt nicht nervös, hat schon vor mehr Leuten, aber auch vor weniger gesprochen. 2016 gewann sie mit ihrem Debüt „The End of Summer“ den Ignatz Award in der Kategorie „Outstanding Talent“. Und zwei Jahre danach, mit eben jenem Buch das sich auf dem Tisch vor uns befindet, den renommierten Will Eisner Award in der Kategorie „Best Reality-Based Work“. Den Oscar unter den Comics.

Pirouetten ist dein erster autobiographischer Comic. Was genau war der Auslöser für dich einen Comic nicht nur über deine Jugend als Eiskunstläuferin, sondern auch über dein Coming-Out zu zeichnen?
In jedem meiner Comics ist ein Teil von mir. „Pirouetten“ ist auf jeden Fall der, den man als Solches am Ehesten bezeichnen kann. Ganz offiziell. Ich weiß noch, dass ich in diesem zweijährigen Kunstprogramm meiner Schule war. Und einer meiner Lehrer gab uns die Aufgabe eines Langzeitprojektes. Ich wusste wirklich zuerst nicht was ich tun sollte. Alle meine Geschichten waren bis dahin eher Fragmente. Aber meine Zeit als Eiskunstläuferin, zusammen mit der ganzen Identitätsfindung einer jungen, homosexuellen Frau in Texas ... das war neu für mich. Es fühlte sich dann einfach richtig an über meine Ängste, meine Schamgefühle als Kind zu sprechen. Ich wollte das aufarbeiten und das mache ich nunmal mit Comics.

Dein Comic ist nicht nur jetzt im deutschsprachigen Raum ein Erfolg, sondern findet sich auch auf den Bestsellerlisten der USA wieder. Und das, obwohl doch auch das Thema Sport im Mittelpunkt steht.
Ja, das freut mich wirklich. Ich denke, wenn Leute das Buch erstmals zu fassen kriegen, denken sie: „Oh, ein Comic über Eiskunstlauf!“, aber sobald sie es lesen sehen sie, dass es sich mit sehr vielen anderen Themen beschäftigt. Eiskunstlaufen war eben das, was lange Zeit ein wirklich großer, bestimmender Teil meines Lebens war. Was ich anzog, wieviel ich wog, wann ich Zeit für Freunde oder die Schule hatte - wenn überhaupt - das wurde mir alles von diesem Sport diktiert.

(Anm. d. Red.: Auf den Hinweis, dass der japanische Anime „Yuri On Ice!“ sich mit einer ähnlichen Thematik auseinandersetzt, lacht Tillie Walden zuerst und erklärt mir, sie selbst konnte sich den Anime noch nicht zur Gänze ansehen. „Too close to home“, das ginge ihr zu nahe, sagt sie mir.)

Gibt es irgendwelche Serien, die du gerne siehst?
Meine Mutter hat für einen Fernsehsender gearbeitet, also bin ich mit Serien wie „The Office“, „Six Feet Under“ und dem ganzen Kram groß geworden. Ich liebe Krimi-Geschichten. Wenn Leute als Team zusammenarbeiten um einen Fall zu lösen, macht mir das einfach Spaß. Nicht, dass ich jetzt wissen würde wie man einen Mörder überführt, aber das rede ich mir gerne ein.

Was ist etwas, das du jedem Teenager gerne raten würdest?
Ich denke, jeder Teenager sollte eine Möglichkeit finden mit seinen Eltern zu reden. Als ich das endlich getan habe, sind meine Mutter und ich darauf gekommen, dass wir Eiskunstlauf nicht mochten. Wir beide hassten das frühe Aufstehen, ich konnte die Kinder dort nicht leiden und sie nicht deren Mütter. Das hätte uns vermutlich viel Ärger erspart. Also: Ehrlichkeit ist am wichtigsten. Als Jugendlicher ist es auch wichtig geduldiger zu sein. Jede Beziehung braucht Arbeit und mit 14, 15 denkst du oft, dass du nicht die Zeit und die Kraft dafür hast. Und gerade die Wut, die man als Teenager hat, ist verständlich, macht es aber nur schlimmer. Es ist eine heftige Zeit. Stellen wir uns doch einfach die Frage: „Wäre es für queere Menschen nicht leichter, wenn die Gesellschaft dieses Bild mehr akzeptieren würde?“ Ja und Nein. Es ist wieder diese Identitätsfrage, da muss auch viel von innen kommen, von dir selber. Ich möchte jedem Teeanger einfach sagen: „Versuch zu überleben, bitte!“

Die letzte Frage; was sollten dich die Leute in Interviews öfter fragen?
Uh, das ist eine gute Frage. Meistens fragt man mich nach den schwierigen Szenen (Anm. d. Red.: In dem Comic geht es unter anderem um sexuelle Belästigung) und den Herausforderungen. Ich finde, zu oft reden wir Künstler über unseren Schmerz anstatt über unser Glück. Ich schätze, ich würde mir wünschen, dass man mich öfter fragt, was ich gut gemacht habe. Welche Szenen mir Spaß gemacht haben. Jeder fokussiert sich auf Dinge wie: „Was ist dir schwer gefallen?“ und nicht auf: „Was denkst du, kannst du tun, was wirklich wunderbar ist? Was an Kunst macht dich glücklich?“ Das sollte man wirklich öfter fragen.

Das Teenagerleben zwischen Eiskunstlauf und Coming-Out ist so unruhig, wie es klingt. Tillie Walden zeichnet in violett und gold - den Farben des Kleids - in dem sie am meisten auf dem Eis war, ihre eigene Lebensgeschichte. Ihr Tagesablauf, zwölf Jahre lang, durch den kalten Sport bestimmt ist kein Leichter. Um vier Uhr in der Früh wird aufgestanden, vor und nach der Schule trainiert. Neben den anstehenden Wettkämpfen ist es der Alltag, der an ihren Nerven zehrt und harte Disziplin von dem Teenager fordert. Ihre Anpassungsfähigkeit gerät aus den Fugen, als sie sich ihrer Homosexualität bewusst wird. Und damit sieht sie ihre komplette Identität in Frage gestellt. „Pirouetten“ erzählt vom Loslassen, vom Finden, aber vor allem von der Suche nach dem eigenen Selbst.

Empfohlenes Lesealter: ab 12 Jahren
Walden, Pirouetten, ISBN: 978-3-95640-161-9, Reprodukt

Diese Buchempfehlung entstand mit freundlicher Unterstützung des Verlags Reprodukt, der das Gespräch mit Tillie Walden erst möglich gemacht hat und Amazon.

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