Folge des Fortschritts

„Welcome To Sodom“: Unsere Handys sind schon dort

Elektronik
16.11.2018 10:04

Schwarzer Rauch, abgemagerte Tiere und Müll, soweit das Auge reicht: Die Elektroschrottdeponie Agbogbloshie in der ghanaischen Hauptstadt Accra wirkt wie einem dystopischen Sci-Fi-Film entsprungen. Hier leben und arbeiten 6000 Männer, Frauen und Kinder unter widrigsten Bedingungen. „Welcome To Sodom“ (ab Freitag im Kino) zeichnet ihr Schicksal, das von uns mitbestimmt wird, beklemmend nach.

Die österreichischen Dokumentarfilmer Florian Weigensamer und Christian Krönes haben mit ihrem Team mehrere Monate in dieser Hölle auf Erden verbracht und dort einen Mikrokosmos entdeckt, der nach ganz eigenen Regeln funktioniert. Männer sind für das Aussortieren, Verbrennen und Verarbeiten des Mülls zuständig, während Frauen Essen zubereiten und in erster Linie Wasser säubern, um es zu verkaufen. Dazwischen wuseln Kinder durch die Schrottberge, spielen Fußball oder verdingen sich selbst als Eisensammler, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Aus Müll Geld machen
Es braucht eine gewisse Zeit, bis man sich als Betrachter an das Erscheinungsbild von Agbogbloshie gewöhnt hat: Hier landet alles, was in unserer technologisierten Gesellschaft ausrangiert wurde - alte Bildschirme, weggeworfene Handys, Computergehäuse und Massen über Massen an Kabeln. Mal mit einem Magneten bewaffnet, um den unebenen Boden nach kleinsten Metallen abzusuchen, oder aber ein Feuer nach dem anderen entfachend, um aus den Plastiktürmen die wertvollen Rohstoffe herauszubrennen, ist in „Sodom“, wie die Einheimischen die Müllhalde nennen, jeder auf der Suche nach Dingen, die er zu Geld machen kann.

Jährlich rund 250.000 Tonnen Elektroschrott
„Wir sind die besten Recycler“, sagt Amerigo aus dem Off, während man ihn beim Handel mit einem Kollegen sieht, bevor er seinen Karren weiter durch den Dreck unzähliger Länder zieht, die ihren Müll großteils illegal nach Ghana bringen. „Für sie ist es Müll“, richtet er seine Worte Richtung Europa, „aber wir können Geld damit machen. Sie sollten mehr schicken.“ Was eigentlich kaum vorstellbar ist, landen doch jährlich rund 250.000 Tonnen Schrott in Agbogbloshie, das bis vor wenigen Jahren noch eine Lagune gewesen sein soll. Wasser ist zwar immer noch vorhanden, aber mittlerweile pechschwarz und von Unrat durchsät.

„Ich werde hier nicht mehr wegkommen“
Es sind beklemmende Bilder, die Kameramann Christian Kermer für die Gegebenheiten findet: Mit langen Einstellungen lässt er die Zuseher selbst ihren Fokus wählen, wandelt einerseits über die Weiten der Deponie, um andererseits ganz nah an die Protagonisten heranzurücken. Es sind starke junge Männer, die ihre Zukunft in Europa suchen, oder ein Mädchen, dass sich als Bursch ausgibt, um den lukrativeren Job eines Metallsuchers ausüben zu können. Ein aufgrund seiner Homosexualität aus Gambia geflohener Medizinstudent hält wiederum resignierend fest: „Ich werde hier nicht mehr wegkommen.“

Bittere Konsequenzen
Dass diese eineinhalbstündige Reise ans mutmaßliche Ende der Welt nicht nur Betroffenheit hervorruft, ist die große Stärke des Films. Denn zwischen der Tristesse, die als Wort eigentlich viel zu schwach für das Gezeigte ist, gibt es auch Lachen und Hoffnung, wird in einem spartanisch eingerichteten Tonstudio Musik gemacht und sehen sich viele als „Geschäftsleute“. Jedes Teil kann eine große Zukunft verheißen, jeder verschlossene Computer birgt das Potenzial eines großen Fundes - so zumindest die Hoffnung. Klar ist allerdings auch: Der Wunsch des Westens nach dem stets neuesten Gadget hat bittere Konsequenzen - auch wenn wir davor die Augen meist verschlossen halten. „Welcome To Sodom“ legt den Finger tief in diese Wunde.

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