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Überraschungsdeal: Das steht im Brexit-Vertrag

Ausland
15.11.2018 11:48

Jahrelang wurde mühsam darum gerungen, auf der Zielgeraden kommt nun plötzlich Schwung in die EU-Austrittsverhandlungen mit Großbritannien. Am Dienstag verkündete die britische Premierministerin Theresa May überraschend einen Durchbruch auf technischer Ebene, rund 24 Stunden später brachte sie den Kompromiss mit einigem Bauchweh in ihrem Kabinett durch, und bis Donnerstagfrüh einigte man sich auf EU-Ebene auf einen Sondergipfel, auf dem die Modalitäten endgültig fixiert werden sollen. Termin ist bereits Sonntag kommender Woche. Doch was steht überhaupt im Vertragsentwurf? Ein krone.at-Überblick:

  • Übergangsphase: In der Übergangsphase bleibt Großbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern. Sie soll bis zum 31. Dezember 2020 gehen, kann aber einmal verlängert werden. Großbritannien muss dabei weiter das EU-Regelwerk anerkennen, ohne selbst noch ein Stimmrecht zu haben, und ist verpflichtet, weiter Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Die Briten dürfen ihrerseits aber bereits eigene „internationale Abkommen“ etwa im Handelsbereich schließen, sofern diese erst nach der Übergangsphase in Kraft treten.
  • EU-Bürger: In Großbritannien leben gut drei Millionen Menschen aus anderen EU-Staaten, in der EU rund eine Million Briten. Sie haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren. Auch Ansprüche bei Krankenversicherung, Pensionen und sonstigen Sozialleistungen werden garantiert. Dasselbe gilt für Bürger, die erst während der Übergangsphase ankommen. Alle dürfen laut EU-Verhandlungsführer Michel Barnier Familienmitglieder wie Ehe- oder Lebenspartner, Kinder oder Eltern „während der gesamten Lebenszeit“ nachholen.
  • Finanzverpflichtungen: Großbritannien soll alle Finanzverpflichtungen erfüllen, die es während seiner Mitgliedschaft eingegangen ist - auch wenn diese über das Austrittsdatum und das Ende der Übergangsphase hinausreichen. Eine genaue Summe ist noch nicht festgelegt, sondern nur eine Berechnungsmethode. Die britische Regierung schätzt die daraus resultierenden Verpflichtungen auf 35 bis 39 Milliarden Pfund (rund 40 bis 45 Milliarden Euro).
  • Nordirland: Die Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland ist die komplizierteste Brexit-Frage. Durch den Brexit drohte eine „harte Grenze“ mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden, über die während der Übergangsphase bis Juli 2020 entschieden wird: Entweder beide Seiten lösen die Frage über eine Vereinbarung zu den künftigen Beziehungen. Reicht die Zeit dazu nicht, kann die Übergangsphase verlängert werden, oder es greift eine Auffanglösung, in der das gesamte Vereinigte Königreich bis auf Weiteres in einer Zollunion mit der EU bleibt. Für Nordirland würden zudem die Bestimmungen des EU-Binnenmarktes weiter gelten.
  • Künftige Beziehungen: In einem eigenen, bisher acht Seiten langen Dokument wird eine politische Absichtserklärung zu den künftigen Beziehungen nach der Übergangsphase umrissen. Ziel ist demnach bei Waren die „Schaffung eines Freihandelsgebiets“ „ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmäßige Beschränkungen“. Bei den für den Finanzplatz London besonders wichtigen Finanzdienstleistungen wird insbesondere „fairer Wettbewerb“ gefordert. Hinzu kommen angestrebte Vereinbarungen etwa zu Luftverkehr, Energie, Fischerei, Verteidigung oder Strafverfolgung. Verhandlungen darüber sollen direkt nach dem Brexit im März kommenden Jahres beginnen.

Bei dem nun einberufenen Sondergipfel am 25. November soll die Brexit-Einigung finalisiert werden, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk Donnerstagfrüh in Brüssel ankündigte - „wenn nichts Außerordentliches passiert“. Bis Dienstag wolle die EU-Kommission auch die politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien fertigstellen, sagte Tusk. Die EU-Staaten sollen den Text bis Donnerstag prüfen, „ich hoffe auf nicht zu viele Kommentare“.

Tusk betonte, EU-Chefverhandler Barnier habe in dem Kompromiss sichergestellt, dass die Schäden durch den Brexit begrenzt bleiben und die wichtigsten Interessen der 27 EU-Staaten und der EU als Ganzes gewahrt seien. Barnier kündigte an, ins EU-Parlament nach Straßburg weiterzureisen, um die politische Erklärung zu finalisieren. „Unsere Arbeit ist nicht zu Ende. Wir haben noch einen langen Weg vor uns auf beiden Seiten.“

Blümel beruft kurzfristig EU-Ministerrat ein
Vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs wird auch noch ein von EU-Minister Gernot Blümel als aktuellem Ratsvorsitzendem kurzfristig einberufener EU-Ministerrat in Brüssel über die Bühne gehen. „Die zuständigen Minister beraten über das Austrittsabkommen und über die politische Erklärung zum zukünftigen Verhältnis und bereiten den Brexit-Sondergipfel am 25. November vor“, teilte Blümels Büro am Donnerstag mit.

Brexit-Minister Raab zurückgetreten: Kann Deal nicht mittragen
Während in Brüssel also Einigkeit an den Tag gelegt wird, ist in London nicht alles eitel Wonne: Einen Tag nach dem mühsam errungenen Kompromiss in Premier Mays Kabinett ist ausgerechnet Brexit-Minister Dominic Raab zurückgetreten. Er könne die Vereinbarung zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU nicht mittragen, teilte er am Donnerstagvormittag in einem Schreiben auf Twitter mit.

Es gehe ihm vor allem um die Passagen zum künftigen Status von Nordirland, so Raab. Auch die Notfallklausel, der sogenannte Backstop, stößt bei ihm auf Widerstand. Die von der EU verlangte Klausel sieht vor, dass Nordirland in der Zollunion mit der EU und teilweise im EU-Binnenmarkt verankert bleibt.

Nur rund eine Stunde nach Raab erklärte auch Arbeitsministerin Esther McVey ihren Rücktritt. Der neue Deal entspreche nicht dem Brexit-Votum der britischen Bürger, begründete McVey ihren Schritt. Auch die beiden Staatssekretäre Suella Braverman (Brexit) und Shailesh Vara (Nordirland) traten prompt zurück.

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