Beziehungsdrama

Türkische Herkunft bringt Gewalttäter mildere Strafe

Wien
15.01.2010 15:17
Als sich seine Ehefrau von ihm trennen wollte und ihm die Scheidungspapiere präsentierte, ist ein 46-jähriger Familienvater im Oktober 2009 ausgerastet: Er stach ihr mit einem Küchenmesser über ein Dutzend Mal in Kopf, Brust und Hals, anschließend ging er mit einem Stahlrohr auf die lebensgefährlich Verletzte los. Für die Justiz handelte der Täter "in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung". Daher kam er mit sechs Jahren Haft wegen versuchten Totschlags davon, das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Obwohl man durch die Brutalität des Verbrechens davon ausgehen könnte, dass der türkischstämmige Täter seine Frau töten wollte, wurde er nicht wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft begründete die Entscheidung damit, dass die Ehefrau im Strafverfahren auf eine Aussage verzichtete – auch die Herkunft des Mannes wurde als mildernder Umstand gewertet.

Schwierige Lebenssituation "allgemein begreiflich"
Seit 1980 lebt der gebürtige Türke in Österreich und besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft. Im Zweifel sei davon auszugehen, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt aufgrund der heftigen Diskussion um den Scheidungsvorsatz seiner Gattin in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung war – so die Staatsanwaltschaft. "Gerade Ausländer oder Personen mit Migrationshintergrund befinden sich häufig in besonders schwierigen Lebenssituationen, die sich, auch begünstigt durch die Art ihrer Herkunft, in einem Affekt entladen kann. Obwohl Affekte von Ausländern in Sittenvorstellungen wurzeln können, die österreichischen Staatsbürgern mit längerem Aufenthalt fremd sind, können sie noch allgemein begreiflich sein", so der Wortlaut in der Anklageschrift.

Weitere Hintergründe zu der Bluttat: siehe Infobox!

Auch der Schöffensenat schloss sich dieser Ansicht an, in der Urteilsverkündung heißt es, es liege "ein affektbedingter Tötungsvorsatz" aber kein versuchter Mord vor. Da die Frau zu keiner Aussage bereit war, wisse man zu wenig über die Vorgänge in der Wohnung zum Tatzeitpunkt und müsse den Angaben des Angeklagten folgen. Das erkennende Gericht betonte, diese Entscheidung sei durch höchstrichterliche Judikatur gedeckt.

Staatsanwalt legt Strafberufung ein
Der 46-Jährige wurde wegen versuchten Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt, der Strafrahmen für dieses Delikt beträgt maximal zehn Jahre. Der Staatsanwalt hatte für eine Strafe im oberen Viertel plädiert und meldete Strafberufung an. Für versuchten Mord sieht die Rechtsordnung zehn bis 20 Jahre oder lebenslang vor.

Politik übt Kritik an Gerichtsurteil
"Es ist unerträglich, wie die österreichische Justiz immer wieder schrecklichste Gewalttaten von Männern an Frauen, die sich von ihnen trennen wollen, verharmlost und die Opfer mit ihren Urteilen verhöhnt", zeigte sich SPÖ-Frauensprecherin Gisela Wurm empört. Mit der gegenständlichen Entscheidung suggeriere die Justiz "geradezu Verständnis, dass auf einen Trennungswillen der Frau eine Gewalttat des Mannes folgt".

Auch Alev Korun und Judith Schwentner, Menschenrechtssprecherin bzw. Frauensprecherin der Grünen betonten, dass es unzulässig sei, Dutzende Messerstiche in den Kopf und die anschließende Attacke mit einem Stahlrohr gegenüber einer scheidungswilligen Frau im Hinblick auf die ethnische Herkunft des Gewalttäters als "kulturbedingte Affekthandlung" zu beurteilen.

"Migranten-Herkunft als Milderungs- oder gar Entschuldigungsgrund bei Gewalt gegen Frauen seitens eines Gerichts anzuführen, widerspricht dem Grundsatz, Menschen gleichen rechtlichen Schutz zu gewähren. In Österreich lebende Menschen haben unabhängig von ihrer Herkunft das Recht, nach österreichischem Recht geschützt und bestraft zu werden", stellten die Grün-Politikerinnen fest.

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