Demjanjuk-Prozess

Historiker schildert Lager-Alltag – Rüge für Verteidiger

Ausland
12.01.2010 14:50
Im Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Wachmann John Demjanjuk hat das Landgericht München am Dienstag einen Historiker zur Geschichte des Vernichtungslagers Sobibor vernommen. Dieter Pohl vom Institut für Zeitgeschichte sagte, Juden aus ganz Europa seien dort systematisch ermordet worden. Der 89-jährige Angeklagte verfolgte die Ausführungen teilweise von einem Bett aus, das im Gerichtssal für ihn aufgestellt wurde.

"Der einzige Zweck war die Ermordung", so der Gutachter. Das Lager sei nur von 25 bis 30 Nazis beaufsichtigt worden, hinzu kamen gut 100 sowjetische Kriegsgefangene, die als Wächter dienten. In Sobibor wurden mindestens 250.000 Personen jüdischen Glaubens ermordet.

Dem 89-jährigen Demjanjuk wird im vermutlich letzten großen Prozess um Nazi-Verbrechen Beihilfe zum Mord an 27.900 Menschen vorgeworfen. Der gebürtige Ukrainer bestreitet dies. Sein Anwalt bezeichnet ihn selbst als Opfer, weil er als Kriegsgefangener den Nazis habe dienen müssen und umgebracht worden wäre, wenn er deren Befehle nicht ausgeführt hätte.

Angeklagter lag im eigens aufgestellten Bett
Der eingeschränkt verhandlungsfähige Angeklagte verfolgte den Prozess erneut scheinbar teilnahmslos in einem Bett, das extra im Gerichtssaal aufgestellt wurde. Seine Schirmmütze zog Demjanjuk, der unter einen gelben Decke lag, tief ins Gesicht.

An diesem ersten Prozesstag im neuen Jahr forderte unterdessen der Verteidiger Demjanjuks ein Aussetzen des Verfahrens auf unbestimmte Zeit. Außerdem müssten die Nebenkläger und ihre Anwälte vom Prozess ausgeschlossen werden, sagte Verteidiger Ulrich Busch. Er beantragte, eine Vielzahl von Akten aus den USA, Israel und Polen, aber auch aus den baltischen Staaten, der Ukraine, Tschechien und Usbekistan beizuziehen. Die Staatsanwaltschaft habe Akten eingesehen, die der Verteidigung bisher nicht zugänglich waren, erklärte Busch.

Richter rügt Verteidiger
Der Vorsitzende Richter Ralph Alt reagierte mit Unverständnis. Die Nebenkläger seien vom Gericht zugelassen worden. "Wie ich jetzt dazu kommen soll, das zu widerrufen, ist mir nicht klar", sagte Alt. Er rügte Busch, dieser habe das Gericht mit Aussagen zitiert, die es nie gemacht habe.

Demjanjuk schweigt bisher zu den Vorwürfen. Zuletzt hatten zwei Tage vor Weihnachten Holocaust-Überlebende und Angehörige der Opfer, die als Nebenkläger auftreten, als Zeugen ausgesagt. Teils unter Tränen schilderten sie, wie ihre Verwandten nach Osten zu vermeintlichen Arbeitseinsätzen gebracht wurden.

Der Prozess hatte Ende November 2009 begonnen. Bis Mai sind vorerst 35 Verhandlungstage angesetzt. Wegen Demjanjuks angeschlagener Gesundheit darf pro Tag nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden. Demjanjuk schweigt bisher zu den Vorwürfen.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele