Umstrittenes Urteil

Der Fall Sigi Maurer, oder: Was von #metoo blieb

Österreich
10.10.2018 11:55

Mit einem Schuldspruch hat nach nur zwei Prozesstagen das Gerichtsverfahren zwischen einem Bierlokal-Betreiber und der ehemaligen grünen Abgeordneten Sigrid Maurer geendet. Das in der ersten Instanz gefällte Urteil der üblen Nachrede bescherte der Angeklagten Kosten von mehr als 7000 Euro. „Ich bin erschüttert über dieses Urteil“, sagte sie nach Prozessausgang.

Was war passiert? Vom privaten Facebook-Account eines Bierlokal-Betreibers wurden offenbar auf wundersame Weise Nachrichten an die Ex-Grüne verschickt. In diesen Nachrichten - Achtung: auf leeren Magen wenig verdaulich - ist die Rede von gewünschten Sexualpraktiken („… in deinen Mund nehmen und ihn bis zum letzten Tropfen aussaugen“) und auch von schamlosen, mehr als untergriffigen Beleidigungen („… ich Dich gerne in deinen fetten Arsch, damit dir einer abgeht du kleine dreckige …“).

Maurer veröffentlichte die Nachrichten. Der Lokalbetreiber klagte. Und der Richter entschied zugunsten des Klägers, der bestritt, die Nachrichten selbst verfasst zu haben. „Ich bin überzeugt, dass der Kläger lügt“, sagte der Richter nach dem ersten Prozesstag. Obwohl das Gericht dem Lokalbetreiber keinen Glauben schenkte, wurde Sigrid Maurer aufgrund der Veröffentlichung der üblen Nachrede schuldig gesprochen.

Ein Justizskandal?
Die Entscheidung ist heftig umstritten. Die einen fühlen sich darin bestätigt, dass es nicht angehe, private Inhalte - ob nun widerwärtig oder nicht - publik zu machen, um deren Autor öffentlich bloßzustellen. Die anderen sehen eine Täter-Opfer-Umkehr, weil jemand, der durch obszön-abwertende Nachrichten belästigt worden ist, nun selbst zum Täter gemacht wird, bloß, weil er sich öffentlich zur Wehr setzte.

Unabhängig davon, wie man zur politischen Arbeit der Ex-Grünen Maurer denn auch stehen mag: Was die Entscheidung in jedem Fall deutlich macht, ist, dass es in Wahrheit keinen effizienten Schutz gegen Hass im Netz gibt. Man muss sich in letzter Konsequenz mangels gesetzlicher Möglichkeiten also Untergriffigkeiten im Internet gefallen lassen, auch ein selbstständiges Vor-den-Vorhang-Holen von halbstarken Nachtschattengewächsen, die in der scheinbaren Anonymität des Internets dann plötzlich mutig sind, ist nicht erlaubt.

Nach dem Motto „Sagst du ja, bleibst du da - sagst du nein, gehst du heim“ suggeriert das Urteil, dass grausige Nachrichten vollkommen ohne Konsequenzen bleiben, man nicht einmal öffentliche Häme fürchten muss, solange man nachfolgend erklärt, jemand anderer hätte sie verfasst. Eine Bankrotterklärung, die zeigt, wie zahnlos der Kampf gegen Hass im Netz ist.

Was von #metoo geblieben ist
Fast genau ein Jahr nach der #metoo-Debatte, die sexuelle Belästigung und Übergriffe sowie Machtmissbrauch thematisierte und Frauen auf der ganzen Welt couragierte, über ihre Erlebnisse öffentlich zu sprechen, zerschellt der vielumjubelte Hashtag hierzulande an juristisch-formalen Hürden und an veralteten Gesetzen, die für das Phänomen Social Media nicht gewappnet sind. Was nützt es, die Gesellschaft auf Übergriffe gegen Frauen zu sensibilisieren, wenn man in letzter Konsequenz dann doch den Mund halten muss? Es ist nichts geblieben.

Katia Wagner

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