Rock-Durchstarter

Thunderpussy: „Keine Regeln und keine Grenzen!“

Musik
12.09.2018 07:00

Mit ihren exaltierten Bühnenshows und dem richtigen Gespür für erdigen Rock‘n‘Roll mischt die „All-Girl-Band“ Thunderpussy seit einigen Jahren die amerikanische Rockszene auf. Beim Frequency Festival gaben Molly Sides, Whitney Petty und Co. ihre Österreich-Premiere und erklärten uns im Interview, warum es in punkto Gleichberechtigung noch viel zu tun gibt, wieso man wie ein Löwe um den Bandnamen kämpft und weshalb provokant Wirkendes noch lange keine Provokation ausstrahlt.

(Bild: kmm)

„Grab ‘em by the Thunderpussy“ prangt es humorig von den T-Shirts, doch das vermeintlich spaßige Wortspiel der amerikanischen Rockband Thunderpussy hat einen ernsten Hintergrund. Seit gut drei Jahren musizieren Gitarristin Whitney Petty, Sängerin Molly Sides, Bassistin Leah Julius und die später hinzugestoßene Drummerin Ruby Dunphy zusammen - um ihren Bandnamen gibt es aber noch immer ein Riesengedöns. Zu skandalös sei er, merken die amerikanischen Behörden an, und fürchten, typisch für die Scheinmoralnation Nummer eins, dass das Viermäderlhaus mit dem Hang zu rhythmischen Stromschlägen und exaltierten Posen den nationalen Frieden gefährden könnte. Auf den Präsident bezogen fiel im Bandcamp schlussendlich der Satz „Motherfucker can say ,Grab ‘em by the pussy‘ and we can’t just throw in our trademark?“ Eine berechtigte Frage, die den aufkeimenden Kultstatus des Seattle-Quartetts schlussendlich nur verstärkt.

Gegen die Kaste
„Wir leben in einer ziemlich verrückten Zeit, in der man so gut wie möglich auffallen muss, um sich Gehör verschaffen zu können“, betont Sängerin Sides im Interview mit der „Krone“, „natürlich lukrieren wir mit unserem Bandnamen mehr Aufmerksamkeit als mit anderen, die einen nicht so frontal konfrontieren. Weiße alte Männer in Anzügen haben so ihr Problem damit und würden uns gerne loswerden, aber im Jahr 2018 kann man ruhig auch mal die Augen aufmachen und offen über Dinge diskutieren. An unserem Bandnamen wird sich garantiert nichts ändern, so viel steht schon einmal fest.“ Durchhaltevermögen, Selbstvertrauen und eine gewisse Wurschtigkeit sind essenziell im Musikgeschäft - vor allem für Frauenbands, denen man ob ihrer exaltierten Präsenz den hochgehaltenen Feminismus absprechen möchte.

Wenn sich Sides in Pose wirft, auf der Bühne über den Boden schlängelt und sich ein ums andere Mal um eine imaginäre Poledance-Stange kreiselt, verwechselt der unreflektierte Konzertbesucher vorschnell bewusste Haltung mit sexueller Anzüglichkeit. „In dem Moment, in dem wir die Bühne betreten, blenden wir alles andere aus“, erklärt Sides, „wir können so groß und so gut sein wie wir wollen. Es gibt keine Regeln und keine Grenzen. Es ist heute wichtiger denn je, die Grenzen aufzubrechen. Am besten sehr laut von innen und freundlich, aber bestimmt nach außen. Privat bin ich oft unsicher und verstecke mich nur allzu gerne hinter Floskeln, höre nicht mehr auf zu reden. Aber auf der Bühne bin ich konzentriert und fokussiert. Dort zählt nur der Moment - und jeder im Publikum ist eingeladen, mitzumachen.“

Platz für alles
Mit ihrem Debütalbum „Thunderpussy“ haben die vier Vollblutmusikerinnen diesen Sommer sämtlichen Trends den Mittelfinger entgegengestreckt. Sie kommen aus Seattle und griffen auf die Künste von Pearl Jams Mike McCready zurück, klingen aber trotzdem nicht wie eine Grunge-Band. Sie zelebrieren handgemachten Rock’n’Roll mit bewusst provokativer Attitüde und stellen sich damit exakt gegen das Dicke-Hose-Klischee der US-populären Rap-Kultur. Sie zitieren auf Songs wie „Speed Queen“, „Torpedo Love“ oder (was für ein Songtitel) „Utero Tango“ alles zwischen Cream, Led Zeppelin, Aretha Franklin und Barbra Streisand, ohne anbiedernd oder gar zu referenziell zu wirken. Soul, Blues, Rock, Verletzlichkeit, Optimismus, Angriffsstärke, Frivolität, Klarheit und Courage - alles hat auf diesem aus der Zeit gefallenen Album Platz, das auf Gesamtstrecke zwar immer wieder stottert, aber die zwanglose „Fuck Off“-Attitüde der Band wundervoll wiedergibt.

„Wir haben wirklich lange an diesem Album gearbeitet und sind unheimlich froh, dass wir dieses Biest endlich mit den Menschen in aller Welt teilen können.“ So sehr Thunderpussy mit Name und Gehabe provozieren können, so fein durchdacht und stets mit einer wichtigen Botschaft versehen sind die Inhalte, die in bester Rrriot-Girls-Tradition á la Bikini Kill oder L7 auf Gleichberechtigung und Fairness in einer Welt der Unebenheiten pocht. „Wenn wir die Dinge mit unserer Musik schon nicht zum Besseren verändern können, dann wollen wir zumindest einer der schmerzhaftesten Stacheln im Fleisch sein“, zeigt sich Sides kampfeslustig, „die Zeiten ändern sich momentan nicht gerade zum Guten und manchmal haben wir das Gefühl, täglich zwei Schritte zurückzugehen. Derzeit ist jedenfalls mehr als genug Platz für ein Thunderpussy-Livekonzert.“

Faule Ausreden
Die Diskussion um die Genderquote bei Mainstream-Festivals beschäftigt eine Band wie Thunderpussy umso mehr. Das „Airwaves Festival“ in Island wies dieses Jahr erstmals überhaupt eine Frauenquote von 50 Prozent auf. Bassistin Leah Julius kann diesen Schritt nur begrüßen. „Ich glaube, dass das europaweit eine Premiere war.“ Dass es gerade im Rock- und Metalbereich nicht wirklich einfach ist für eine faire Gleichberechtigung zu sorgen, lassen die beiden Musikerinnen so nicht gelten. „Es gibt auch dort genug Bands, die weiblich besetzt sind. Natürlich kann man die Augen verschließen und das Problem ignorieren, aber man könnte auch mal ein Risiko eingehen und in das Thema eintauchen. Einer muss halt immer anfangen - vielleicht war es in dem Fall das ,Airwaves‘? Ich will keinem Festivalbetreiber böse Absichten unterstellen, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es manche einfach nicht besser wissen und ihr Line-Up über Google finden.“

Provokation oder Aufruhr suchen Thunderpussy nicht auf direktem Wege. Vielmehr geht es ihnen darum, Diskussionen anzustoßen und vermeintlich in Stein gemeißelte Dinge nicht einfach nur so hinzunehmen. „Natürlich müssen wir so gut wie möglich für die Frauen in diesem Business kämpfen“, erklärt Sides, "okay, kämpfen ist vielleicht ein harter Ausdruck, aber es muss heutzutage auf jeden Fall genug Platz geben, um Dinge richtig zu kanalisieren und zu überdenken, um schlussendlich eine korrekte Richtung einschlagen zu können. So klischeehaft der zeitlose Rocksound mit dem offensiven Gebaren auf den Livekonzerten auch wirken mag, dahinter steckt ein Kampf gegen antiquierte Ansichten. Den Rock’n’Roll kann man heute noch immer atmen, aber er ist längst zeitgemäß und versteckt sich nicht mehr hinter den ungeschriebenen Gesetzen der hedonistischen 70er-Jahre.

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