Trainingswahn

Essstörung im Tarnmantel

Gesund
24.08.2018 06:00

Fitness-Posts und hippe Diät-Anleitungen von untergewichtigen Bloggerinnen können das Körperbild besonders von jungen Frauen und Männern ins Ungesunde verändern, sie sogar in den Magerwahn treiben.

Eingezogener Bauchnabel, Selfie-Perspektive von schräg oben, Schattenwirkung, die (angebliche) Sixpack-Muskeln betont, hervorstehende Wangenknochen, daneben nur eine Wasserflasche und ein Salat: So präsentieren sich moderne Mädels, Promis und Sportbegeisterte gerne im Internet. Nun ist ja gegen Bewegung und Körperbewusstsein nichts einzuwenden, im Gegenteil! Doch genau dieser sinnvolle Trend wird oft ins ungesunde Gegenteil verkehrt, wenn es um ein unnatürliches, fremdbestimmtes Selbstbild geht.

„Unter dem Deckmantel der Fitness werden teilweise Symptome von Essstörungen verschleiert. Die Bilder der jungen, untergewichtigen Bloggerinnen, die zeigen, wie man trainieren soll und welche Diät die beste ist, können den Einstieg und Verlauf einer Essstörung ungünstig beeinflussen“, bestätigt Verena Rameseder, Leiterin der sozialtherapeutischen Wohngruppe für junge Menschen mit Essstörungen Diakonie Zentrum Spattstraße in Linz.

Die Krankheit hat dich fest im Griff
Laut Österreichischem Frauengesundheitsbericht sind schätzungsweise 200.000 Österreicher von Essstörungen betroffen. 7500 Mädchen und Burschen leiden akut an Magersucht und Bulimie, viele müssen in Spitalsbehandlung. „Die Essstörung ist heimtückisch. Du glaubst, du hast die Krankheit überwunden, und plötzlich braucht es nicht viel, und sie hat dich wieder im Griff“, beschreibt es Marianne, die ihre Essstörung mit 13 bekam und mit 16 Jahren eine Therapie in der Wohngruppe KAYA begann. Prim. Dr. Michael Merl, zuständig für die medizinische Begleitung: „Wir betreuen hier junge Menschen mit Anorexie, Bulimie und atypischen Essstörungen. Viele von ihnen haben bereits Krankenhausaufenthalte hinter sich. Nach der Akutbehandlung im Krankenhaus können sich junge Menschen hier stabilisieren und wieder einen gesunden Zugang zu ihrem Körper und zum Essen entwickeln.“

Die insgesamt 16 Bewohner ab 12 Jahren gestalten zusammen mit ihren Betreuern den Alltag, kochen und essen gemeinsam, kümmern sich um ihre Ausbildung und wollen ihre Leben meistern. Die intensive Betreuung hat auch Marianne unterstützt, wieder Halt zu finden und den Anforderungen in der Schule stand zu halten. Mehrere ambulante und stationäre Therapien haben der jungen Frau immer nur kurzfristig geholfen - Heißhungerattacken folgten Essensverweigerung, exzessiver Sport, Selbstverletzung.

Problematisch: Vom Spital zurück ins Leben
Der Weg vom Spitalsalltag zurück ins Leben draußen gestaltet sich für Betroffene problematisch, denn das Thema Essen, Figur, Aussehen usw. sind allgegenwärtig. „Besonders schwierig ist es für mich mit den Schulkolleginnen, die begeistert die Postings auf Instagram und Pinterest teilen und von trockenen Reiswaffeln und Gemüse-Sticks leben. Sie probieren eine Diät nach der anderen aus und reden ständig darüber. Wenn ich mit meinem Jausenbrot daherkomme, werde ich schief angeschaut. Dinner-Cancelling ist in und steht im Widerspruch zum regelmäßigen Abendessen in der Wohngruppe. Es ist echt schwer, mich davon nicht beeinflussen zu lassen und die vielen Fotos und Meinungen aus Sozialen Medien kritisch zu betrachten“, gibt Marianne offen zu.

Das Mädchen ist mittlerweile 18 geworden und hat es nicht nur in die Maturaklasse geschafft, sondern auch ihre Bulimie überwunden. Sie weiß nun, dass sie keinen Einzelfall darstellt und nicht hilflos ausgeliefert sein muss. Denn Essstörungen sind weder Ernährungsprobleme noch ein Life-Style, sondern ernstzunehmende Erkrankungen - immer mehr junge Männer sind unter den Patienten!

Nicht schweigen, Expertenrat einholen, z. B. auch bei der Hotline für Essstörungen! Ein Team aus qualifizierten Beraterinnen steht Betroffenen, Angehörigen, aber auch Fachleuten und allen, die Fragen zu dem Thema haben, von Montag bis Donnerstag, 12 bis 17 Uhr, unter 0800 20 11 20 zur Verfügung.
E-Mail: hilfe@essstoerungshotline.at
Info:www.essstoerungshotline.at

Karin Podolak, Kronen Zeitung

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