Mavie Hörbiger

Das Zauberwesen von Salzburg

Adabei
13.08.2018 06:00

Mavie Hörbiger (38) ist eine der aufregendsten Schauspielerinnen unserer Zeit geworden. Ein Stück über Abschiede, Veränderungen, #MeToo-Angriffe und Frauen um die 40.

Ein abgezehrtes, mumienhaft bandagiertes Gespenst unter 40 Grad Hitze: Klar, dass sich die paar „Guten Werke“ des Prassers, Menschenschinders und Gotteslästerers Jedermann nur elend über den sonnenglühenden Domplatz schleppen können. Zehn Gehminuten weiter, am Festspiel-Schauplatz Republic, hängt das herzensgute Zwergengeschöpf Pitzkele an den Lippen eines alten Schmierenkomödianten, der sich in der israelischen Hinterprovinz durch die letzten Meter seiner Karriere martert. Die Dramatisierung des Romans „Kommt ein Pferd in die Bar“ von David Grossman ist ein feines Ereignis der Salzburger Festspiele und wird im September vom Burgtheater übernommen.

Pitzkele und „Gute Werke“ werden von Mavie Hörbiger verkörpert, und das ist es, was man eine fundamentale Wandlung nennt. Aus dem wilden glamourösen Twen von damals, Tochter des Münchner Nachtklubkönigs Tommy Hörbiger - seines Zeichens Sohn des großen Paul -, ist eine der aufregendsten Schauspielerinnen unserer Zeit geworden. Aus den familiären Zelebrationen um Großtante Paula Wessely und Großonkel Attila Hörbiger, um die Tanten Christiane Hörbiger und Elisabeth Orth, um die Cousins Cornelius Obonya und Christian Tramitz hält sie sich heraus. Nur ein Faible für die Halbwelt sei ihr aus den wilden Münchner Jahren geblieben, räumt sie ein. „Ich mag die Nacht, wenn es schillert.“

Vor elf Jahren hat Mavie Hörbiger bei den Festspielen im „Sommernachtstraum“ debütiert: Ein Zauberwesen aus Licht wehte da im Zustand der Verlorenheit durch das Gestrüpp der Triebe. Hätte sie es sich damals im dünn besetzten Segment der durchschimmernden Feenwesen bequem gemacht: Sie hielte bis heute mühelos das Monopol, und das noch viele Jahre.

„Ich bin doch so überhaupt keine Buhlschaft!“
Doch wohin hat diese Karriere seither geführt! Die von Anbetern aller Altersklassen betriebenen Fan-Seiten sind stillgelegt. Die von einem Pornomagazin unerbeten verliehene Bronzemedaille als „Sexiest Woman of the Universe“ (hinter Britney Spears und Heidi Klum): vergessen. Wichtig sind die beiden Kinder, neun und fünf Jahre alt, und dass auch deren Vater, der geniale Komödiant Michael Maertens, im Burgtheater-Ensemble bleibt. Wünsche ans Theater? Prinzipiell nie, aber der Teufel im „Jedermann“ würde sie reizen. Nicht die Buhlschaft, die allseits erwartet worden war, ehe Stefanie Reinsperger den Zuschlag bekam? „Quatsch!“ Die bestrickend rauchige Stimme hebt sich um eine kleine Terz. „Ich bin doch so überhaupt keine Buhlschaft! Das könnte ich auch gar nicht.“

Zuletzt wurde verbreitet, sie würde, wie viele andere Kollegen, vom designierten Burgtheaterdirektor Martin Kušej mit September 2019 verabschiedet. „Ja, das Gerücht, dass ich gehen müsse, hielt sich hartnäckig“, sagt sie. „Aber ich bleibe, und ich freue mich darauf. Ich freue mich, dass Kušej eine politisch klare Haltung bezieht“, kommt sie auf die aktuelle politische Situation. „Das interessiert mich, da bin ich gern in vorderer Linie dabei.“

Aber Kušej wütet doch erheblich im Ensemble, kündigt neben dem bewährten Stab auch 19 Schauspieler. Obwohl man doch die Krise nach der Entlassung des Direktors Matthias Hartmann mit Engagement und Zusammenhalt gemeistert hat. Tut es nicht weh, sich von so vielen Kollegen trennen zu müssen? „Natürlich. Ich bin jetzt zehn Jahre am Haus, und andere Kollegen sind es noch sehr viel länger. Es ist jetzt schon komisch, zu wissen, dass der und der bald nicht mehr da sein wird. Vor Veränderungen darf man als Künstler keine Angst haben, aber das Menschliche ist schon stark. Man hofft, dass man den Kontakt nicht verliert, nach der langen Zeit. Aber“, fügt sie mit Blick auf den SPÖ-Politiker Thomas Drozda hinzu, „die Veränderung war ja auch ein Wunsch des Kulturministers.“

Den offenen Brief, in dem das Ensemble Alt-Direktor Hartmann vier Jahre nach seinem Zwangsabgang mittels stumpfer #MeToo-Instrumentarien angriff, hat sie nicht unterschrieben. Viele interpretierten ihn als eine Art Warnung an den kündigungsfreudigen Kušej. „Ich fand das albern“, sagt sie. „Meiner Meinung nach entstand das Ganze aus Angst vor dem, was Kušej vorhat.“

Zum Nachtreten sieht sie sich unbegabt: „Ich wünsche dem Matthias, dass er nach seiner Rehabilitierung wieder ein Haus bekommt. Ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet, weil ich ohne ihn nicht wäre, wo ich heute bin. Er hat mich engagiert, nachdem ich schon vorher an mehreren Häusern mit ihm gearbeitet hatte.“

Nur noch wenige Rollen für Frauen ab 40
Im nächsten Jahr steht, unglaublich, der Vierziger an. „Schiss“, so sagt sie, habe sie vor dem Termin keinen. „Es ist, wie es ist. Aber in meinem Beruf merkt man den wahnsinnigen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Ein Mann in meinem Alter ist der Prinz von Homburg und der Hamlet, und mir bleibt die Amme. Da fängt die Schere an, riesengroß zu werden. Und man kommt drauf, dass die Theatergeschichte aus der Sicht eines weißen Mannes erzählt wird.“ An fünf Fingern könne man die jetzt winkenden Rollen abzählen, sagt sie und erhofft sich Abhilfe von neuen Autoren.

Das Gespräch kehrt an den Beginn zurück. Was sich nicht alles in den elf Jahren seit dem Salzburger Debüt geändert hat! „Ich habe zwei Kinder geboren, und ich bin älter geworden. Älter und erschöpfter, menschlich und politisch. Die ganze Welt hat sich verändert“, verweist sie auf Donald Trump, die in Deutschland erstarkende AfD und die hierzulande regierende FPÖ. „Auch das erschöpft mich.“

Im Film ist sie nach wie vor eine elegante Adresse. Aber irgendwann war klar, dass das Herz für das Theater schlägt. Dass Ruhe und Konzentration die bessere Wahl sind, wie auch nicht mit zwei Kindern. „Ich kann nicht so wahnsinnig viel reisen und sofort mit neuen Menschen umgehen. Vielleicht weil ich sehr schüchtern bin. Und so ein Theater hat etwas von Daheimsein. Man kennt jede Stufe, jeden Schritt auf dem Weg von zu Hause. Das ist ein Raum, in dem ich mich sicher fühle. Da kann mir keiner was“, sagt sie und dankt für den „unglaublichen Luxus, dass ich es mir überhaupt aussuchen darf“. Angst vor dem Leben? „Nein, noch nicht. Noch bin ich auf der sicheren Seite.“

„Sie ist eine Ausnahmeschauspielerin, ein Phänomen“, sagt Tobias Moretti, der aktuell aufgrund einer Lungenentzündung in Salzburg von Philipp Hochmair vertreten wird. „Diese Kraft, diese grenzenlose Neugier bis zur Selbstzerstörung auf der Bühne! Für solche Menschen ist das Theater erfunden.“

Heinz Sichrovsky, Kronen Zeitung

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(Bild: kmm)



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