„Krone“-Interview

White Lies: „Sind nicht die größte Band der Welt“

Musik
18.07.2018 07:00

Auch wenn die Karriere der White Lies bislang nicht immer friktionsfrei verlief, haben sich Harry McVeigh und Co. in den letzten zehn Jahren einen beachtlichen Status in der Szene erarbeitet. Bevor man in einigen Wochen das fünfte Studioalbum vom Stapel lassen wird, kann man das Trio Ende Juli beim Vorarlberger poolbar-Festival in Österreich noch einmal live sehen.

(Bild: kmm)

Die gute Nachricht zuerst: die britischen Indie-Synthrocker White Lies haben laut ihren sozialen Plattformen endlich ihr neues Studioalbum abgeschlossen und feilen nur noch an den Details. Die schlechte Nachricht: bis zum einzigen Österreich-Gig dieses Jahr am 29. Juli beim poolbar im Alten Hallenbad in Feldkirch wird sich eine Veröffentlichung nicht mehr ausgehen. Dem smarten Trio aus dem West-Londoner Stadtteil Ealing wird das in erster Linie freilich egal sein, denn nach zahlreichen Ups und nicht zu vernachlässigenden Downs haben Sänger Harry McVeigh und Co. alle Turbulenzen hinter sich gelassen und sich wieder in ruhigeres Fahrwasser manövriert.

Senkrechtstart
Begonnen hat die Erfolgsstory der Briten mit dem Debütalbum „To Lose My Life…“ 2009. Während des letzten großen Aufatmens der britischen Indie-Szene, als die Editors und Interpol am Zenit ihrer Schaffenskraft waren, pflügten die White Lies mit juvenilem Ungehorsam aus dem Stand auf Platz eins der britischen Albumcharts. Ein neues Bandwunder war geboren und die hochmelodischen, nachdenklichen und teilweise mit einem 20-köpfigen Orchester veredelten Songs zeigten genau die richtige Dosis selbstsicherer Großspurigkeit, ohne sich allzu sehr vom Planeten Erde abzukoppeln. Weitere starke Alben und Touren bzw. Auftritte mit Top-Bands wie Coldplay, Muse oder den Kings Of Leon folgten. Zum ganz großen Durchbruch reicht es aber nicht, was McVeigh nicht negativ sieht. „Wir hatten niemals eine Top-10-Single und keinen großen Hit, sind die klassische Albumband. Außerdem sind wir drei wirklich uncoole Typen.“

Gerade die Ehrlichkeit zu großen Momenten und dicken Melodien hat die White Lies stets vom Gros des vornehmlich britischen Mitbewerbs abheben lassen. Der Mut, gegen hippe Trends anzuspielen, wurde zum Markenzeichen des Trios. „Solange es noch Prog-Rock-Bands gibt, die auf der Bühne frickeln, sind wir zumindest nicht die Uncoolsten“, lacht der Frontmann, „wir öffnen uns in unseren Songs aber immer so weit wie möglich. Man muss eine emotionale Vision haben, um das richtige Gefühl in einem Song transportieren zu können. Für die großen Trends waren wie nie zuständig. Von der derzeit erfolgreichen Chartmusik packt mich aber auch zu wenig. Ich verschließe mich nicht, aber sie trifft meinen Geschmack nicht. Ich ertappe mich heute selbst dabei, mir Spotify-“Hitlisten„ zusammenzustellen, auch wenn das für eine Band die Alben liebt natürlich verwerflich ist.“

Nur wenig Regeln
Die veränderten Mechanismen im Musikbusiness kamen den White Lies schlussendlich zugute. Zuerst verloren sie nach „Big TV“ (2013) ihren Majorplattenvertrag, danach zog McVeigh für seine Frau nach San Francisco. Eine Zäsur, die nur anfangs schockierend, dann aber vielmehr befreiend auf die Band wirkte. „Früher hatten wir die Musik immer daheim im stillen Kämmerchen aufgenommen, aber nachdem wir weder Zeit- noch Veröffentlichungsdruck hatten, probierten wir andere Aufnahmewege.“ Bevor „Friends“ 2016 via BMG erschien, griffen die White Lies auf ganz profane Mittel zurück. „Allein schon durch Laptops und Smartphones kannst du heute überall Musik kreieren - das hat wohl auch dazu geführt, dass das Album ungewohnt hell und fröhlich klang. Bei uns gibt es keine Regeln, außer dass wir möglichst international klingen wollen und ich versuche, meinen britischen Dialekt sukzessive zurückzuschrauben.“

Durch die Umsiedlung in den Sonnenstaat Kalifornien wird zumindest das Dialektproblem ein zunehmend geringeres werden. Am Wichtigsten war ohnehin, dass McVeigh dadurch in einen Kreativitätsrausch verfiel. „Als ich dort hinzog kannte ich anfangs so gut wie niemanden und saß den ganzen Tag am Piano, um Songs zu komponieren. Je mehr ich spielte, umso mehr wurde ich einen Strudel der Musik gezogen. Ich entdeckte vor allem die klassische Musik für mich. Die Landschaft in diesem Bereich ist unheimlich aufregend und beeindruckend. Es gibt tonnenweise Komponisten in der Klassik, die mich auf Knopfdruck zum Weinen bringen können. Keine Musik beinhaltet derart viel Emotion. Ich würde wirklich jedem raten, speziell Bach zu hören. Er wird eure Sichtweise auf die Populärmusik garantiert verändern.“

Humordiskrepanzen
Die Veränderung in seinem Leben hat McVeighs Geist geöffnet und ihn in vielen Bereichen herausgefordert. „Man muss sich schließlich aktiv um neue Bekanntschaften und Freundschaften kümmern, kann sich nicht immer nur in den eigenen vier Wänden verkriechen, denn sonst vereinsamt man schnell. Es war einfach der richtige Zeitpunkt, um ins kalte Wasser zu springen. Wir haben erst drei Monate vor dem kalifornischen Jobangebot meiner Frau geheiratet und haben noch keine Kinder - wenn nicht zu diesem Zeitpunkt, wann sollte man so einen Schritt sonst wagen? Der Zeitpunkt war einfach perfekt.“ Am meisten fehlt dem Frontmann der europäische Humor. „In England verarscht man sich gerne selbst und packt Humor oft in Depression und Selbstmitleid. Die Amerikaner lachen über andere, aber ohne ironische Selbstreflektion. Und an der US-Westküste kannst du kaum einen Weg ohne Auto erledigen - das ist für einen Europäer völlig unverständlich.“

Unterschiedlich sind auch die Herangehensweisen an den Broterwerb. „Natürlich lebt hier der amerikanische Traum. Arbeite hart, habe genug Selbstvertrauen und glaube an dich - dann wirst du erfolgreich sein. Ich würde das aber damit erweitern, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss. Wir Briten wissen genau, woher wir kommen. Die Amerikaner leben nach der Theorie, dass jeder vom gleichen Standpunkt aus startet, was einfach nicht stimmt. Es gibt Menschen mit Vor- und Nachteilen, darüber sehen die Amerikaner gnädig hinweg. Vielleicht ist das aber auch der Grund für die große Selbsthingabe der Briten. Dass wir immer glauben, wir würden unseren Erfolg nicht verdienen. Das kann auch hilfreich sein und hält dich wach und bescheiden.“

Live beim poolbar-Festival
Die nächsten Wochen werden weisen, inwiefern sich die White Lies auf ihrem fünften Album präsentieren werden. McVeigh lebt längst mit einem entspannten Realismus. „Wir sind nicht die größte Band und werden das auch niemals werden. Aber wir sind gut genug, um bemerkt zu werden und tolle Konzerte spielen zu dürfen.“ So wie am 29. Juli im Alten Hallenbad in Feldkirch im Zuge des poolbar-Festivals. Karten erhalten Sie noch unter www.oeticket.com.

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