„Letztes Budgetauto“

Dacia wird 50: Erfolg in der globalen Nische

Motor
16.07.2018 10:00

Die rumänische Renault-Tochter hat ihr Image vom postsowjetischen Plastikmobil mühsam abgeschüttelt. Auch wenn sich alte Vorurteile noch halten mögen. Inzwischen schließen sie zur Konkurrenz auf und punkten mit dem Luxus der Bescheidenheit.

(Bild: kmm)

Als Nicolae Ceausescu 1968 das Steuer des Dacia 1100 selbst übernahm, der im noch jungen Werk von Pitesti als Erster vom Band lief, konnte der berüchtigte rumänische Diktator natürlich nicht ahnen, dass er fünfzig Jahre später nichts als eine schreckliche Erinnerung sein würde. Aber aus der Automarke, die nach der antiken oströmischen Provinz Dacia benannt wurde, entwickelte sich eine kleine Erfolgsstory mit günstigen Autos für einen globalen Markt und zehn Werken von Brasilien bis Indien.

Schon der 1100 basierte auf dem Renault 8, aber seit der kompletten Übernahme 2004 ließen sich die Franzosen das Update der Tochter über zwei Milliarden Euro kosten. Eine einst belächelte Investition, die fünf Millionen verkaufte Autos weltweit bescherte. Und durch Modelle wie beispielsweise den gerade runderneuerten SUV Duster z.B. in Deutschland immerhin inzwischen einen Marktanteil von 1,8 Prozent generierte. Tendenz steigend.

Von Rivalen unterschätzt zu werden kann durchaus von Vorteil sein. Ein Schicksal, das Dacia mit seinem Mutterland am Rande Europas teilt: Denn so, wie die Autos ihrem kantigen, speziellen sowjetischen Charme entschlüpft sind, entspricht auch Rumänien längst nicht mehr dem Bild vom Armenhaus der EU. Um ein jährliches Wirtschaftswachstum von gut 8,5 Prozent gäben andere Europäer etwas. Wobei die Groupe Renault mit drei Prozent Anteil zur rumänischen Wirtschaftskraft beiträgt. Die Gehälter, heute im Durchschnitt um umgerechnet 715 Euro, wachsen jedes Jahr um zehn Prozent.

Und in Bukarest, der einst verfallenen, schönen Metropole im Stil von Paris, spürt man die Aufbruchsstimmung dank vieler junger Start-ups, der Tradition guter Bildungsmöglichkeiten, und die Lust am Konsum. Noch aber sind die Gehälter niedriger als anderswo. Das zieht die Autoindustrie an sowie große Zulieferer wie den Sitzhersteller Faureccia oder Continental. Dass aber sogar an den städtischen Bussen der Millionenstadt die Hotline für Antikorruption prangt, verweist immer noch auf ein brisantes Problem Rumäniens.

Billigmarke mit Höchstlöhnen
Knapp 130 Kilometer von Bukarest entfernt liegt Pitesti, wo 1966 das erste Werk entstand und der 1100 nach alter Schule zusammengebaut wurde. Heute bestimmt auch hier in der riesigen Produktionsstätte, in der unter anderem der kompakte Sandero, das SUV Duster, der Kombi Logan MCV und der Renault Symbol als Clio für Schwellenländer gefertigt werden, die Strategie der voll digitalisierten Industrie 4.0 die Arbeitsabläufe. Wer hier arbeitet, erzählt Antoine Doucerain, CEO von Dacia, bekommt einen Stundenlohn, der 20 Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt. Über 30 Prozent der Belegschaft sind weiblich, davon erstaunliche 21 Prozent direkt in der Fertigung, zum Beispiel beim Punktschweißen der Karosserieteile. „Diese selbstverständliche Gleichberechtigung ist eine der wenigen positiven Folgen des Kommunismus.“

Alle 54 Sekunden ein Dacia
Worauf man besonders stolz verweist, sind die 800 Industrieroboter, die hier den Männern und Frauen mit ihrer unermüdlichen mechanischen Kraft zur Hand gehen und in speziellen Fertigungsstationen ihrem Menschen zuarbeiten. Die allgegenwärtigen Tablets und Monitore gehören ebenso zur übrigens japanisch inspirierten Prozessoptimierung wie die emsigen unbemannten Transporter, die Teile zur Fertigungslinie anliefern - schließlich läuft hier alle 54 Sekunden ein Dacia-Modell vom Band. Es gibt in der Welt noch viel modernere Produktionsstätten, aber für eine Marke, die immer den Zusatz billig erhielt, ist es ein großer Schritt im Wettlauf mit der Konkurrenz. Denn günstig ist nicht dasselbe wie billig.

Sylvain Coursimault dürfte als Internationaler Direktor Marketing Dacia nicht oberster Verkäufer sein, wenn er diese Entwicklung nicht auf eine griffige Formel brächte. „Statt dem Image des Sparkaufs setzen wir jetzt auf die smarte Entscheidung des Kunden. Dacia profitiert von der Infrastruktur der Allianz zwischen Renault und Nissan nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern durch die konzernweite Plattformstrategie. Dieses “Global Access„-Programm der Groupe Renault wurde 2004 mit dem Logan initiiert, der auch nach seiner Markteinführung 2005 in Deutschland mit nur 7.500 Euro Grundpreis erste Kunden gewann.

“Eines der letzten Budgetautos„
So firmiert der Renault Captur in Russland als Kaptur, gefertigt in Moskau, und das im indischen Chennai gebaute Mini-SUV Kwid kann durch diesen Standort für sensationelle 4000 Euro angeboten werden. “Es gibt nicht mehr viele echte Budgetautos. Einst gehörte Skoda auch dazu, aber die bewegen sich inzwischen auch in einem höheren Segment. Weil die Modelle einen so niedrigen Einstiegspreis haben, bestellen Käufer regelmäßig bis zu 3000 Euro an Extras.„ Und noch ein Aspekt freut Coursimault: “Wir erzielen die höchsten Restwerte wie beispielsweise bei der kompakten Sandero-Familie. Für das, was andere Marken nach zwei Jahren verlieren, können Sie sich einen neuen Sandero kaufen". Man erinnert sich, dass auch Volkswagen noch vor Jahren ein Budget-Auto plante.

Allein 2017 war der Sandero (Grundpreis: in Deutschland 6990 Euro, in Österreich 7590 Euro) mit über 24.000 verkauften Einheiten das meistverkaufte Dacia-Modell in Deutschland. Weltweit unterschrieben rund 500.000 Interessenten einen Kaufvertrag. Schon an zweiter Stelle rangiert der SUV Duster, der mit 11.490 Euro (in Österreich 11.990 Euro) für die zweite Generation nur knapp 1000 Euro über dem Vorgänger liegt, dafür aber neben einem attraktiven Design und einer höherwertigen Anmutung auch Ausstattungen wie Klimaautomatik und Multiview-Kamera bietet, die kaum nach schlampig verarbeiteter Plastikaskese riechen.

Zwei Milliarden für Entwicklung und Versuch
Dass die oft bemängelte Geräuschdämmung des ersten Duster der Vergangenheit angehört, liegt auch an Titu. Von den zwei Milliarden Euro, die Renault in das einstige östliche Mauerblümchen investierte, sieht man hier den unmittelbaren Effekt. Denn hier, rund 60 Kilometer von Bukarest entfernt, unterhält die Gruppe das zweitgrößte Zentrum für Entwicklung und Versuch. Noch haben Franzosen die Führungspositionen inne, aber mit Alexander Simionescu einen Rumänen als Leiter der Technologie. Zehn Prüfstände, die von Akustikkammern, über Roboterarme, die Tausende von Malen Fahrzeugtüren öffnen und schließen bis hin zu Infrarotkammern reichen, in denen Mitarbeiter in Raumanzügen Lichtbeständigkeit testen, bieten jede Form der Vorserien-Tortur.

Daneben liegt eine insgesamt 32 Kilometer lange Teststrecke. Hier befinden sich auch spezielle überdachte Abschnitte, die globale Straßenverhältnisse für Modelle mit globalem Anspruch bereithalten. Hier durfte der Duster nicht nur durch Wasser pflügen, er musste Sand- und Schlammpisten ebenso meistern wie sich intensiv marktspezifisch mit salzhaltiger Luft anblasen lassen. Von diesen Erprobungen profitieren neue Dacia-Modelle genauso wie die anderen Exportmodelle von Renault. Das sind aber auch die oft beschworenen Synergieeffekte, die Kosten verteilen helfen. Ohne ein Zentrum wie Titu, ein Werk wie Pitesti und die Skalierbarkeit der Komponenten, wäre vielleicht auch Dacia untergegangen wie einst Ceaucescu. Wer Statusdenken nicht nötig hat, so einst die Werbung, entscheidet sich für einen Dacia. Aber hinter dem Charme der Bescheidenheit verbirgt sich dennoch globales Selbstbewusstsein.

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(Bild: kmm)



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