styriarte in Graz:

Beethovens „Fidelio“ in der Flüchtlingskrise

Steiermark
14.07.2018 21:00

Es ist die kontroverseste Produktion der heurigen styriarte: Dramaturg Thomas Höft inszeniert Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“ mit Videoeinspielungen von Flüchtlingen als tagespolitisches Manifest. Zwischentöne sucht man trotz der Leistungen des Festspielorchesters unter Andrés Orozco-Estrada dabei vergebens.

Seien wir ehrlich: „Fidelio“ ist eine plumpe Oper. Jeder Nebenstrang, der der Handlung um einen politischen Gefangenen und seiner heldenhaft zur Rettung eilenden Frau störende Zwischentöne abverlangen könnte, versandet spätestens nach dem ersten Akt unter einem riesigen Schwulst an Menschheitspathos. Eben darum ist die Oper aber auch so erfolgreich: Beispiellos mitreißend setzt sie das abstrakte Reich der Utopie in Szene, das (fast) ganz ungetrübt ist von Mehrdeutigkeiten jeder Art.

Tagespolitisch umgedeutet
Thomas Höft will sich damit nicht begnügen und deutet die Oper tagespolitisch um. Zwischen ihre Stücke reiht er Videointerviews mit Flüchtlingen, die als ständige Querverweise den Basso Continuo seiner gesprochenen Rahmenerzählung bilden, welche die langatmigen Dialoge des Originals ersetzt. Diese erschütternden Berichte von Folter, Not und Vertreibung sind, das sei hier deutlich gesagt, über jeden Zweifel erhaben.

Das Problem ist, dass sie in Verbindung mit der edel-einfältigen „Fidelio“-Utopie eine Kategorienverschiebung bewirken: Aufgeladen mit einer Moral, die keine Fragen stellt, wird aus den vorsortierten Wirklichkeitsfragmenten, die die eine Seite der komplexen Migrationsmaterie bilden, deren ganze Wahrheit. Ein Humanismus aber, der statt Diskurs Gefolgschaft fordert, nicht nachfragt, sondern überwältigt, ist sein eigenes Gegenteil. Dass Höft anfangs erklärt, er wolle heute nur „die andere Seite“ der Flüchtlingskrise zeigen, ist symptomatisch: Bitte keine Debatten auf der Bühne, wir wollen mit unserer Meinung unter uns bleiben!

Wichtige Fragen - pathetisch umrahmt
Das ist doppelt schade, da Höft, abseits der pathetischen Umrahmung, durchaus wichtige Fragen stellt: Bevor „Marzelline“ Tetiana Miyus ihren bezaubernd intimen Sopran in „Mir ist so wunderbar“ führt, erläutert er, dass die Hoffnung Einzelner oft ambivalente Formen zeitigt: Als „Jaquino“ Jan Petryka dann zur selben Melodie über dem an leisen Stellen wunderbar traumverlorenen Orchester sein Leid klagt, wissen wir, wieso.

Überhaupt ist spannend, wie die von Orozco-Estrada gekonnt geführte Musik die Probleme der Inszenierung konterkariert: „Florestan“ Johannes Chum und „Leonore“ Johanna Winkel sind in ihrer Verzweiflung und Lyrik ergreifend stark, wirken aber leicht gepresst in den polternden Pathosszenen, „Rocco“ Thomas Stimmel ist kräftig und stoisch wie seine Figur, und Jochen Kupfer gibt seinem „Pizarro“ eine expressiv beißende Note, die dem sonst starken Orchester an den dunklen Stellen zuweilen fehlt: Die Dämonen müssen draußen bleiben.

Felix Jureček

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