„No Brexit, no Brexit“

Chaostage in London: Die Zeichen stehen auf Sturm

Ausland
11.07.2018 06:05

Großbritanniens Kämpfer für die EU sind ein kleiner Haufen, aber dafür lautstark. Mit Megafonen brüllen sie in die Downing Street hinein: „No Brexit, no Brexit!“

Theresa May kann die Dauerbeschallung kaum überhören, auch nicht, als sie den EU-Ratsvorsitzenden Sebastian Kurz in Nummer 10 empfing - in ihrer dunkelsten Stunde. Diese Frau ist durch die Revolte in ihrer Regierung schwer gedemütigt, aber sie hat unheimliche Steherqualitäten. Nichts ist ihr anzumerken, cool geht sie ihren Weg.

May erläuterte Pläne für „weichen Brexit“
Kein Wort darüber, wie sie das weitere Schicksal ihrer Regierung einschätzt. Stattdessen erläuterte sie dem Kanzler im Detail ihren Fahrplan für einen „weichen Brexit“.

Die Zeichen stehen auf Sturm
Dabei stehen die Zeichen auf Sturm - für diese Regierung und für Britannien. Neun Monate vor dem Ausscheiden aus der EU taumelt das Land in einem politischen Tohuwabohu der Stunde der Wahrheit entgegen. Zwei Jahre nach dem Brexit-Votum sind noch gar keine richtigen Verhandlungen mit der EU aufgenommen.

Chaostage in London: Nach der Revolte in ihrer Regierung droht Theresa May die Revolte in ihrer Partei mit den Hardlinern, die einen strikten Bruch mit der EU anstreben. Und die Revolte kann schon in den nächsten Tagen in ein Misstrauensvotum im Parlament münden. Kommen Neuwahlen? Kommt ein Machtwechsel zur Labour-Party, die in der Brexit-Frage ebenfalls gespalten ist?

Mit steinernem Gesicht sitzt Theresa May im Unterhaus auf der Regierungsbank, als sei nichts geschehen, während ihr Labour-Chef Jeremy Corbyn, selbst ein EU-Skeptiker, von der anderen Front Bench und mit höhnischer Begleitmusik aus den Reihen der Opposition entgegenschleudert: „Wie kann irgendjemand der Premierministerin zutrauen, einen Deal mit 27 EU-Regierungen zustande zu bringen, wenn sie nicht einmal einen Deal in ihren eigenen Reihen schafft?“

Die Regierungschefin zeigt Entschlossenheit
Zäh und hartnäckig bekundet Theresa May die Entschlossenheit, unbeirrt an ihrem Kompromisskurs festzuhalten, nämlich aus der EU auszutreten, danach aber möglichst eng an die EU anzudocken. Allerdings: Es gibt im Unterhaus keine Mehrheit mehr, für nichts, während die Uhr tickt. Um im Lande Shakespeares die Frage aller Fragen zu stellen: Kommt der Königinnenmord?

Der am Montag zurückgetretene Ober-Rebell Boris Johnson wettert im Abschiedsbrief gegen die Erniedrigung Großbritanniens zur „Kolonie der EU“, klingt aber, als gebe er die Schlacht verloren: „Der Brexit-Traum stirbt, erstickt von unnötigen Selbstzweifeln.“

Kommentar von Kurt Seinitz
Britische Minister gehen, die britische Regierung kann sich kaum noch im Sattel halten, aber die Brexit-Problematik bleibt. Das britische Wahlvolk würde sich nach all den schlechten Erfahrungen der letzten zwei Jahre gewiss kein zweites Brexit-Ja mehr antun. Andererseits ist das Geschehene auch nicht mehr rückgängig zu machen.

Das heißt: Die Hardliner und Störenfriede haben die beste Zeit hinter sich. Wenn Theresa May oder ein anderer Brite, der noch nicht völlig den Verstand verloren hat, entschlossen den Kurs eines „weichen Brexits“ durchzieht, dann besteht die Chance, den Selbstzerstörungsprozess des Landes doch noch aufzuhalten. Zumal die EU die Bestrafungsgelüste nach dem Referendum verloren hat. Dennoch können die Austrittsverhandlungen noch zum Albtraum werden.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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