Magersucht und Co.

Alter schützt vor Essstörung nicht

Gesund
14.07.2018 06:00

Nicht nur Teenager sind von diesen psychischen Störungen betroffen, sondern immer häufiger auch Menschen in reifen Jahren. Diese nimmt man mit ihrem Problem oft jedoch nicht ernst genug. Dabei gibt es Hilfe!

Bei dem Begriff „Magersucht“ denken viele an Teenager-Mädchen und Models, bei „Bulimie“ (Ess-Brech-Sucht) haben die meisten junge Frauen wie damals Lady Diana im Gedächtnis. Dass jedoch sogar über 70-Jährige von Essstörungen betroffen sein können, kommt den wenigsten Menschen in den Sinn. Auch gibt es zu diesem Thema (noch) nicht sehr viele Studien. An Belegen zur Häufigkeit bei Frauen und Männern über 60 Jahre mangelt es daher.

„Essstörungen sind allerdings in jedem Alter ein Thema“, bekräftigt die Psychologin Prof. (FH) Dr. Karin Waldherr, Ferdinand Porsche FernFH, Wiener Neustadt. „Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass dieses Problem sogar im Steigen begriffen ist. Aufgrund fehlender historischer Daten kann dazu jedoch keine zuverlässige Aussage gemacht werden. Immer mehr Ältere suchen aber diesbezügliche Beratungsstellen auf. In einzelnen Studien wurden unter Frauen ab 60 Jahren rund drei Prozent Betroffene festgestellt.“ Auch Männer in höherem Alter können übrigens Essstörungen aufweisen. Hier zeigt sich zumeist das „Binge Eating“- Syndrom. Darunter versteht man immer wiederkehrende „Fressanfälle“ ohne Gegenmaßnahmen. „Während Magersucht meist im Alter von 10 bis 20 Jahren beginnt, zeigt sich bei dieser Essstörung eine kontinuierliche Zunahme an Neuerkrankungen bis zum Alter von 40 bis 45 Jahren sowie eine weitere bei 55 bis 60-Jährigen“, so Dr. Waldherr.

Grundsätzlich kann man jedoch feststellen, dass eine Vielzahl der im fortgeschrittenen Alter Betroffenen bereits in jungen Jahren eine Essstörung aufwiesen. In vielen anderen Fällen lag zumindest ein erhöhtes Risiko vor bzw. war die Krankheit nicht vollständig ausgebrochen. Schon damals fanden diese Personen Gewicht und Aussehen auffallend wichtig. Die Probleme wurden allerdings oft nicht richtig bemerkt oder beachtet. „(Wieder)auslöser stellen dann meist kritische Lebensübergänge dar. Ältere Patientinnen berichten hier oft von Scheidung, Tod des Partners, Pensionierung oder dem Auszug der Kinder“, so Dr. Waldherr. „Gerade Frauen können in den mittleren Jahren dann das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren und an Selbstwert einzubüßen. Wird das Selbstkonzept zusätzlich stark von der Zufriedenheit mit Gewicht und Figur beeinflusst, beginnen manche mit ungesunden Diäten. Die Frauen können so in eine Essstörung rutschen.“ Weiters ist der Druck auch auf ältere Menschen, lange schlank und attraktiv zu bleiben, im Laufe der vergangenen Jahrzehnte größer geworden. Einer Studie aus den USA zufolge haben mehr als die Hälfte der über 65-Jährigen Sorge um ihre Figur, darunter auch viele Normalgewichtige. Einige der Befragten gaben sogar an, strikte Diät zu halten, manche nahmen mitunter Abführ- und Schlankheitspillen zu sich. Andere begannen auch plötzlich, übermäßig Sport zu treiben. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine kleine Studie in Innsbruck.

Dr. Waldherr: „Wenn man sich moderne Serien im TV ansieht, präsentieren sich auch die eher älteren Schauspielerinnen, z. B. bei den ,Desperate Housewives‘, mittlerweile als sehr dünn. Überdies gaukeln computerbearbeitete Bilder Frauen und Männern jeden Alters ein Körperbild vor, das einfach nicht realistisch ist.“ Unbehandelte Essstörungen verursachen massive gesundheitliche Probleme. Während bei einer Mangelernährung z. B. Osteoporose und Gebrechlichkeit rasch voranschreiten, ist es beim „Binge Eating“ eher die Gewichtszunahme und das daraus resultierende Übergewicht, das Folgeschäden wie etwa Diabetes, nach sich zieht. Bei Bulimie werden die Zähne und die Speiseröhre in Mitleidenschaft gezogen. Weiters treten alle möglichen „Alterserkrankungen“ viel früher auf, da der ganze Organismus leidet.

Bemerken Sie, dass ein lieber Mensch in Ihrem Umfeld ein gestörtes Essverhalten haben könnte, rät Dr. Waldherr sich am besten zunächst selbst bei spezialisierten Beratungsstellen zu informieren, wie nun vorzugehen ist. Grundsätzlich sollte man aber durchaus zur Sprache bringen, dass man sich Sorgen macht. Gerade die gesellschaftliche Festlegung dieser Erkrankungen auf junge Patientinnen erschwert es den älteren Frauen und Männern jedoch, Hilfe zu suchen. Das führt oft dazu, dass das Problem lange nicht ernst genommen und eine Behandlung erst spät gestartet wird. „Es gibt aber Hilfe in jedem Alter. So kann man etwa die Fressattacken gut in den Griff bekommen“, macht Dr. Waldherr Mut.

Eva Greil-Schähs, Kronen Zeitung

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