Das große Interview

Sind Sie die Speerspitze gegen diese Regierung?

Persönlich
17.06.2018 06:00

Ein Schulabbrecher ist der neue Präsident des ÖGB: Mit Conny Bischofberger spricht Wolfgang Katzian (61) über den Zwölfstundentag, Migration und Lohndumping und warum er „sicher kein Hosenscheißer“ ist.

Er ist gerade mal drei Stunden Gewerkschaftspräsident, und nach dem „Krone“-Interview geht’s gleich ins Studio der ZiB 2. Wolfgang Katzian trägt ein kurzärmeliges weißes Hemd und eine Apple-Watch. An die Anrede „Herr Präsident“ muss er sich erst gar nicht gewöhnen - der gebürtige Niederösterreich ist seit 2007 Präsident des Fußball-Clubs Wiener Austria - die Funktion wird er jetzt zurücklegen. An der Wand beim Schreibtisch hängen zwei Drucke aus dem Stadtmuseum von Siena: Links die gute, rechts die schlechte Regierung. „Die hängen aber schon lange vor der türkis-blauen Koalition da“, betont er und lacht. Auf einem Flipchart steht: „Was nicht geht, weiß ich schon!“ Bevor wir loslegen, schlüpft der neue ÖGB-Chef noch schnell ins graue Sakko.

„Krone“: Wie ist das Gefühl, ÖGB-Präsident zu sein?  
Wolfgang Katzian: Wirklich etwas Besonderes. Es ist ja auch nicht so, dass der ÖGB seine Präsidenten wechselt wie die Hemden. Ich bin erst der siebte Präsident seit 1945. Das sind ordentlich große Schuhe und es macht auch demütig.

Sie wurden mit 92 Prozent gewählt, hätten Sie sich ein paar Prozente mehr erhofft?
Nein, ich finde alles über dem Achter super! Über Neun ist es natürlich noch besser. Und: Wenn man 47 Jahre in der Gewerkschaft tätig ist, macht man sich natürlich nicht nur Freunde. Ich bin einer, der das Herz auf der Zunge trägt, dem manchmal Sachen rausrutschen, wo ich mir hinterher denke: Das hättest du dir auch ersparen können!

Wenn der 61-Jährige vom 62-Jährigen übernimmt, ist das nicht gerade ein Generationenwechsel, stimmen Sie mir da zu?
Wenn man ausschließlich nach dem Alter geht, haben Sie Recht. Aber ich denke nicht, dass mein Erfahrungsschatz meine Innovationskraft mindert. Ich habe viel vor. Ich will vieles anders, neu machen, ausprobieren! Dafür habe ich ganz viel Energie.

Der ehemalige Bundeskanzler Christian Kern hat beim ÖGB-Kongress der Regierung vorgeworfen, sie betreibe eine „Konterrevolution“. War das nicht etwas übertrieben?
Die Wortwahl muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber was wir jetzt von der Bundesregierung erleben, ist schon eine Vorgangsweise, die wir in den letzten Jahrzehnten nicht gekannt haben. Sie will ihren Antrag zum Zwölfstundentag ohne Begutachtung durch einen Ausschuss peitschen und bis Anfang Juli beschließen. Wir werden uns jetzt ganz genau anschauen, was da drinnen steht und dann werden wir entscheiden, was wir tun.

Stehen die Zeichen auf Streik?
An erster Stelle steht für mich der Dialog. Klar ist, dass diese Regierung mit ihrer Mehrheit natürlich Dinge im Parlament beschließen kann. Aber sie sollte vorher auch mit den Betroffenen Gespräche führen. Ich kann ausschließen, dass zum Thema Zwölfstundentag mit uns irgendjemand ein Gespräch geführt hat. Dieses Durchpeitschen ist ein extrem schlechter Stil. Wenn die Regierung die Hand, die wir zum Dialog ausgestreckt haben, zurückschlägt, dann kann diese Hand sehr schnell zur Faust werden.

Wer schlägt weg?
Die Regierung hat das Gesprächsangebot von meiner Seite nicht angenommen, sie zieht das offensichtlich einfach durch. Das sagt mir, dass sie die Sozialpartnerschaft nicht ernst nimmt. Das sagt mir, dass sie die Gewerkschaften nicht ernst nimmt und daher auch nicht jene Fragen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreffen. Unsere 1,2 Millionen Mitglieder erwarten sich von uns, dass wir uns auf die Schienen hauen. Eine Möglichkeit ist der Dialog, eine weitere Möglichkeit sind Streiks.

Sind Sie jetzt die Speerspitze gegen die Regierung?
Die Speerspitze muss in erster Linie die Opposition sein, und je mehr sich diese mit eigenen Ideen und Vorschlägen meldet, desto größer ist die Chance, dass sie beim nächsten Mal wiedergewählt wird. Wir sind eine Interessensvertretung, die ganz viele Ideen und Beschlüsse gefasst hat, wie sie die Arbeitswelt der Zukunft mitgestalten will. Aber unsere Aufgabe ist es auch, der Regierung zu sagen: Wenn ihr das tut, dann wirkt sich das negativ auf die Menschen aus, also überlegt euch das bitte gut!

Sonst passiert was?
Ich werde meinem Anspruch auf Dialog Nachdruck verleihen, da können Sie sicher sein. Wenn das nichts nützt, gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Wir können das, wir haben das in der Vergangenheit bewiesen. Und wenn es notwendig ist, werden wir es tun. Nur was ich wirklich betonen möchte: Mein erstes Ziel ist das nicht.

Wie lange wird es dauern, bis es einen Gesprächstermin geben wird?
Ich habe keine Ahnung. Ich werde dem Herrn Bundeskanzler noch vor dem Wochenende mitteilen, dass ich jetzt der neue ÖGB-Präsident bin.

Über Ihre Apple-Watch?
Nein, übers Handy. Ich werde ihm eine SMS schreiben. Ob er sich dann meldet, weiß ich nicht. 

Hat Ihnen jemand von der Regierung zur Wahl gratuliert?
Sozialministerin Hartinger. Darüberhinaus auch Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer.

Werden Sie die Sozialpartnerschaft weiterführen? Er hat die Gewerkschaft ja als „Gegner der Regierung“ bezeichnet und Ihnen „Gräuelpropaganda“ vorgeworfen.
Ich werde die Sozialpartnerschaft deshalb nicht aufkündigen. Das Land ist in den letzten Jahrzehnten gut gefahren damit. Aber Sozialpartnerschaft neu heißt, wir erweitern das Spielfeld, wir verbreitern den Dialog. Es kann nicht so sein, dass einer was sagt und der andere nickt freundlich ab. Deshalb werden wir jetzt einmal ein erstes Gespräch führen und das Gemeinsame über das Trennende stellen. Wir sind ja nicht die Berufsstreithanseln!

Also ist „Gräuelpropaganda“ kein Ausschließungsgrund?
Ich denke, Mahrer hat das in der Emotion gesagt, ich bin mir gar nicht sicher, ob ihm bewusst war, dass das ein historisch belasteter Begriff ist. Ich habe ja auch „Hosenscheißer“ gesagt. Wir werden drüber reden, auch über die „Gegner der Regierung“.

Warum war es Ihnen wichtig zu betonen, „keine Hosenscheißer“ zu sein?
Ich wollte sagen, dass wir uns sicher nicht fürchten. Vor niemandem!

Stimmt es, dass Sie der Mann von Christian Kern sind?
Ich habe das auch gelesen. Ich stelle hiermit klar: Ich bin einzig und allein der Mann meiner Frau.

Wolfgang Katzian erzählt von Christa, mit der er seit 40 Jahren zusammen ist. Es habe einige „Unterbrechungen“ gegeben, eine davon führte zur Scheidung. Vor neun Jahren haben sich Katzians noch einmal verheiratet.

Was wäre so schlimm daran, ein Kern-Mann zu sein?
Ich habe Christian Kern unterstützt, als er Parteivorsitzender wurde und ich stehe auch dazu. Ich glaube nach wie vor, dass er das gut macht. Aber der Mann von jemandem zu sein hieße ja, vereinnahmt zu werden.

War die Position der SPÖ in der Flüchtlingsfrage richtig?
Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Vor allem in der Kommunikation hätte man einiges besser machen können. Aber vom Prinzip her war das schon richtig. Wer einen Fluchtgrund hat und in der letzten Konsequenz dann ein anerkannter Flüchtling nach der Genfer Konvention ist, soll bestmöglich integriert werden. Dafür muss man auch die Rahmenbedingungen schaffen. Wer sich illegal aufhält, oder eine Straftat begangen hat, für den ist bei uns kein Platz.

Die linke Fraktionschefin im Deutschen Bundestag, Sarah Wagenknecht, hat sich für eine Begrenzung der Zuwanderung ausgesprochen, weil die Arbeitsmigration im Niedriglohnsektor ein großes Problem sei. Sehen Sie das auch so?
Ich sehe eher dieses Problem: Wir kürzen die Mindestsicherung für Menschen, die legal hier sind, massiv. Die kommen dann mit dem Geld nicht aus und das öffnet Lohn- und Sozialdumping Tür und Tor. Das wollen wir natürlich nicht, weil es den Arbeitsmarkt untergräbt und einen gewissen Druck auf die bestehenden Löhne ausübt. Das können wir als Gewerkschaft nicht akzeptieren.

Aber die Mindestsicherung wird ja dann gekürzt, wenn gewisse Bedingungen nicht erfüllt sind, zum Beispiel das Erlernen der deutschen Sprache. Haben Sie für diesen Zugang kein Verständnis?
Schon. Aber von den Flüchtlingen gute Deutschkenntnisse zu verlangen und im gleichen Atemzug die Mittel für Deutschkurse zu streichen, ist zynisch. Da wird in Wahrheit eine ganz bestimmte Story erzählt. Die Story lautet: Die wollen sich eh nicht integrieren und daher muss man unsere Leute vor denen schützen. Also kürzt man die Mittel und schafft noch größere Schwierigkeiten. Das finde ich nicht in Ordnung.

Wenn sich Sebastian Kurz zur Leistung bekennt, können Sie dem etwas abgewinnen?
Prinzipiell ja. Die Frage ist immer, wie man Leistungsträger definiert. Nehmen Sie zum Beispiel einen Teilzeitbeschäftigten. Der arbeitet vielleicht nicht viel und verdient auch nicht viel. Aber das sind ja oft Menschen, die mehrere Jobs haben, die Haushalt, Kinder, Pflege machen, also ich finde das sind ganz großartige Leistungsträger, obwohl sie, wie Kurz oft betont, nicht viel einzahlen ins System. Deshalb muss man bei den Leistungsträgern immer dazusagen, wen man meint.

Werden Sie ihm das sagen?
Ja, wenn er mich einlädt, werde ich ihm das sagen.

Muss sich nicht auch die Gewerkschaft ändern und ins Dritte Jahrtausend finden?
Sicher, aber da hat sich ja auch schon viel getan. Als ich zur Gewerkschaft gekommen bin, gab es 16 Teilorganisationen, jetzt gibt es sieben. Der ÖGB hat sich nach der Bawag-Krise stabilisiert, steht heute finanziell gut da, hat seit zwei Jahren wieder Mitgliederzuwächse und das möchte ich gerne fortsetzen und fortführen. Über die Organisation müssen wir uns trotzdem unterhalten, weil unabhängig davon, ob man jetzt ein verstaubtes Image hat oder nicht, verändert sich die Arbeitswelt. Da lösen sich Grenzen auf, da entstehen neue Grenzen, das werden wir alles gewerkschaftlich gut bespielen.

Wird es mehr Service geben ?
Das möchte ich gerne ausweiten. Wir beginnen schon im Sommer bei einer Klausur mit einer Ideensammlung. Ich möchte da in die Offensive gehen.

Was treibt den „gemütlichen Linker“, als der Sie manchmal beschrieben wurden, eigentlich an?
Ich mag die Wiener Gemütlichkeit sehr, obwohl ich ein Niederösterreicher bin. Und gesellschaftspolitisch würde ich mich durchaus links einordnen. Ich bin so erzogen worden, dass Gewerkschaftsarbeit kein klassischer Syndikalismus ist, obwohl das Verhandeln von Kollektivverträgen das Herzstück unserer Arbeit ist, sondern darüberhinaus eine gesellschaftsverändernde und gesellschaftsgestaltende Kraft. Was mich immer leitet, ist Gerechtigkeit. Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität. All das stärkt auch die Demokratie.

Herr Katzian, warum haben Sie als Jugendlicher ausgerechnet Bankkaufmann gelernt?
Ich war ein klassischer Schulabbrecher. Mein Klassenvorstand in der HAK hat mir gesagt: „Wenn Sie den letzten Tag nicht mehr kommen, macht das auch nix!“ Das hab ich mir nicht zweimal sagen lassen und bin am letzten Schultag schon in der Wiener Innenstadt unterwegs gewesen, um mir eine Lehrstelle zu suchen. Ich hatte die Worte meines Vaters im Ohr: „Wenn du in eine Bank kommst, wäre das super.“ So bin ich zur „Länderbank“ marschiert. Aber weil ich einen „Dreier“ in „Betragen“ hatte und auch sonst keine besonders guten Noten im Zeugnis, musste mein Vater dort vorsprechen und versichern, dass der Bua eh brav sein wird. Aus Wien hab ich meinen Eltern oft einen kleinen Karton mit Trzesniewski-Brötchen mitgebracht. Das war für sie das Größte!

Auch an diesem Abend hat Wolfgang Katzian Trzesniewski-Brötchen kommen lassen, die ganz Scharfen hat er am liebsten. Er erzählt, dass er sehr gerne mit Chili kocht. Seine Pressesprecherin rollt mit den Augen und wischt sich spaßhalber den imaginären  Schweiß von der Stirn.

Wer ist heute stolzer, die Mama oder der Papa?
Beide. Aber dadurch, dass mein Vater selber in der Gewerkschaft engagiert war, ist er vielleicht noch ein kleines Bisserl stolzer. Er war Werkzeugmacher und Dreher und hat immer alles für mich getan.

Verwöhntes Einzelkind?
Als ich klein war, hat es nicht viel zum Verwöhnen gegeben. Es war nicht so viel da, trotzdem war meine Kindheit schön.

Und wie kam es zum „Dreier“ in „Betragen“?
Ich war Klassensprecher und hab mich immer engagiert für die andern. Dazu muss man ordentlich vorlaut sein. Ein Schmähbruder war ich auch. So ist das zustande gekommen.

Noch eine letzte Frage, auch weil sie sich so schön reimt. Haben die Katzians auch Katzen?
Wir haben außer ein paar Ameisen keine Haustiere, weil wir sie nicht alleine lassen wollten. Mein Sohn hat immer gesagt: „Die Katzen brauchen euch aber eh nicht, weil die sind die Chefs, nicht ihr!“ Jetzt ist meine Frau in Altersteilzeit gegangen und wir führen eine intensive Diskussion darüber. Die Frage wird sein: Katze oder Hund?

Was passt besser zu Ihrem Charakter?
Mit Hunden muss man viel Zeit verbringen und ich fürchte, die habe ich jetzt gerade nicht. Mit Katzen komme ich jedenfalls gut zurecht. Sie gehen mir zu und ich habe auch keine Katzenallergie. Ich bin ja an sich auch einer, der gerne schnurreln tut, so gesehen würde eine Katze gut passen. Fragen Sie mich nächstes Jahr nochmal!

In „Betragen“ hatte er eine Drei
Geboren als Einzelkind am 28. Oktober 1956 in Stockerau, NÖ. Der Vater war Werkzeugmacher und Dreher, die Mutter Zahnarztassistentin. Klassischer Schulabbrecher, in „Betragen“ hatte er eine Drei. Mit 15 beginnt er eine Lehre als Bankkaufmann. In den späten Siebziger Jahren startet Katzian seine Gewerkschafter-Karriere als Jugendvertrauensrat. Seit 2005 ist er Vorsitzender der GPA, seit Donnerstag Nachfolger von Erich Foglar als ÖGB-Präsident. Zum zweiten Mal verheiratet mit Christa, ein erwachsener Sohn.

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