Plante Schul-Massaker

„Hasse euch alle“: Die Rache eines Außenseiters

Österreich
10.06.2018 18:44

Schüchtern, still, brav. So wird Mario S. von seiner Mutter beschrieben. Von seinen Mordfantasien ahnte sie nichts - bis er vor einem Monat in Niederösterreich ein Blubad in einer Schule anrichten wollte (Videobericht oben). „Ich hasse alle Menschen“, schrieb der Bursch davor in sein Tagebuch. Mittlerweile behauptet er, dass er sein fürchterliches Handeln „eigentlich gar nicht verstehen kann“. Dass er „irgendwie hypnotisiert“ und nicht er selbst gewesen sei. Damals, am 9. Mai.

Als Mario S., bekleidet mit einem knöchellangen schwarzen Mantel, vor dem Bundesschulzentrum Mistelbach stand, nach Opfern Ausschau hielt - und schließlich den Abzug seiner Schrotflinte drückte. Die erste Kugel traf einen 19-Jährigen, in die Wange - der junge Mann wurde schwer verletzt. 25 Stück Munition trug der Schütze - für ihn gilt die Unschuldsvermutung - an dem Tag, an dem er „zum Helden werden wollte“, bei sich. „Ich hätte gerne weiter geschossen und so viele Menschen wie möglich getötet“, gab er später der Kripo zu Protokoll, „aber meine Waffe hatte leider eine Ladehemmung …“

Er gilt als psychisch schwer gestört
Der 18-Jährige ist nun in der geschlossenen Abteilung der niederösterreichischen Landesnervenklinik Mauer-Öhling untergebracht. Er schläft viel, redet wenig, wirkt verschlossen. Was geht in seinem Kopf vor? Die Wiener Kinder- und Jugendpsychiaterin Gabriele Wörgötter hat den Burschen in den vergangenen Wochen eingehend untersucht, in ihrem Gerichtsgutachten über seinen Geisteszustand kommt sie zu dem Schluss: Mario S. leidet an einer massiven Persönlichkeitsstörung, weitere Gewaltdelikte sind von ihm zu befürchten. „Die Gefährlichkeit, die von dem Untersuchten ausgeht, kann nur durch eine intensive psychiatrische, vor allem aber psychotherapeutische Behandlung, die vermutlich Jahre dauern wird, hintangehalten werden“, so Wörgötter.

Mario scheint die Folgen dieser Beurteilung nicht zu begreifen. „Wann darf ich endlich wieder zu dir nach Hause?“, fragt er seine Mutter, wenn sie ihn hinter Gittern besucht. Jetzt sitzt die 42-Jährige auf der Couch in ihrem Wohnzimmer, ihre Hände zittern, sie weint unaufhörlich. „Ich kann, ich will das alles nicht glauben“, schluchzt sie.

Tagebucheinträge ihres Sohnes belegen, dass er sein Verbrechen penibel geplant haben muss. Er schrieb darin über seine „engsten Seelenverwandten“ - Eric Harris und Dylan Klebold, jene beiden jungen Amerikaner, die 1999 an der Columbine High School im US-Bundesstaat Colorado einen grauenhaften Massenmord begangen haben. Er schrieb über seine Todessehnsucht. Er schrieb über seinen enormen Hass - auf die ganze Welt. Und auch auf seine Familie. „Ich habe“, sagt seine Mutter, „davon nie etwas gespürt.“ Bis zuletzt nicht. Was war das Davor? „Mario ging es daheim immer gut.“ Er wuchs mit zwei Geschwistern auf, in behüteten, finanziell geordneten Verhältnissen - beide Elternteile sind Inhaber kleiner Betriebe.

„Er war schon als Kind ein wenig auffällig ...“
„Schon“, erinnert sich die Frau, „Mario ist bereits als Bub ein bisschen ,anders‘ gewesen.“ Er hatte nur wenige Freunde, verbrachte viel Zeit alleine, in seinem Zimmer, baute Burgen aus Legosteinen, puzzelte. „Und er war auffällig still.“ In der Volksschule „lernte er noch brav“, nach dem Übertritt in eine NMS „wurden seine Leistungen schlechter“. Er erzählte seiner Mutter von Klassenkameraden, die sich über ihn wegen seines zarten Körperbaus lustig machen würden: „Mario war zu schüchtern, um sich gegen die Angriffe zu wehren.“ Und er wurde noch mehr zum Einzelgänger, zum Außenseiter. Irgendwann begann er sich zu ritzen. An den Armen, den Beinen. „Ich dachte, er wolle damit bloß Aufmerksamkeit erregen. Ich erkannte einfach nicht, dass er eine psychologische Behandlung gebraucht hätte“, klagt sich die 42-Jährige jetzt an.

Spätere Probleme - Mario brach drei Lehren ab - „führten mein Mann und ich auf Faulheit zurück“. In Wahrheit hatte der Bursch Angst vor Fremden. „Er war ziemlich kontaktscheu - und vermutete ständig Intrigen gegen ihn.“ Auch in der Gastro-Schule in Mistelbach, die er 2017 einige Monate hindurch - unregelmäßig - besuchte: „Er fühlte sich dort gemobbt.“ Und er zog sich abermals völlig in sein psychisches Schneckenhaus zurück. Wie verbrachte er seine Tage? In Polizeiverhören erzählte er von Videos, die er im Internet gesehen und die ihn „angetörnt“ hätten - Dokumentationen über Amokläufe, über die Lebensgeschichten der Täter: „Ich fühlte mich mit ihnen auf eine wunderbare Weise verbunden ...“

Zuletzt lebte er in einer Fantasiewelt
„Ich weiß bloß“, so seine Mutter, „dass er oft vor dem Computer saß und ,World of Warcraft‘ spielte.“ Sich in eine Fantasiewelt beamte, in der er groß und stark war. In seiner von ihm selbst erwählten Rolle als „weiser Schamane“. Die Realität verlor damit zunehmend an Bedeutung für ihn: „Manchmal wirkte er extrem gefangen in seinem virtuellen Dasein.“ In dem er sogar eine Freundin fand: „Er chattete häufig mit einem Mädchen aus Amerika, sie heißt Ashley, er behauptete, mit ihr eine Beziehung zu haben.“ In seinem letzten Tagebucheintrag, wenige Stunden vor dem Drama, entschuldigte er sich bei der 17-Jährigen für das, „was nun gleich geschehen wird“ und er schwor ihr ewige Liebe, „bis in den Tod …“

Marios Ziellosigkeit, seine Entrücktheit schien „plötzlich zu verschwinden, im Herbst 2017“. Der Bursch ging damals zum Bundesheer, „anfangs fühlte er sich dort sehr wohl, er hatte sogar vor, Berufssoldat zu werden“. Bis er im März 2018 seiner Mutter von einem Vorfall in der Kaserne berichtete: „Er hatte im Eingangsbereich zwei Rekruten um das Vorzeigen ihrer Ausweise gebeten, andernfalls würde er ihnen den Zutritt verwehren, hatte er im Scherz zu ihnen gesagt. Die Kollegen sollen humorlos reagiert, ihn als Blödmann bezeichnet haben.“ Was Mario als „entsetzliche Beleidigung und Zurückweisung“ empfunden hätte: „Er wollte kaum noch zum Dienst gehen …“

Ab dem 2. April führte er Aufzeichnungen, in einem Schulheft: „Ich dachte mir mal, ich halte meine Gedanken auf Papier fest. Vielleicht hilft es ja, da ich sonst niemanden zum Reden habe. Vielleicht kann ich mich ja selbst noch von meinen Plänen abhalten. Mordfantasien wie diese hatte ich noch nie. Die Welt wäre so viel besser, wenn alle tot wären. PS: Dieses Journal ist Eric Harris und Dylan Klebold (den Columbine-Todesschützen, Anm. d. Red.) gewidmet.“

Danach: Entwürfe von Tatabläufen. Der 18-Jährige überlegte, ein Heeres-Sturmgewehr zu entwenden oder eine Bombe zu bauen. 37 Tage hindurch verfasste Mario S. in einem Schulheft verstörende Nachrichten - bevor er seine Tat beging. „Diese Welt ist krank, ich hasse jeden, der sie bevölkert“, schrieb er beispielsweise am 15. April: „Alle sollen einfach sterben. Ich kann es kaum erwarten, jeden, der mich früher verarscht hat, zu erschießen. Ihnen allen mit einer Shotgun die Schädel wegzublasen.“

Eine Aufzeichnung vom 18. April: „Wenn die anderen wenigstens netter oder einfach nur intelligenter als ich wären - doch das sind sie nicht, und deswegen müssen sie sterben. Und ich muss auch sterben. Als würde ich freiwillig eine Minute länger hierbleiben wollen. Diese Welt ist einfach nur böse und schlecht. Deswegen will ich sterben. Aber nicht ohne euch alle.“ Und immer wieder fand Mario S. für seine beiden großen Vorbilder - die Columbine-Todesschützen - bewundernde Worte: „Eric und Dylan sind wahre Helden. Ich verehre sie. Auch sie wurden verarscht, und sie haben sich gerächt. Genau so, wie ich mich rächen werde. Ich werde wie sie einen Heldentod sterben. Aber ich will von euch keine Anerkennung. Denn ihr seid mir egal, alle!“

„Mittlerweile ist mir egal, wer wann wie stirbt“
Am 8. Mai beschaffte er sich einen knöchellangen schwarzen Trenchcoat - das „Markenzeichen“ seiner Vorbilder - und kaufte in einem Waffengeschäft eine Schrotflinte samt Munition. „Mittlerweile ist es mir egal wer wie wann stirbt. Ich habe keine Geduld mehr. Bye“, kritzelte er dann in sein Tagebuch. „Als er am nächsten Vormittag von daheim wegging“, sagt seine Mutter, „wirkte er nicht anders als sonst.“ Ruhig, traurig, in sich gekehrt.

Martina Prewein, Kronen Zeitung/krone.at

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