Eltern in Sorge

Smartphone-Sucht: Der Fluch des 21. Jahrhunderts?

Digital
06.06.2018 15:01

Kinder und Jugendliche hängen, wenn sie dürfen, rund um die Uhr am Handy. Mama und Papa verzweifeln, ebenfalls fast rund um die Uhr, weil es ihnen Angst macht.

Aber ich habe doch erst eine halbe Stunde gezockt!„ Felix (11) ist fix überzeugt, dass das, was er gegenüber seiner Mutter behauptet, stimmt. Er empfindet es so. Am Gerät, egal an welchem, hing er aber in Wirklichkeit fast zwei Stunden. Nun soll er aber endlich etwas für die Schule tun. Schließlich steht das große Finale vor den Sommerferien an. Und ohne “Fleck„ im Zeugnis sind Ferien bekanntlich feiner.

Die eingangs erwähnte Szene kommt vielleicht bekannt vor. In vielen Familien hat der “Fluch des 21. Jahrhunderts„ längst Einzug gehalten. Die Eltern kämpfen gegen die - aus ihrer Sicht - spielsüchtig werdenden Kinder an. Die Kinder wiederum wehren sich mit allen Tricks (“alle meine Freunde dürfen so viel zocken, wie sie wollen„) gegen die Drohungen und Verbote.

Verbote sind keine Lösung
Wären Verbote eine Lösung? Klare Antwort vieler Experten: Nein! Auf die richtige Dosierung kommt es an. Der Schlüssel hierbei ist, dass Mama und/oder Papa ihren Kindern den verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet zeigen. Der schützt die Kinder mehr als jedes Verbot.

Was die Zeit vor diversen Geräten betrifft, gibt es keine fixen Vorgaben, aber Orientierungshilfen. Kinder im Grundschulalter sollten täglich nicht mehr als maximal 60 Minuten vor dem Computer verbringen. Durch diverse Sicherheitsvoreinstellungen und Filter kann verhindert werden, dass die Kids auf unseriösen Seiten landen. Aber aufgepasst: Jugendliche wissen schnell, wie man das umgeht. Ab zehn dürfen es täglich bis zu 90 Minuten sein.

Soziale Medien bergen Gefahren
Worauf sollte man achten? Vor allem, ab wann und wie begonnen wird, Informationen über sich im Internet preiszugeben. Speziell bei der Nutzung sozialer Netzwerke (Facebook, Instagram, Twitter, Snapchat) kann dies gefährlich enden. Erpressungen mit Nacktfotos sind leider keine Seltenheit.

Vorsicht, wenn das Sozialleben leidet!
Jugendliche ab ca. 14 Jahren verbringen manchmal auch einen ganzen Nachmittag im Internet - etwa mit Freunden. Das ist nicht ungewöhnlich. Aber: Wenn das soziale Leben eingeschränkt wird, zu Hause bei Traumwetter im verdunkelten Zimmer gespielt wird, spätestens dann sollten die Alarmglocken läuten. Bewegungsmangel und falsche Ernährung können mögliche Folgen sein.

Freilich: Konzerne verfolgen das Ziel, Nutzer an die Geräte zu fesseln. Interaktion lautet die Devise. Selfies machen, Likes sammeln. Facebook schickt E-Mails, wenn man länger nicht mehr online war. Andererseits hat nun Apple sein iPhone-System iOS 12 präsentiert. Mit der Funktion „Screen Time“ kann man sehen, wie viel Zeit Kids mit welchem Programm verbringen. Eltern können einzelne Apps sogar sperren. Ein Hoffnungsschimmer im schweren Kampf gegen den „Fluch des 21. Jahrhunderts“.

Exkurs: Riskanter Trend zur Selbstdarstellung
Ein Mann macht ein Selfie, im Hintergrund liegt eine schwer verletzte Frau, die gerade von einem Zug angefahren wurde. Dieses Bild löste eine Welle der Empörung aus. Was geht in so einem Menschen vor?  Der Selfie-Wahnsinn hält sich seit Jahren, nimmt immer absurdere Ausmaße an. Selfies mit Kussmund sind out. Verrückte Fotos, sozusagen letzte Schreie, sind in.

Manchmal passiert das leider im buchstäblichen Sinne: Etwa im August 2014, als ein Elternpaar in Portugal von einer Klippe in den Tod stürzte. Das Duo wollte ein spektakuläres Selfie machen. Ihre kleinen Kinder mussten zusehen, wie die Eltern in den Tod stürzten. Wenn Leute unkontrolliert den Drang verspüren, Selfies von sich zu machen und zu posten (ab sechsmal pro Tag auf Facebook, Instagram und Co.), dann spricht man von chronischer „Selfitis“.

Harry Gatterer, Trendforscher und Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, im „Krone“-Interview:

„Krone“: Was passiert, wenn man auf das Handy, das iPhone oder das Tablet starrt?
Harry Gatterer: Das Gehirn ist voll auf den Bildschirm des Gerätes konzentriert. Man schaltet seine Umgebung ab. Mit allem, was durch diesen Kanal reinkommt, wird das Gehirn gefüttert. Ist das, was reinkommt, aufwühlend, dann wühlt es auf. Ist es verwirrend, dann verwirrt es.

Erwachsene sind ja meist eher schlechte Vorbilder?
Fast 60 Prozent der Menschen nehmen eine Minute nach dem Aufwachen ihr Smartphone in die Hand. Die meisten haben den Wecker drauf und begründen das damit. Aber es ist egal, weshalb man draufschaut. Fakt ist: Das Gehirn vollbringt schon erstmals volle Konzentrationsleistung. Und viele bleiben am Handy und checken dann Wetter, Verkehr, Nachrichten

Wie lange wird das noch so weitergehen?
In den nächsten fünf Jahren werden wir voll im Hype der Technologie bleiben. So schnell werden wir nicht lernen, dass es klug wäre, iPhones etc. auf die Seite zu legen. Aber es kommt. Es gibt schon Bewegungen.

Wie meinen Sie das?
Wir haben mittlerweile in Deutschland mehr Mitglieder in Yogavereinen als in Fußballklubs. Das muss man sich vorstellen. Viele wollen achtsamer mit sich und der Welt umgehen. Letztlich heißt das nichts anderes, als dass immer mehr Menschen sagen: Hoppala! Bei allem, was in mich reingeht, muss ich ein bisschen den Überblick behalten und filtern. Sozusagen in die berühmte Gegenwart zurückkommen, bei sich sein. Das ist nichts Esoterisches, sondern eine notwendige Tugend in dieser reizüberfluteten Welt.

Wie wird diese Welt in 25 Jahren aussehen?
Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass wir in 25 Jahren mit der Technologie, salopp formuliert, viel entspannter umgehen werden. Das heißt, wir akzeptieren schlicht und einfach Technologie als Teil unseres Lebens. So wie wir auch akzeptieren, dass wir mit einem Navi im Auto herumfahren. Aber die Zukunft wird sein, dass wir deutlich weniger Bildschirme haben. Wir müssen weg davon. Durch das ständige Fokussieren auf Bildschirme verkümmert unser Gehirn zusehends.

Eine Art Urinstinkt?
Wir Menschen sind lernende Wesen. Das waren wir ja immer, sonst würden wir immer noch in Höhlen leben.

Claus Meinert, Kronen Zeitung

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