Mord vorgetäuscht

Eskaliert jetzt der Krieg der Geheimdienste?

Ausland
31.05.2018 07:58

Auf einmal stand Arkadi Babtschenko wieder da - nicht tot, nicht Anlass zu weltweiter Trauer, sondern höchst lebendig, überraschte der russische Journalist und Kremlkritiker auf einer Pressekonferenz beim ukrainischen Geheimdienst SBU in Kiew am Mittwoch die Weltöffentlichkeit: Er habe dabei mitgemacht, seine Ermordung vorzutäuschen, um russische Attentäter zu entlarven. Doch der filmreife Coup des SBU wirft viele Fragen auf. Im Konflikt zwischen Russland auf der einen Seite und der Ukraine und dem Westen auf der anderen geht es an vielen Stellen um Glaubwürdigkeit: Was beweist die Anwesenheit russischer Soldaten in der Ostukraine, die Moskau leugnet? Wie stichhaltig können Ermittler belegen, dass 2014 ein russisches Buk-Geschütz 298 Menschen an Bord von Flug MH17 tötete? Die Diskussion wird nach der Aktion in Kiew nicht einfacher.

„Es ist gefährlich, in einer Welt zu leben, wo die Behörden, wo die Politik die Bürger und die Öffentlichkeit dreist belügen“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands DJV, Frank Überall, der Deutschen Presse-Agentur. „In dem Moment, wo wir unseren Regierungsvertretern nicht mehr trauen können, wird es für eine Demokratie sehr gefährlich.“ So machte der ukrainische Regierungschef Wladimir Groisman Moskau für den angeblichen Mord an Babtschenko verantwortlich. Die „russische totalitäre Maschinerie“ habe Babtschenko nicht verziehen, schrieb er. War das ehrliche Trauer, oder spielte er ein Spiel mit?

Sind Beweise für Auftragsmord überhaupt stichhaltig?
„Wir haben einen Mordanschlag auf Babtschenko mit einem Spezialeinsatz verhindert“, sagte SBU-Chef Wassili Grizak am Mittwoch bei jener Pressekonferenz, bei der der kremlkritische Journalist wieder „von den Toten auferstand“. Wenigstens einmal wollten ukrainische Behörden nicht hilflos wirken angesichts von Morden und Anschlägen vor ihrer Nase, für die angeblich Moskau verantwortlich ist. Doch ob die Beweise für den Auftragsmord stichhaltig sind, wird sich erst bei einem Gerichtsprozess zeigen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko traf sich mit Babtschenko am Mittwochabend und dankte dem Journalisten. In einem von seiner Pressestelle verbreiteten Video, sagte der Politiker dass er „gemeinsam mit den ukrainischen Sicherheitsdiensten“ ein Szenario verhindert habe, „das auf die Destabilisierung der Lage in der Ukraine abgezielt“ habe. „Millionen Menschen“ feierten, dass Babtschenko doch am Leben sei, schrieb Poroschenko bei Facebook. Ein geplanter Anschlag auf den Kreml-kritischen Journalisten sei „von russischem Gebiet aus organisiert“ worden, um die Ukraine zu destabilisieren und „einen zu töten, den Russland am meisten von allen fürchtet“.

Andere Morde in Kiew bleiben  dagegen ungeklärt. 2016 tötete eine Autobombe den russischen Exil-Journalisten Pawel Scheremet, der ebenfalls ein Kritiker der Moskauer Führung war. 2017 wurde der abtrünnige russische Abgeordnete Denis Woronenkow auf offener Straße erschossen.

Seinen Kollegen hat Babtschenko ein Wechselbad der Gefühle beschert. Journalisten trauerten einen Tag lang und analysierten tiefschürfend, was der Mord an dem erklärten Kreml-Kritiker bedeute. „Das ist ein Terroranschlag auf die Gemeinschaft von Journalisten in Russland und in der Ukraine“, schrieb sein Freund, der Investigativreporter Pawel Kanygin von der Moskauer „Nowaja Gaseta“. Dann die Erleichterung: „Er lebt, das ist das Wichtigste! Und abends kriegt er eins hinter die Löffel, weil mir die letzten Haare ausgegangen sind.“

Auch Glaubwürdigkeit der Medien leidet
Auch die Glaubwürdigkeit der Medien leidet unter der Irreführung. „Journalisten müssen noch intensiver und noch viel genauer hingucken“, mahnt Überall. Der Kriegsreporter Babtschenko war bisher als unbestechlicher, radikal ehrlicher Journalist bekannt. „Das ist nicht nur eine Provokation gegen Russland. Das ist auch eine Provokation Babtschenkos gegen die ganze Journalistenzunft“, sagte der Chefredakteur der russischen Zeitung „Moskowski Komsomolez“, Pawel Gussew.

Offizielle Vertreter Moskaus regten sich erst über die Anschuldigungen aus Kiew auf und dann darüber, so reingelegt worden zu sein. Doch sie erkannten schnell die Möglichkeit, auch andere unangenehme Vorwürfe als unglaubwürdig abzutun - zum Beispiel bei dem in Großbritannien vergifteten Ex-Agenten Sergej Skripal. Die Kiewer Inszenierung sei „eine dreckige und zynische Provokation im Stil des Falls Skripal“, sagte der Duma-Abgeordnete Leonid Sluzki. Er bedauere, dass ein russischer Staatsbürger Teil eines solch ungeheuerlichen Spektakels geworden sei.

Über den Fall Skripal hatten sich in den vergangenen Monaten Russland und der Westen entzweit. Der Ex-Agent war in Südengland mit einem Nervengift attackiert worden, dass ursprünglich in der Sowjetunion entwickelt worden war. Die Regierung in London macht Moskau verantwortlich. Auch wenn noch keine Beweise präsentiert wurden, haben Großbritannien, die USA und verbündete Staaten als politisches Signal mehr als 100 russische Diplomaten ausgewiesen; auch Deutschland beteiligte sich. Russland zog seinerseits mit Ausweisungen nach und weist sämtliche Vorwürfe entschieden zurück.

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