Zarif und Khamenei

Die zwei Gesichter von Irans Mullah-Regime

Ausland
12.05.2018 07:16

Wenn im Iran „Al Kuds“-(Jerusalem)-Tag ist, kennen die Vernichtungsschwüre gegen das „zionistische Gebilde“ (Israel) keine Grenzen. Der gottsoberste Staats-, Religions- und Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei setzt dabei ein extra-finsteres Gesicht auf. Die Raketen der Revolutionsgarden tragen das Ziel groß aufgemalt und - damit es die „Adressaten“ auch verstehen - in hebräischer Aufschrift. Gleichzeitig wieselt Außenminister Javad Zarif durch die Hauptstädte des Westens und beschwört die Haltung seiner Regierung, niemals fremde Länder anzugreifen und schon gar keine Atomwaffen anzustreben.

Der stets lächelnde Zarif ist der Außenminister des nicht minder lächelnden Präsidenten Hassan Rouhani. Beide sind das freundliche Gesicht des Regimes. Welches Gesicht des Iran ist das wahre? Jedes dieser Gesichter ist authentisch. Das iranische Regime hat tatsächlich zwei Gesichter, manche sagen sogar: mehrere.

Hybrid-System mit mehreren Säulen
Das hängt mit dem Charakter jener Staatsordnung zusammen, die vor bald 40 Jahren der Ayatollah Ruhollah Khomeini als Führer der „Militant Clerics“ (Gruppe der militanten Kleriker) geschaffen und die erstaunlicherweise bis heute überlebt hat: ein Hybrid-System, das auf mehreren Säulen ruht.

  • Ein frei gewähltes Parlament aus einer Riege an von oben erlaubten Kandidaten. Jedes Gesetz kann von oben beeinsprucht werden.
  • Ein mehr oder weniger frei gewählter Präsident aus einer Riege erlaubter Kandidaten. Er muss sich diesem Parlament stellen und ist eigentlich nur so etwas wie ein Ministerpräsdident.
  • Eine „unabhängige“ Justiz aus extrem reaktionärer Geistlichkeit.
  • Und schließlich ein gottsoberster Staats-, Religions- und Revolutionsführer als praktisch lebenslanger Nachfolger von Khomeini, der in allen Fragen das letzte Wort hat. Er hält sich aber aus der „schmutzigen“ Alltagspolitik heraus. Dennoch gibt er den Ton an.

Khamenei hat das Sagen in allen Sicherheits- und Militärfragen
Revolutionsführer Ali Khamenei hat das Sagen in allen Sicherheits- und Militärfragen und das letzte Wort auch in allen strategischen Entscheidungen der Politik. Das war auch im Fall seiner „Erlaubnis“ zum Iran-Deal der Fall. Khamenei hat übrigens in einer „Fatwa“ (religiöses Erkenntnis) Atomwaffen als „haram“ (verboten) bezeichnet. Iran würde daher keine Atomwaffen anstreben. Israels Premier Benjamin Netanyahu und US-Präsident Donald Trump wollen dem Iran diese Atomwaffen-Abstinenz nicht glauben. Realismus oder Paranoia?, meint Klaus Woltron.

Doppelgesichtigkeit des iranischen Regimes
Die Doppelgesichtigkeit des iranischen Regimes lässt zu, schiitischen Regimes, Gruppen und Milizen im Ausland (Syrien, Jemen, Irak, Libanon) „revolutionäre“ Unterstützung mit Waffen und Personal zukommen zu lassen - ohne dass Präsident Rouhani darauf Einfluss hätte. Die Schiiten sind in verschiedenen Spielarten eine Minderheit in der islamischen Welt, und Revolutionsführer Khamenei betrachtet es als religiöse Pflicht, den (geografisch) „schiitischen Halbmond“ (mit Mehrheit nur im Iran) als eine Art Gegengewicht zur sunnitischen „Übermacht“ zu verteidigen.

Die Schiiten sind schon seit alters her eine als „Ketzer“ diskriminierte und von sunnitischen Machthabern (Beispiel Saddam Hussein) gesellschaftlich niedergehaltene Religionsgruppe. Daher betrachtet sich das iranische Regime als Sachwalter eines „schiitischen Erwachens“, und die Mutter aller Konflikte mit Saudi-Arabien & Co. ist vorgezeichnet.

Regime wirtschaftlich völlig unfähig
Der iranische Präsident Rouhani steht vor dem Problem wirtschaftlicher Erfolglosigkeit. Die Unruhe besonders unter der Jugend wächst und bricht sich in sporadischen Protesten Bahn. Die Wirtschaft hängt am Gängelband des von Klerikern mit Scheuklappen geprägten Staates. Geistliche als moderne Wirtschaftsmanager - das funktioniert nicht einmal im Vatikan richtig, geschweige denn in einer großen Volkswirtschaft.

Bevölkerung lebt in ihrer eigenen Welt
Irans Völker (das Staatsvolk macht nur knapp die Hälfte aus) haben sich in einer eigenen Welt eingerichtet. Man hört „denen da oben“ kaum noch zu und erträgt das Regime mit großer Geduld. Aktionen wie „Kopftuch wegwerfen“ sind das kleine Aufbegehren. Die Moscheen sind erstaunlich leer. Das gilt allerdings für die städtische Gesellschaft. Für die große tiefgläubige Mehrheit auf dem Land ist die Moschee der Sozialversorger und das Geheimnis, weshalb dieses Regime noch immer an der Macht ist.

Würge-Sanktionen stürzen Regime nicht
Die Iraner sind ein herausragend stolzes Volk und haben ein höheres Bildungsniveau als ihre islamischen Nachbarn. Wirtschaftlicher Druck schließt aber die patriotischen Reihen und dient dem Regime als Ausrede für ökonomisches Versagen. Wenn US-Präsidenten den Iran als Reich des Bösen bezeichnen, dann trifft das für die Bevölkerung sicherlich nicht zu. Die Normal-Iraner sind freundliche Menschen, wenig aggressiv und weltoffen. Revolutionsführer Khamenei & Co. tun alles, damit das möglichst wenig bekannt wird.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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