Fall Alfie Evans

Bub todkrank: Eltern kämpfen für Behandlung

Ausland
25.04.2018 22:16

Alfie Evans ist zwei Jahre alt und leidet an einer schweren Hirnkrankheit. Seit Monaten befindet sich der Bub im Wachkoma. Die Ärzte hatten keine Hoffnung mehr, rieten den Eltern, die Geräte abzuschalten und das Kind gehen zu lassen. Doch Alfies Eltern zogen vor Gericht, um das Liverpooler Kinderkrankenhaus Alder Hey daran zu hindern, das lebenserhaltende Beatmungsgerät des Buben abzuschalten. Nun sind sie vor dem Berufungsgericht in London erneut gescheitert. Der Fall polarisiert, mittlerweile hat sich sogar Papst Franziskus eingeschaltet. Die Eltern wollen das Kind außer Landes bringen, doch das ist ihnen mittlerweile behördlich untersagt. 

„Niemand, ich sage niemand in diesem Land nimmt meinen Buben von mir weg“ - dem Vater des knapp zweijährigen, todkranken Alfie Evans ist die Frustration ins Gesicht geschrieben, als er in seinem schweren Liverpooler Dialekt vor dem Londoner High Court zu Journalisten spricht. Die Szene, die sich Ende vergangener Woche abgespielt hat, steht stellvertretend für diesen Fall, der nicht nur in Großbritannien Wellen schlägt. Auch italienische und polnische Politiker setzen sich für Alfie ein.

Alfie leidet an einer schweren neurologischen Krankheit, die noch nicht klar diagnostiziert ist. Die Ärzte im Kinderkrankenhaus Alder Hey in Liverpool halten weitere lebenserhaltende Maßnahmen für sinnlos, weil die Krankheit das Gehirn des Kindes fast vollständig zerstört haben soll. Sie wollen Alfie weiteres Leiden ersparen und ihn deshalb so bald wie möglich sterben lassen. Die Eltern dagegen wollen, dass Alfie so lange wie möglich lebt und in Italien weiter behandelt wird. Die Frage ist, wer am besten weiß, was gut für den Buben ist: seine Eltern oder die Ärzte?

Tägliche Demos vor dem Krankenhaus
Die Eltern Tom Evans und Kate James, beide Anfang 20, haben einen großen Unterstützerkreis. Vor dem Krankenhaus in Liverpool versammeln sich in dieser Woche täglich Demonstranten, die verlangen, dass Alfie ausreisen darf. Am Montag versuchten sie sogar, das Krankenhaus zu stürmen, sie wurden von der Polizei zurückgedrängt. Im Internet werden Spenden gesammelt, eine christliche Organisation stellt die Anwälte für das Paar.

Doch die britischen Gerichte gaben den Ärzten in allen Instanzen Recht. Sie lehnen eine Ausreise Alfies ab. Am Montag wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen eingestellt, doch Alfie lebt noch immer. Zur Verblüffung der Ärzte atmet der Bub von selbst, wie sein Vater sagt. Die Eltern zogen erneut vor Gericht, am Dienstag wurde der Antrag abgelehnt, auch eine Berufung am Mittwoch scheiterte.

Vatikan will Bub in Kinderkrankenhaus aufnehmen
Die italienische Regierung hatte zuvor alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Alfie ins vatikanische Kinderkrankenhaus Bambino Gesu zu bringen. Der Innen- und der Außenminister erkannten im Eilverfahren die italienische Staatsangehörigkeit zu, das Kabinett segnete den Vorstoß ab. Auf dem Flughafen Ciampino steht eine Maschine der Luftwaffe bereit, die nach Großbritannien fliegen und Alfie nach Italien transportieren könnte.

Am Mittwoch vergangener Woche nahm sich Papst Franziskus vor der Generalaudienz Zeit, den Vater des Buben zu empfangen. Auf Bildern ist zu sehen, wie er dem Mann die Hand auf die Schulter legt oder wie Tom Evans dem katholischen Kirchenoberhaupt einen Handkuss gibt. Die Anteilnahme in dem katholischen Land ist groß. Die Zeitungen sind voll von mitfühlenden Kommentaren, voll von Bildern, auf denen Vater Tom an der Seite seines Sohnes liegt. Viele stempeln die Entscheidungen in Großbritannien über die Zukunft des fast zwei Jahre alten Buben als „rigido“ - rigide, starr - ab.

„Dürfen die Hoffnung nicht verlieren“
Unverständnis herrscht auch bei der Präsidentin des Päpstlichen Kinderkrankenhauses, warum ihre Klinik das Kind nicht behandeln dürfen soll. „Unsere Motivation ist nicht nur menschlich, religiös oder ethisch begründet, wir sind wirklich überzeugt davon, dass wir niemals die Hoffnung verlieren dürfen“, sagt sie.

Auch ein deutscher Experte äußert Kritik an dem Umgang mit dem Fall in Großbritannien. Nikolaus Haas glaubt zwar nicht daran, dass Alfie noch geholfen werden kann, aber versteht auch nicht, warum dem Wunsch der Eltern nicht nachgekommen wird. In Deutschland würde Alfie „selbstverständlich auf Wunsch der Eltern weiter behandelt“, sagt der Professor für Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin vom Universitätsklinikum München der Deutschen Presse-Agentur. Haas, der den Buben untersucht hat, geht nicht davon aus, dass Alfie leidet. Er hält auch einen Transport des Kindes, anders als die britischen Ärzte, nicht für gefährlich. „Was könnte denn gefährlicher sein als die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen?“

Harte Haltung aus Angst vor Kosten?
Der Professor hat im Auftrag des zuständigen britischen Gerichts ein Gutachten über Alfie erstellt und dessen Verlegung in ein Krankenhaus in Deutschland oder Italien oder nach Hause zu seinen Eltern befürwortet. Er vermutet hinter der harten Haltung der britischen Mediziner auch die Furcht vor Kosten für das nationale Gesundheitssystem NHS durch ähnliche Fälle - und Arroganz. In Großbritannien herrsche eine Kultur, in der Entscheidungen von Ärzten und dem Gesundheitssystem schwer infrage gestellt werden könnten.

Der Fall von Alfie Evans erinnert an den von Charlie Gard. Charlie, der einen extrem seltenen Gendefekt hatte, starb im vergangenen Sommer nach monatelangem juristischem Tauziehen in einem Hospiz. Er wurde nur elf Monate alt. Dem Wunsch der Eltern, ihn für eine experimentelle Behandlung in die USA auszufliegen, hatten britische Gerichte bis zuletzt nicht entsprochen. Auch damals hatte sich der Papst eingeschaltet - und auch US-Präsident Donald Trump.

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