„Krone“-Interview

Pungent Stench: Die Wiederkehr einer Legende

Musik
28.04.2018 07:00

Mehr als zehn Jahre nachdem es eingespielt wurde, erschien mit „Smut Kingdom“ zuletzt ein bisher nicht veröffentlichtes Album der Wiener Death-Metal-Kultband Pungent Stench. Mit ihrem morbiden Wiener Charme, der kompromisslosen Instrumentierung und provokanten Artworks wurden Martin Schirenc, Alex Wank und Co. zu Legenden in der Szene. Unter dem Banner „Schirenc Plays Pungent Stench“ ist der Sänger noch immer live aktiv (zunächst am 11. Mai in Wien), für das Album gab es aber eine Sondereinigung. Schirenc rollt im ausführlichen Interview noch einmal die Bandhistorie auf und nimmt sich zu keinem Thema ein Blatt vor den Mund.

(Bild: kmm)

„Krone“: Martin, mit „Smut Kingdom“ erschien dieser Tage ein neues Album von Pungent Stench mit Material, das ihr vor mehr als zehn Jahren aufgenommen habt. Danach kam damals das Ende der Band und lange Streitereien zwischen dir und deinem alten Kompagnon Alex Wank. Wie konntet ihr euch darauf einigen, dass dieses Album nun doch das Tageslicht erblickt?
Martin Schirenc:
Es gab natürlich mehrere Probleme, die im Laufe der Jahre gelöst wurden. Die Dinge sind aus der Welt geschafft. Wir haben mit Dissonance Productions nun ein Label, das all unsere alten Alben samt Bonusmaterial auf CD und Vinyl veröffentlicht. Es ist ein englischer Vertrieb, denn mit einem deutschen wäre das nicht gegangen. Zwei Platten („For God Your Soul...“ und „Club Mondo Bizarre“) sind ja auf dem Index und wer weiß, was mit „Smut Kingdom“ passiert. Ich habe das Album neu gemischt, neue Spuren eingespielt und einiges verändert. Dass das Album jetzt zum 30-Jahre-Jubiläum von Pungent Stench rauskommt, ist purer Zufall. Jeder ist froh, dass die Unstimmigkeiten beiseitegeschafft wurden und die Fans nun dieses Material hören und kaufen können. Auch die alten Alben, die teilweise horrende Preise kosten, jetzt aber wieder normal angeboten werden. Die Erstpressungen sind ohnehin wertvoll und da können sich die Sammler exklusiv fühlen, aber ein Vinyl sollte keine 200 Euro kosten.

Das Material wurde also nicht 1:1 aus dem Jahr 2007 ins Jahr 2018 transferiert?
Nein, die Rhythmusgitarren etwa sind ganz neu. Es ging nicht darum, Kompositorisches zu ändern, sondern den Sound anzupassen. Mir war die Ursprungsversion viel zu wenig dreckig und ich habe jetzt ein neues Studio dafür benutzt. Die Platte bringt natürlich auch viele negative Assoziationen mit sich und dadurch musste ich einige Dinge neu machen. Manchmal war es eher frustrierend. Ich wollte den Mix und den Gitarrensound anders machen, habe auch ein paar Arrangements gekürzt. Nach einem gewissen Abstand merkst du, was eigentlich unnötig oder wiederholt ist.

Es sind aber ausschließlich Songs, die Wank und du geschrieben haben - und nichts Neues von dir?
Absolut nicht, die Songs sind alle von damals. Die Platte war damals nicht fertiggemischt, es gab nur einen Rohmix. Nach dem Ende mit Nuclear Blast waren wir auf Labelsuche und da war im Gespräch, diese Platte zu veröffentlichen. Mir gefiel das aber schon damals nicht, weil es nur Demoniveau war und die letzte Platte sollte schon ordentlich sein. Auch die Aufmachung ist jetzt viel schöner als früher.

Wie kann man sich denn heute eine Zusammenarbeit zwischen Schirenc und Wank verstehen?
Mittlerweile sind wir im Internetzeitalter angelangt und da kann man sich gut E-Mails schicken. (lacht) Mehr ist auch nicht notwendig. Ich hege keinen Groll, alles ist jetzt so, wie es sein soll und das ist das einzige, das zählt. So ähnlich wird auch Alex denken und es ist produktiver, als wenn man die Altlasten heute noch herumschleppt. Wir kümmern uns ausschließlich um das Exklusivrecht und um Bandbelage.

Kannst, darfst oder wirst du künftig auch wieder unter dem Namen Pungent Stench live spielen?
Nein, das ist nicht der Fall. Es geht nur um den Bandkatalog und die Veröffentlichung, nicht um die jetzigen Tätigkeiten. Pungent-Stench-Nummern kann ich natürlich nicht unter diesem Banner schreiben. Es wäre wahrscheinlich möglich ohne rechtliche Schwierigkeiten, aber das wäre blöd. Der Name Schirenc Plays Pungent Stench ist eh explizit genug.

Du hast auf „Smut Kingdom“ ein paar Gäste wie Entombeds LG Petrov oder Kam Lee von Massacre. Haben die ihre Parts jetzt erst eingesungen, oder waren sie auch schon damals auf der Demoversion zu hören?
Der Mentors-Bassist Dr. Heathen Scum war damals dabei, weil er in Wien war und wir ein ganzes Album mit ihm schrieben. Er ist Ingenieur, reist viel und war daher damals vor Ort. LG war damals auch da, er hatte mit Voivod in Wien gespielt. Ich habe auch Snake von Voivod gefragt, ob er singen will, weil diese Band immer zu meinen größten Favoriten zählte, aber als er unseren Text sah, wollte er plötzlich nicht mehr. (lacht) Er meinte, er wäre so ein „Spaced Outsider Punk“ - er ist halt ein Franzose. (lacht) Für mich wäre es aber eine Ehre gewesen, denn als ich 16 war, war Voivod für mich das absolut Brutalste. Wenn der Sänger dann 30 Jahre später auf dem Album singen würde, das hätte mir gefallen. Kam Lee hat mich dann über Facebook angeschrieben und fragte, ob er bei einem Projekt teilnehmen könnte. Wir haben dann eine Nummer als Duett aufgenommen.

Hat dieses Material für dich nach zehn Jahren noch eine gewisse Zeitlosigkeit oder fühlst du schon, dass das doch eine ganze Ecke lang her ist?
Die Texte sind schon damals in einem reiferen Alter geschrieben worden und haben eine bessere Qualität. Wir haben immer aktuelle Themen reingenommen, die zwar heute ein bisschen aus der Zeit gefallen sind, weil wir zum Beispiel iPhones oder Saddam Hussein erwähnten, aber noch die gleiche Relevanz haben. Wenn sie nicht noch relevanter sind. Dass in den USA ein Irrer in der Schule Kinder erschießt ist natürlich traurig, aber ich glaube, dass viel mehr Leute daran sterben, weil sie nur mehr auf ihr Handy starren und überhaupt nicht mehr auf die Umwelt achten. Die Texte haben einen gesellschaftskritischen Einschlag und Alex driftete damals mehr in die Richtung Religion, Kirchen und Geheimbünde ab. Da kenne ich mich weniger aus, ich bin nicht so der Verschwörungstheoretiker, aber er weiß da sehr gut Bescheid. „Opus Dei“, die Kirchenassoziation, gab es damals und ist heute noch relevant.

Da das Album auch seine schmerzhafte Seite hatte - hast du dir zwischenzeitlich auch mal überlegt, es vielleicht doch sein zu lassen?
Diese Momente gab es schon, aber wenn es mal nicht gut lief, dann haben wir mal ausgelassen. Das Album lag die meiste Zeit auf der Hard Disk und hat dort geruht. Nach Jahren habe ich mal reingehört und es ist komisch, wenn man so ein altes Album hört. Den Enthusiasmus von neuen Songs hast du ja nicht und man hört das Ganze gar nicht mehr neutral. Es gab eher eine negative Grundstimmung und manchmal gefiel es mir nicht. Nachdem aber alles geklärt war und ich Teile neu einspielte, bin ich nun froh, dass es rausgekommen ist. Es war wirklich viel Arbeit und die Leute warteten darauf. Damals, vor mehr als zehn Jahren, hatten wir so ein Internettagebuch und da habe ich es schon angekündigt und dann gab es doch nichts. (lacht)

Das Artwork, das fast ein bisschen an Black Metal erinnert, sticht doch deutlich heraus. Ist das von dir?
Nein, das ist nicht meines. Der Typ, Jesse Peper, ist gar nicht aus der Szene. Zbigniew Bielak war als erster im Gespräch, weil er Fan der Band ist, aber das wollte ich nicht. Müssen wir wirklich die 400. Band von ihm sein? Pungent Stench waren immer für die Artworks bekannt, aber wenn Bielak zeichnet, wer wartet denn dann noch darauf, außer ein paar Hipstern? Er kam dann mit Ideen wie Mozart oder derartiges, weil er das mit Österreich konnotierte. Aber das ist ja kein Pungent-Stench-Wien, wir sind ja nicht die Sezession. Ich sah dann einen Dreizackhut, der mich an Amadeus erinnerte und mir passte das alles nicht. Ich mag seinen Stil prinzipiell schon, aber er ist auch überreizt und hat nichts mit uns als Band zu tun. Wien als Postkartenmotiv passt nicht zu uns. Das endgültige Motiv hat was von Geisteskrankenkunst oder Mittelalter und das sprach mich gleich an. Es gibt eine rudimentäre Strichführung und das gefiel mir. Peper hat viel in der Elektronik gemacht und nicht in der Metalszene. Das Cover hat einen unangenehmen Unterton und es gefällt mir viel besser. Es hat eine leicht beunruhigende Grundstimmung, was mir gefällt.

Ein Freund von mir meinte gar, wir hätten ein Kreuz dieses Austrofaschisten drauf. Ich hatte keine Ahnung, aber offenbar hat er das unbewusst ähnlich reingezeichnet. Der Amerikaner hatte das aber sicher nicht im Hinterkopf. (lacht) Ich bin nicht auf Teufel komm raus auf Provokation raus, aber ich finde es irgendwie lustig. Wir hätten unlängst das erste Mal in Leipzig spielen sollen und das wurde abgesagt, weil wir frauenfeindliche Texte hätten. Ja, gut, aber wir haben auch Gewalt gegen Kinder und Männer - einfach alles. Das ist aber komplett egal. Außerdem ist das mehr ein Roman oder ein Film und keine Erzählung, was ich selbst gerne machen würde. Das war vor ca. zwei Jahren, aber ein Auftrittsverbot war mir selbst von früher unbekannt.

Der morbide Wiener Humor von Pungent Stench war immer ein wichtiges Merkmal eurer Band und den habt ihr euch auch hier erhalten.
Es gibt unterschiedliche Arten von Humor. Wir sind keine Partyband, sondern reden in einem humorvollen Ton über grausliche Dinge. Humor ist für mich ein Weg, unerträgliche Situationen erträglicher zu machen. Kann man über Auschwitz, Holocaust und Kinderschändung Witze machen? Ja, kann man, denn mit Humor nimmt man solchen Themen die Schärfe. Er macht sie nicht irrelevant oder lachhaft, sondern einfach nur erträglicher. Diese Art von Humor verwenden wir.

Die Political Correctness wird auch im Metalbereich immer stärker. Sollte man im Metal wirklich alles dürfen, oder muss man nicht auch eine Grenze ziehen?
Ich bin ein Advokat der freien Meinungsäußerung. Jeder sollte das Recht haben, alles rauszuposaunen, wobei natürlich Volksverhetzung oder Anleitung zur Gewalt nicht strafbefreit sein dürfen. Man sollte aber schon sagen dürfen, was man denkt. Das heißt nicht, dass es nicht ohne Konsequenzen sein soll. Wenn jemand behauptet, Hitler wäre cool, dann muss man den Gegenwind ertragen, aber ich bin gegen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das passiert immer stärker, auch außerhalb des Metal. Teilweise gibt es schon meinungsfaschistoide Züge und du musst oft deinen Wortlaut ändern, wenn du etwas sagst. Das sich laufend ändernde PC-Vokabular macht die Sache schwierig. Der Vater meiner Freundin wusste nicht einmal mehr, dass man nicht mehr „Neger“ sagt. Der hat überhaupt kein Problem mit anderen Kulturen, aber hat das nicht mitgekriegt. Das ist natürlich ein Extremfall, aber die Grundproblematik breitet sich überall aus.

Es ist nicht mehr nur so, dass die konservativen Christen die größten Feinde von Metal, Punk oder Hardcore sind, sondern auch die Linksextreme. Diese Campus-Self-Space-Sozialgerechtigkeit. Jeder muss heute diskriminiert sein. So wie #metoo. Das ist sehr bedenklich, weil es die Ernsthaftigkeit von Vergewaltigung wegnimmt. Wenn manche zehn Jahre später draufkommen, dass der Beischlaf mit jemand anderen gar nicht so cool war, verhöhnt er doch Vergewaltigungsopfer. Oft haben Dinge gar nicht mit der Band selbst zu tun, sondern mit einem Mitglied - wie der pädophile Typ von Inquisition. Natürlich ist es grauenvoll, aber es gibt viele pädophile Menschen und leider welche, die ihre Neigung ausleben. Er hat es bis zu einem gewissen Grad gemacht und sich Pornobilder angesehen. Das ist natürlich widerlich, aber er hat zumindest kein Kind misshandelt. Das ist neun Jahre her und ein Metalmagazin ist so tief gesunken, dass es so tief gräbt, um eine Schlagzeile herauszufinden, die nicht mehr aktuell ist. In dem Fall ist es natürlich schwierig für den Betroffenen zu sprechen, aber es gibt auch Geschichten wie die von Gina-Lisa Lohfink. Es stellte sich heraus, dass sie nur betrunken war, sich nach dem Sex genierte und einen Meineid geleistet hat. Als Ergebnis haben die zwei Typen ein ruiniertes Leben und sie ist immer noch im Fernsehen und beliebt.

Da fehlt mir auch die Vergewaltigungscausa zur Death-Metal-Band Decapitated ein, die danach freigesprochen wurde.
Alle Groupies raus aus dem Bus - damit legst du dir als Musiker nur ein Ei. Der Ruf der Band ist aber nachhaltig ruiniert. Alle haben gehört, sie hätten zu fünft ein Mädchen vergewaltigt und nur die wenigsten hörten dann, dass das eh nicht stimmt. Das Internet diffamiert von links und rechts. Es ist eine totalitäre Sache, wo das Volk das Volk ausspioniert und verwanzt. Das hat man heute von der linken, wie auch von der rechten Seite. Aber durch die sozialen Medien sind diese Präsentiermöglichkeiten ausgeufert. Wenn mir viele Leute folgen, dann kann ich ein Posting schalten, dass sich wie eine Lawine verbreiten kann und das wird dann leider schnell als Wahrheit empfunden. Man ist heute nicht mehr unschuldig bis bewiesen, sondern umgekehrt. In manchen Ländern sogar gesetztlich, wie die Skandinavier mit den Vergewaltigungsregeln. Du musst als Mann beweisen, dass du es nicht gemacht hast. Das zieht sich in die Musikszene rein, wie bei Watain.

Der Gitarrist macht eine Sieg-Heil-Pose - die Band wirft ihn sofort aus der Band und distanziert sich davon, wie schon seit Jahren. Ich glaube aber nicht, dass das reicht. Was muss man noch machen? Ich persönlich finde schon schlimm, dass sie das machen müssen. Der Mensch hat die Hand gehoben - aus Spaß oder ideologischen Gründen, aber hat er schon jemanden umgebracht? Es gibt aber Gesetze und Watain sind keine Naziband. Sie präsentieren keine Ideologie in ihrer Musik wie Screwdriver. Du bist heute auf Gedeih und Verderb der Öffentlichkeit ausgeliefert - es reicht schon einer, dem etwas nicht passt. Natürlich sind solche Aktionen vertrottelt. Auch die von Phil Anselmo, der besoffen die Hand hob, aber es passierte ihm Endeffekt nichts. Es steckt meist weniger dahinter, als reininterpretiert wird. Heute gibt es Fotos, die es ins Netz schaffen und dort für ewig bleiben. Ich will ihn auch nicht verteidigen, aber auch wenn er kein Supernazi wäre, das Foto reicht. Die Band leidet darunter, dass einer davon irgendwann mal den Arm hochgehoben hat. Damit hast du nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA brutale Probleme. Dort gibt es eine eigene Art von Antifa-Problematik, die unsere noch weit übertrifft.

Wird sich die Grundproblematik, die sich durch Internethetze im Allgemeinen ergeben hat, irgendwann wieder normalisieren können?
Ich kam zu dem Schluss, dass sich ohnehin alles wieder ausgleicht. Das Pendel schwingt zurück, aber es ist nicht immer schön. Ich unterstelle niemandem schlechte Intentionen und viele meinen es vielleicht wirklich gut, aber leider Gottes ist das oft nicht genug.

Provokation war immer ein wichtiges Stilmittel von Pungent Stench. Wie kannst, willst oder vermagst du heute noch zu provozieren, wo die ganze Welt schon so abgestumpft scheint?
Auf der Platte sind ganz viele Dinge, die gewisse Menschen provozieren können. Damit meine ich nicht unsere Elterngeneration, denn das war auch nie unsere Intention. Ich habe es gern gehabt, wenn sogar die Death Metaller schlucken mussten. Das Cover von „Been Caught Buttering“ hatte extrem homoerotische Untertöne und vor mehr als 25 Jahren war Homosexualität im Metal völlig tabu. Da gab es Schwule maximal außerhalb der Öffentlichkeit. Selbst inoffiziell haben sich alle sehr stark zurückgehalten. Jetzt reicht es aber schon, einfach Worte zu benutzen, die nicht mehr konform sind. Ich bin schon gespannt auf die ersten Reaktionen. Wir sind heute nicht mehr so relevant, aber bei großen Bands wie Watain kann keiner mehr furzen, ohne dass das genau untersucht wird.

Mit provokativen Texten würdest du aber auch durchkommen, denn auch bei anderen Bands im Metal geht es eher um das Äußere oder die Bebilderung - oft weniger um die Inhalte.
Und wenn die Leute die Texte lesen - es kann immer total in die Hose gehen oder auch total egal sein. Das war auch bei uns so. Zwei Alben waren am Index, drei nicht. Aber nicht weil die anderen harmloser gewesen wären, aber wo kein Kläger, da kein Richter. Das Internet ist so groß und da gibt es so viele „Nazis“, da ist es schon schwierig, alle zu erwischen. (lacht)

Homoerotik, Tote, Amputationen, ganz viel Fetisch - dazu die Cover-Artworks von Stefan Weber von den legendären Drahdiwaberl. Ihr habt schon früher nichts ausgelassen. Waren Drahdiwaberl eure großen Idole?
Drahdiwaberl waren in jeder Hinsicht super - musikalisch und inhaltlich. Der Weber ist ein Gott und in einer Liveplatte gibt es ein Bild, wo der Alex Wank mit 13 oder 14 in der ersten Reihe steht. Es war uns eine Ehre, dass Stefan bei uns sang, Artworks beisteuerte und wir sogar einen Tribut-Track beisteuern durften. Es gibt viele Musiker, die ich gut fand. Alte Ambros-Songs, oder auch anderer Austropop. Die hatten so einen Unterton, den auch wir haben, einen gewissen Österreich-Bezug. Damals war das wohl der Zeitgeist der Wiener.

Ernst Molden, Der Nino aus Wien oder auch Wanda versprühen auch in der heutigen Popmusik sehr viel Wiener Lokalkolorit. Fängst du damit auch was an?
Ich verfolge die Szene nicht so wirklich. Bei Wanda fand ich das „Bologna“ wirklich gut, auch der Text war witzig. Das war es für mich dann aber auch. Das Niveau hielten sie dann nicht, der Rest war mir einfach egal. Ich kenne schon Songs von Seiler & Speer und weiß auch, wo die hinwollen, aber das ist etwas anderes als der Ambros. Sie singen zwar schön im Dialekt mit Alltagsthemen, aber beim Ambros gibt es Songs, die mich in der richtigen Stimmung zum Weinen bringen. Ob das die neuen Künstler schaffen, das glaube ich nicht. Ich habe auch nicht die Zeit für all das, ich muss zu viel The Who hören. (lacht) Das Problem ist auch, dass dich Musik ab einem gewissen Alter nicht mehr so mitreißt. Death Metal ist ja jetzt auch keine Musik für reife Geister, dieses Problem ist auch einer Band wie Pungent Stench bewusst. Wir machen keinen Prog Rock. Ein Album wie damals könnte ich heute auch nicht schreiben, das wäre vollkommen unauthentisch.

Ihr hattet sogar in der Death-Metal-Szene mit dem Lokalkolorit und dem sehr schwarzen Humor einen eigenen Stellenwert, wo sich andere harte Vertreter der Szene vielleicht öfters dachten „Wahnsinn, was machen die?“
Wir hatten schon unseren eigenen Stellenwert und das merke ich heute noch. Ich habe unlängst den Sänger von Zeke getroffen und der hat auch gesagt, dass Pungent Stench ein großer Einfluss für seinen Hardcore-Punk war. Auch von Antiseen oder dem Bassisten von Faith No More habe ich das gehört. Angeblich mag sogar Jello Biafra Pungent Stench, aber das ist ein unbestätigtes Gerücht. Cannibal Corpse schaffen es sehr gut, thematisch in diesem Publikumsalter zu bleiben - auch Belphegor. Das gelingt uns aber überhaupt nicht. Ich könnte die Dinge nicht mehr so machen wie damals in den 90ern. Die anderen fühlen sich heute wie damals, das ist bei mir aber nicht so.

Du hast früher mal erwähnt, dass Menschen mit abwegigen Ideen bei Pungent Stench immer willkommen wären. Wurdest du von außen auch mit Themen oder Ideen konfrontiert, die dir zu weit gingen?
Wir wussten schon selbst, wie weit wir gehen oder nicht. Alex und ich haben immer unabhängig voneinander etwa die Hälfte getextet und wir haben uns inhaltlich unterschieden. Es muss nicht immer so arg sein, denn oft steckt der Teufel im Detail. Viel ist auch selbst erdichtet und das meiste ist nicht auf wahren Gegebenheiten projiziert.

Gibt es auch Texte, die du heute nicht mehr so schreiben würdest?
Nicht wirklich. Aus inhaltlichen Gründen passt schon alles, es ist eher die Art und Weise, wie ich sie schrieb. Damals war das noch Langenscheidt-Englisch mit falschen Aussprachen. Aber ich weiß mittlerweile, dass das einen speziellen Charme hatte. Vor dem Internetzeitalter habe ich oft erst Jahre später erfahren, wie man etwas richtig ausspricht. Ich weiß zum Beispiel gar nicht mehr, woher ich das Wort „Buttering“ hatte. Aber es hatte einen schwulen Unterton und das fand ich super. Viel passierte einfach durch das schwache Englisch. Die Englischsprachigen finden das aber auch charmant. Heute ist es ja viel leichter, zu texten. Ich und Alex haben immer gerne gereimt und früher musste man echt hart suchen. Heute lässt sich das sehr schnell bewerkstelligen durch die ganzen Reimlexika, die ich gerne verwende. Da kommen oft sehr blödsinnige Sachen raus, die ich durchaus schätze.

Hatten Alex und du auch immer den gleichen Humorlevel? Ging der Sinn für das Morbide quasi parallel?
Nicht immer, ich war immer der, der eher noch bremsen wollte. Am Ende wurde aber nie viel gebremst und wir reden von einer Zeit, wo all das noch nicht so schlimm war. Es gab da so eine aus Deutschland, die immer darauf geachtet hat, dass Cannibal Corpse dort live ein bestimmtes Lied nicht spielten, aber insgesamt war das alles nicht so genau. 1984 oder 1985 hat der „Metal Hammer“ eine Anzeige geschaltet, wo es das Hitler-European-T-Shirt zu kaufen gab. Das war sehr humorig gemeint, wenn auch sehr provokativ, aber damals hat sich keiner daran gestört und der „Hammer“ war deshalb kein Nazi-Magazin. Es gab auch viele Samples mit Hitler-Reden auf Platten, da musste man sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Ich werde das aber nicht machen, weil ich nicht will und weil ich mich auch nicht irgendwelchen komischen Meinungspolizisten beugen will. Mir ist völlig egal, was über mich geredet wird, aber es ist wichtig, dass sich die Veranstalter von der Internethetze nicht unterkriegen lassen. Durch den politischen Rechtsruck werden die Linken noch hysterischer als sonst. Die Zeiten sind angespannter und so werden auch die Leute noch nervöser. Nazijagd ist ein gutes Thema heute. Einen Faschisten kann man auch prügeln, weil es nicht tabu ist. Oder eben jemanden, den man als Faschisten bezeichnet. Das hält nicht strafrechtlich, aber es stiftet Leute zu Blödheiten an. Es ist ja Fakt, dass viele Leute zu Demos anreisen, um Gewalt auszuüben. Der Inhalt ist egal, es geht darum, dass man randaliert.

Ist eine Linksextreme aber nicht dennoch ungefährlicher als eine Rechtsextreme?
Mittlerweile nicht mehr. Es hält sich heute ganz gut die Waage. Die Gesinnung ist gar nicht so ausschlaggebend, sondern vielmehr die Leute. Es gibt auf beiden Seiten junge Männer, die gewaltbereit sind. Man braucht aber einen politischen Background, um sich zu legitimieren, denn sonst kann ich auch Fußball-Hooligan werden. Ich kann ja nicht auf der Straße irgendwem eine reinhauen, aber politisch motiviert, habe ich diese Art von moralischen Rückhalt. Das ist rechts und links dasselbe Prinzip. Relevant ist, dass es Extremisten sind - auf beiden Seiten. Auch beim muslimischen Extremismus.

Trotz zehn Jahre nach dem offiziellen Ende der Band und zwischenzeitlichen Pausen sind ihr immer noch die mit Abstand größte und bekannteste Death-Metal-Band Österreichs. Ist das so, weil ihr immer so gut wart oder eher ein Armutszeugnis für alle Bands, die nach euch kamen?
Eigentlich ein Armutszeugnis. Vielleicht sind wir bedeutender, als wir uns selbst sehen, aber es gibt leider nicht sehr viel Spannendes bei uns. Wir haben keine eigene Identität, sind zu stark von Deutschland oder den USA beeinflusst. Mit Ausnahme von ein paar Black-Metal-Bands springen andere auf Trends auf, die schon längst abgefahren sind. Jetzt noch Nu Metal zu spielen etwa, was soll das bringen? Das kann nichts werden. Schau dir nur die Konzerte an. Der Mainstream ist gut besucht, aber die Old-School-Bands sieht sich hier niemand an. In Deutschland geht das, aber nicht bei uns. Wien war mal sehr fad, wurde kurz cool, ist jetzt aber wieder fad.

Mit euren Texten und der ganzen Haltung wäre euch das Internet damals ja zugutegekommen. Da hättet ihr noch mehr aufwiegeln können.
Da bin ich eher vorsichtig. Das Internet hat in allen Belangen mehr Nachteile als Vorteile gebracht. Die Musikindustrie hat es komplett zerstört, das ist Fakt. Als Junger hat mich früher immer geärgert, dass ich von meinen Helden keine Fotos sah und keine Infos bekam. Alles war so mystisch, aber ich wollte hinter die Kulissen von Bands wie Venom blicken. Heute sehe ich Leute von damals auf Facebook und mir kommt das Speiben. Ich denke mir oft, dass ich das damals gottseidank nicht so mitgekriegt habe, wie jemand in seinem normalen Leben durchschnittlich oder weinerlich ist. Dieses Geheimnisvolle und Spannende war damals magisch. Mit komischen Masken und Strümpfen im Gesicht ist das heute eher ein Getue. Aber man kommt ja ohnehin nicht davon. Mir gefällt das auch nicht, wenn jeder genau weiß wo ich in Echtzeit bin, das geht auch keinen was an. Bei einer Band wie Batushka wird das künstlich aufgeladen und dann kommst du eh drauf, dass der Typ hinter der Maske noch bei drei anderen polnischen Bands spielt.

Bist du heute froh, dass du im Gegensatz zu anderen Death-Metal-Musikern aus deiner Zeit heute nicht mehr zwanghaft rund um die Welt touren musst, um deinen Lebensunterhalt damit zu verdienen?
Es ist nicht schlecht, wenn man auch was anderes im Leben hat. Im Dezember werde ich 50 und es strengt mich mittlerweile an, zu touren. Ich schaue auf mich, trinke keinen Alkohol, rauche nicht und versuche mich fit zu halten, aber ich weiß, dass das in zehn Jahren noch viel schlimmer sein wird. Das Leben wird nicht leichter und du hast auch eine psychische Belastung. Ich kenne das selbst, denn wenn sich die Band plötzlich auflöst, was machst du dann? Manche haben Kinder und Familie und dann wird es wirklich schwierig.

Ihr spielt immer noch viele Festivalshows und Einzelgigs, aber kann man sich zu „Smut Kingdom“ auch eine Tour vorstellen - eben mit der Schirenc Plays Pungent Stench-Band?
Das Tourleben ist heute fast schon unnötig geworden, denn aus dem Herzen Europas kann ich sehr schnell wohinfahren oder -fliegen - außer USA oder Australien. Eine Tour ist verdammt teuer, man muss jeden Tag spielen und von Montag bis Donnerstag spielst du meist vor niemand. Durch die ewigen Festivals touren alle Bands zwischen September und Dezember und ein bisschen vor den Festivals im Frühling. Da ist jeder unterwegs und du siehst ja, wie der Mitbewerb in Wien ist. Es gibt oft drei Konkurrenzveranstaltungen pro Tag, die sich das Publikum wegnehmen, so etwas erspare ich mir heute. Unlängst waren wir drei Tage mit Kreator unterwegs, sind selbst gefahren und das war total okay. Ich will auch nicht mehr in einem Bus mit 20 Leuten sitzen. Das muss ich heute nicht mehr haben.

Was macht eigentlich euer erster Bassist Jacek Perkowski, der bis 1995 in der Band war?
Der ist immer wieder mit mir in Kontakt. Er macht schon noch Musik, aber eher halbherzig - weit weg vom Metal. Bei einem Arena-Gig haben wir ihn eine Nummer mitspielen lassen auf der Bühne und dafür mussten wir lange betteln. Er hat es dann durchgezogen, aber als ich ihn fragte, ob er das wieder mal machen will, hat er sofort den Kopf geschüttelt. (lacht)

Schreibst du sonst auch gerade neue Musik für irgendwelche anderen Bands oder Projekte?
Zombie Inc. habe ich schon lange verlassen und das ist abgehakt, dafür habe ich keine Zeit. Es ist auch nicht lukrativ. Ich kann es mir nicht leisten, nur zum Spaß Musik zu machen. Ich schreibe schon immer wieder, aber ich habe wenig konkrete Pläne. Für Schirenc Plays Pungent Stench gibt es schon Ideen, aber ich weiß nicht, ob und in welcher Form etwas herauskommen wird.

Schirenc Plays Pungent Stench sind das nächste Mal am 11. Mai im Wiener Viper Room beim Warm-Up zum am 12. Mai stattfindenden „Vienna Metal Meeting“ zu sehen. Karten erhalten Sie unter www.metalticket.at.

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