„Dickerchen“ genannt

Kopfschuss mit Sturmgewehr aus Rache für Hänselei?

Österreich
12.04.2018 18:13

Vorsätzlich seinen Kameraden erschossen zu haben, das wirft - wie berichtet - die Wiener Staatsanwaltschaft Ali Ü. (22) vor. Am 9. Oktober des Vorjahres hallte ein Schuss durch die Wachräume der Wiener Albrechtskaserne, „das Geschoss zertrümmerte das Gehirn“ von Ismail M. (20), wie es in der Anklageschrift heißt. Zudem wird erstmals ein mögliches Tatmotiv genannt: So soll der mutmaßliche Täter, dem das Hantieren mit der Waffe ein „Gefühl der Männlichkeit“ gegeben habe, gehänselt und unter anderem „Dickerchen“ genannt worden sein ...

Der Beschuldigte hatte stets beteuert, dass sich der Schuss, der den jungen Rekruten tötete, versehentlich aus dem Sturmgewehr gelöst habe. Das sei passiert, als er gestolpert sei und sich am Abzug seines Sturmgewehres festgehalten habe. In der Anklageschrift, die krone.at vorliegt, listet die Wiener Staatsanwaltschaft aber nun penibel auf, warum an dieser Version dringend gezweifelt werden müsse. So geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Ali Ü. absichtlich seine Waffe durchgeladen habe. Einen Sturz oder ein Stolpern habe es dagegen nie gegeben.

Aussagen „lebensfremd“ und „unplausibel“
Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Angeklagten seien aufgekommen, da dieser etwa erst in der dritten Vernehmung erwähnt habe, „irgendwie gestolpert“ zu sein. Dass sich dann bei dem Versuch, die Waffe nicht aus den Händen zu verlieren, ein Schuss gelöst habe, nennt die Staatsanwaltschaft „aus zahlreichen Gründen lebensfremd“ und „unplausibel“. So sei an der Tür zum Ruheraum, in dem das Opfer geschlafen habe, „nur eine wenige Millimeter hohe Übergangsschiene“, das Licht sei eingeschaltet gewesen, zudem wäre bei einem unkontrollierten Betätigen des Abzugs wohl „Dauerfeuer“ abgegeben worden - nicht aber ein einzelner Schuss.

Spurenbild widerspricht Aussagen
Außerdem konnte Ali Ü. bis dato nicht sagen, wann ihm das Gewehr - wie er immer behauptet hatte - am Tag des Dramas heruntergefallen sei. So nämlich will der Angeklagte erklären, wie die Waffe überhaupt erst von dem ursprünglich „halbgeladenen und gesicherten Zustand“ in einen schussbereiten gekommen sei.

Im Zuge der Ermittlungen wurde deshalb ein Fallgutachten mit dem StG 77 erstellt. Dabei wurde zwar festgestellt, dass ein Durchladen der Waffe durchaus möglich ist, wenn das Gewehr zu Boden fällt, allerdings seien laut Anklageschrift dabei stets ganz spezifische Kratzer, sogenannte Längsriefen, an der Patronenhülse entstanden. „Demgegenüber weist die am Tatort sichergestellte Patronenhülse dieses Spurenbild nicht auf“, steht in dem elfseitigen Dokument zu lesen.

Video: Das Sturmgewehr StG 77 im Falltest

Spezielles Machtgefühl“ durch Waffe
Besonders belastend sind zudem die Aussagen eines Zeugen. Diesem gegenüber habe Ü. nämlich zugegeben, „immer mit der Waffe gespielt“ zu haben. Das habe ihm „ein Gefühl der Männlichkeit gegeben“ bzw. ein - wie es die Anklage nennt - „spezielles Machtgefühl“.

„Dickerchen“ genannt: Rache für Hänselei?
Der mutmaßliche Täter habe außerdem gegenüber dem Zeugen erzählt, dass er „mit dem Opfer habe befreundet sein wollen“. Er sei aber „immer wieder von ihm gehänselt worden“. So habe ihn das Opfer öfters auf Türkisch ,sisko‘ (,Dickerchen‘) genannt. Möglicherweise ist darin auch das Tatmotiv zu suchen, wenn sich Ali Ü. etwa für diese Hänseleien rächen habe wollen.

Kein Einspruch gegen Anklage
Da die Verteidigung bereits bekannt gegeben hat, keinen Einspruch gegen die Mordanklage zu erheben, dürfte demnächst ein Termin für die Hauptverhandlung vor einem Geschworenengericht bekannt gegeben werden. Seitens der Verteidigung hieß es, dass man „nach wie vor von Fahrlässigkeit“ ausgehe. Ein Vorsatz wird vom Angeklagten jedenfalls bis dato vehement bestritten. „Das Drama war ein Unfall“, hatte Ali Ü. auch gegenüber der „Krone“ erklärt.

Im Fall einer Verurteilung drohen dem Angeklagten zehn bis 20 Jahre Haft oder lebenslänglich.

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