Wahl in Ungarn

Orbans Sieg ist nicht mehr so sicher …

Ausland
07.04.2018 07:00

Bei der ungarischen Parlamentswahl am Sonntag ist jetzt alles möglich. Denn die Bereicherungsexzesse des Orban-Clans lassen den Unmut wachsen. Alles hängt nun von der Wahlbeteiligung ab. Doch die Opposition ist zersplittert. Ein „Krone“-Lokalaugenschein im ungarischen Wahlkampf.

Es ist ein sonniger Tag in Felcsut. Ein 1800-Seelen-Dorf knapp eine halbe Stunde westlich von Budapest. Neben der Dorfeinfahrt erstreckt sich eine riesige Baustelle. Dahinter erhebt sich fast schon majestätisch das Fußballstadion mit großer Vorgeschichte. Ungarns allmächtiger Ministerpräsident Viktor Orban hat sich nämlich in seinem Heimatort ein Denkmal gebaut. Eines von vielen. „Hier kommen jetzt noch eine Handball-, eine Basketball- und eine Wasserballhalle hin“, erklärt ein Anrainer die riesige Baustelle.

Etwas weiter die Straße runter ist der neu renovierte Bahnhof. Ein flüchtiger Blick auf den Fahrplan verrät, dass in wenigen Minuten Orbans berühmter Zug kommen sollte. 2016 wurde eine Strecke von sechs Kilometern erbaut, mit drei Stationen, Fahrtdauer: 25 Minuten. Finanziert unter falschen Voraussetzungen mit zwei Millionen Euro EU-Fördergeld.

Nur Bulgarien korrupter als Ungarn
Der Ticketschalter ist geschlossen. „Der Zug fährt nicht“, verrät eine ältere Dame, die vor der Haltestelle in der Sonne sitzt, und deutet auf einsam auf den Gleisen stehende Waggons. Die „Val Valley Railway“, wie sie offiziell heißt, fährt relativ häufig nicht. Von Ende Oktober bis Mitte April - eine Ausnahme gab‘s am Osterwochenende - ist der Bahnverkehr eingestellt. Ein genaueres Studium des Fahrplans mit Übersetzungshilfe der älteren Dame verrät: Auch sonst fährt der Nostalgiezug unter der Woche oft nur an drei Tagen.

Orbans Spielzeug auf EU-Kosten steht exemplarisch für die Korruptionsvorwürfe gegen den von 1998 bis 2002 und seit 2010 amtierenden Ministerpräsidenten. Orban versprach der EU für die Nutzung des Zuges 2500 Passagiere täglich. Ein Wunschtraum. Die Anti-Korruptions-Behörde OLAF ermittelt. Laut Index wird in der EU nur Bulgarien korrupter eingeschätzt als Ungarn.

Vor gut sechs Wochen zweifelte in unserem Nachbarland und in ganz Europa niemand an einem deutlichen Wahlsieg von Orban und seiner Fidesz-Partei. Dann folgte die kapitale Niederlage bei den Bürgermeisterwahlen in Hodmezövasarhely, einer bisherigen Fidesz-Hochburg in Südostungarn. „Das war der Wendepunkt“, sagt der Journalist Tamas Bauer. „Seitdem herrscht in der Opposition so etwas wie Euphorie.“

Woher stammt der Orban-Überdruss?
Woher der Orban-Überdruss? Die Arbeitslosenquote sank seit 2013 von zwölf auf vier Prozent, auch die Wirtschaft wächst kontinuierlich. „Orban fördert nur die Oligarchen“, sagt die Journalistin Elisabeth Inotai. Reiche werden reicher. Arme bleiben arm.

Junge Ungarn wandern aus
Viele sehen dadurch keine Zukunft. „Mehr als eine halbe Million junger Ungarn hat in den letzten Jahren das Land verlassen. In puncto Korruption sind wir fast schon eine Bananenrepublik“, sagt der Jobbik-Abgeordnete Marton Gyöngyösi zur „Krone“. Die europaweit höchste Mehrwertsteuer von 27 Prozent trifft vor allem die unteren Schichten.

Orban hat nur noch ein Thema: Migrationsalarm
Und: Orban betreibt einen einseitigen Wahlkampf. „Er hat nur ein Thema: Migration“, sagt Gyöngyösi. Bei den letzten Wahlen hatte Fidesz ein breiteres und vor allem sozialeres Themenspektrum, wie die Deckelung der Wohnnebenkosten. Orban - dessen Rachsucht legendär ist -  droht mittlerweile unverhohlen der Opposition. Nach der Wahl werde er sich „moralische, politische und juristische Genugtuung holen“, sagte er in seiner Rede zur Lage der Nation am 15. März.

Opposition versucht, die Wähler zu mobilisieren
Die Opposition hat in Hodmezövasarhely bewiesen, was bei einer hohen Wählermobilität und Einigkeit möglich ist. „Orban hat jetzt Angst“, sagt Gyöngyösi. Zwischen 30 und 40 Prozent der Ungarn sind laut Erhebungen noch unentschlossen. Viel Potenzial.

Bei einer Wahlbeteiligung zwischen 65 und 70 Prozent ist seine aktuelle Zweidrittelmehrheit im Parlament futsch. „Andernfalls würde es nach Wahlbetrug aussehen“, sagt die Journalistin Inotai. Weswegen mittlerweile sogar einige Fidesz-Abgeordnete „nur“ auf eine absolute Mehrheit hoffen. Bei mehr als 70 Prozent ist sogar diese in Gefahr. Dann müsste Fidesz koalieren. Was momentan für kein Oppositionsbündnis infrage kommt. „Das wäre politischer Selbstmord“, sagt Gyöngyösi von Jobbik. „Die höchste Wahlbeteiligung gab es 2002 mit 72 Prozent“, so Journalist Bauer. Und damals hat Orban verloren. Nur diesmal wisse keiner, so Bauer, „was danach kommt“.

Clemens Zavarsky, Kronen Zeitung

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