„Krone“-Interview

Gavlyn: Rap ohne Rücksicht auf gängige Stereotype

Musik
27.03.2018 08:07

Mit ihrem neuen Album „Headspace“ versucht die kalifornische Rapperin Gavlyn ihre bisherige Erfolgsserie um einen weiteren wichtigen Baustein zu erweitern. Am Rande ihres Auftritts im Wiener Flex Café sprach die 25-Jährige mit uns über ihre großen Idole, lästige Geschlechtsstereotype und was sie in Zukunft noch so alles vor hat.

(Bild: kmm)

Schon im frühen Kindheitsalter entdeckte Gavlyn im beschaulichen San Fernando Valley, unter der sengenden Hitze Kaliforniens, ihre Liebe zur Bühne. Früh lässt sie keine Möglichkeit aus, um vor Publikum zu performen und stählt sich somit für alles Kommende. Dass aus ihr einmal eine konkurrenzfähige Rapperin werden würde, hat sie lange selbst nicht realisiert. Als glühender Hip-Hop-Fans versucht sie sich zwar öfters daran, gleitet dazwischen aber in den Spoken-Word-Bereich ab und findet erst durch Langzeitfreund und Geschäftspartner DJ Hoppa wieder zurück ins Spiel.

2009 war für die erst 16-Jährige prägend. Der Song „What I Do“ auf ihrem Mixtape „Habit That You Blame“ verbindet ihre Vorliebe für den Funk und die Frauenpower der 70er mit dem kalifornischen Hip Hop der 90er-Jahre, ohne dabei zu gezwungen und kalkuliert zu wirken. Via YouTube entwickelt sich der Track zum Selbstläufer und macht Gavlyn in der hiesigen Szene schlagartig bekannt. Über das „Organized Threat“-Kollektiv und mithilfe des Indie-Labels Broken Complex feilt sie weiterhin an ihren Fähigkeiten und veröffentlicht die folgenden Jahre zahlreiche Studioalben – das aktuelle namens „Headspace“ erst vor wenigen Wochen. Am Rande ihres Auftritts im Wiener Flex Café nahm sich Gavlyn Zeit, um mit uns über ihre Liebe zu Hip Hop, die Rolle der Frauen in der Szene und ihre persönlichen Texte zu sprechen.

„Krone“: Gavlyn, du bist eine der wenigen amerikanischen Rapperinnen, die immer wieder in Europa touren, was für Künstlerinnen deines Genres eher unüblich ist. Wie kam es zu dieser Verbindung?
Gavlyn:
Es hat über MySpace und YouTube angefangen. Mein erster Song „What I Do“ ging vor einigen Jahren viral und ich bekam die Möglichkeit, nach Europa zu kommen durch DJ Mike Steez. Mit ihm war ich dann etwa drei Jahre lang hier unterwegs. Dann kam ich zu einer Booking-Agentur, die sehr gut mit Europa verbunden ist. Aber ausschlaggebend für all das war das Internet, das hat mein Leben total verändert.

Fühlst du dich vom europäischen Publikum anders verstanden als vom amerikanischen?
Das europäische Publikum kann durchaus so enthusiastisch sein wie das amerikanische, nur darf man als US-Künstler nicht automatisch verlangen, dass die Leute hier alles verstehen, von dem ich singe. Das Coole hier ist, dass die Leute mich ja trotzdem mögen.

Der Rap und der Hip Hop sind in den USA immer noch viel populärer als in Europa – zumindest sagen das Besucher- und Verkaufszahlen.
Ich bin mir da gar nicht so sicher. Es gibt verschiedene Rap-Stile und da sind sicher einige in den USA populärer als hier, aber der Hip Hop an sich ist in Europa ein ungemein großes Thema. Die Leute sind hier aber auch wirklich Fans. Da ist kein Platz für Poser oder falsche Beweggründe. Bist du in Europa Hip-Hop-Fan, dann meinst du es auch wirklich ernst.

Du kommst direkt aus Los Angeles, einem großen Schmelztiegel von Musik im Allgemeinen und dem Rap im Besonderen. Ist es noch schwieriger, sich in diesem Genre zu behaupten und zu beweisen, wenn man aus einer Gegend kommt, in der so viel Konkurrenz herrscht?
Das war nicht leicht, was auch daran liegt, dass ich eine Künstlerin bin und kein Künstler. In Los Angeles gibt es von allen Kunstformen eine Vielzahl. Eigentlich zu viele, von denen nur wenige den Durchbruch schaffen. Als ich in die Hip-Hop-Welt kam, hatte ich absolut keine Erwartungen und als mir plötzlich die Möglichkeit eröffnet wurde, in Europa zu touren dachte ich mir nur: „Scheiße, lasst uns das einfach machen“. (lacht)

Los Angeles ist auch eine sehr oberflächliche Stadt, der es oft am nötigen Realitätssinn fehlt. Erschwert das einen ungeschönten blick auf das Künstlerleben, wenn man selbst Künstler ist?
Hier ist das Beste aus beiden Welten vereint. Los Angeles kann einerseits sehr oberflächlich sein, andererseits aber auch sehr bodenständig und echt. Es gibt wirklich viele echte Rapper, wie Kendrick Lamar, die sich ihren Weg hart erarbeitet haben. Man kann sehr schnell wählen zwischen echtem, ernstgemeintem Hip Hop und jenem, der nur auf schnellen Erfolg aus ist. Es ist im Endeffekt die Entscheidung jedes einzelnen.

Was macht diese Hemisphäre, aus der du stammst, für dich als Künstlerin so speziell?
Hier bin ich aufgewachsen und hier habe ich mein Handwerk gelernt. Ich habe in L.A. meinen allerersten Rap-Song gehört und wenn du es ganz genau wissen willst, komme ich aus San Fernando Valley, einem Vorort von L.A. Es gibt viele Rapper von dort, wie DJ Quick, Dr. Dre oder Snoop Dogg, zu denen ich immer aufgeschaut habe und die mich stark beeinflussten. Sie sind wie Paten für mich und auch aus der Gegend, aus der ich komme.

Was hat dich am Rap immer so fasziniert? Die Technik, die Attitüde oder die Inhalte, die man damit transportieren kann?
Ich habe schon als Kind gerne performt und war schon als Zehnjähriger in allen möglichen Talentshows. (lacht) Anfangs dachte ich, dass ich mit meiner Stimme ungeeignet wäre um zu Singen, aber ich sah dann ein Video von Lil‘ Kim und von da an war mir klar, dass man auch als Frau mit tiefer Stimme Erfolg haben kann. (lacht) Der Hip Hop hat mein Leben revolutioniert. Zuerst als Fan, jetzt als Sängerin. Ich habe diese Musik immer gehört, in all ihren Facetten. Als ich in der High School war, haben meine Freunde gefreestylt und ich habe es zum Spaß probiert. Das hat mir so gut gefallen, dass ich niemals mehr etwas Anderes in meinem Leben machten wollte.

Anfangs hast du mit Spoken-Word-Performances an deinem Talent gefeilt.
Das ist richtig. Ich habe aber schon damals Hip Hop gehört, nur war das Schreiben von solchen Texten und dieser gewissen Form von Poesie für mich wichtig, um eine andere Perspektive darauf zu kriegen, wie ich Texte nach außen tragen kann. Der Rap hat einen gewissen Flow und die Spoken-Word-Sache kann überall angewendet werden. Es gibt da wie dort ein Reimschema, an dem man sich orientieren kann.

Kann man Rappen eigentlich wirklich lernen, oder ist ein außerordentliches Talent Grundvoraussetzung dafür?
Ich glaube, dass es sogar sehr wichtig ist, sich selbst einiges beizubringen. Ich wurde stark von anderen Künstlern beeinflusst und habe immer versucht, in meiner Art und Weise selbst in diese Richtung zu gehen. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass dir jemand Tipps oder Ratschläge gibt, aber wenn dir jemand physisch zeigt, wie man rappt, dann solltest du es vielleicht gleich bleiben lassen. (lacht) Sowas muss aus dir kommen, zumindest wenn du ein Sänger bist.

Du warst einige Jahre lang ein Teil des „Organized Threat“-Kollektivs. Eine Ansammlung von Menschen aus unterschiedlichsten Nationen und mit unterschiedlichsten künstlerischen Handwerken, die gemeinsam Erfahrungen und Talente teilten. Hat das deine Sichtweise auf die Musik und das Leben an sich verändert?
Es war unfassbar wichtig, um meine eigene Individualität zu finden und von anderen zu lernen und die Erfahrungen zu teilen. Das ist auch der Grund, warum ich Musiker so gerne mag – sie sind immer sie selbst, mit allen Ecken und Kanten. Dort fühle ich mich auch normal, weil die Leute dort etwas abgedreht sind. Es ist schön für sich selbst zu lernen, aber auch zu lernen, wie andere ihre Dinge in deiner Umgebung erledigen. Manchmal war es wie ein Kulturschock, denn ich hatte nie die Idee, mein Land für Rapmusik zu verlassen. Ich habe den ersten Schnee meines Lebens in Europa gesehen, das ist so verrückt.

Ein wichtiger Teil deiner Karriere ist dein Kindheitsfreund DJ Hoppa, mit dem du noch heute gut zusammenarbeitest. Was macht eure künstlerische Beziehung so speziell und fruchtbar?
Ich traf ihn auf einer Hausparty, wo er der DJ War. Wir sind mit denselben Freunden aufgewachsen und unsere Freundschaft entstand außerhalb der Musik. Er wurde mittlerweile zu einem großen Bruder für mich und hat mich über meine ganze Karriere hinweg entscheidend begleitet. Er war ein einziger Glücksfall in meinem Leben.

Erst vor wenigen Wochen habt ihr euer neues gemeinsames Album „Headspace“ veröffentlicht. Was geht eigentlich in deinem Kopf immer so vor?
So viele Dinge auf einmal, die kann ich gar nicht alle aufzählen. Ich will meine feministische Seite, meine Girlpower nach außen stülpen und allen zeigen, wozu ich im Rap fähig bin. Ich will den Leuten etwas mitgeben und diese Botschaft ist zwar immer dieselbe, aber ich versuche mich dahingehend in unterschiedlichen Formen auszudrücken. Ich will in dieser Rap-Welt einen Unterschied machen und das der Welt zeigen.

Ist es in L.A. immer noch so viel schwieriger für Frauen, sich im Rap zu beweisen und den verdienten Respekt zu bekommen?
Heute vielleicht nicht mehr ganz so, aber diese Welt ist immer noch voller Stereotype. Es gibt entweder eine Nicki Minaj oder eine Little Simz. Entweder hast du große Brüste und einen vollen Arsch, oder du hast tolle Rap-Eigenschaften und bist als zu kantig verschrien. Irgendwie ist zwischen diesen Polen kein Platz für etwas Anderes. Das Schlimme daran ist, wie schnell und unreflektiert weibliche Rapper in diese Kategorien gestoßen werden. Wenn du dich aber einmal bewiesen hast, dann kommst du schnell aus diesen Boxen raus. Das ist das Positive.

Ist der Sexismus oder auch die bewusste Darstellung von Sexismus so stark, dass er die wahren Fähigkeiten der Rapperinnen oft überschattet?
Nein, das würde ich nicht sagen. Du hast als Frau die Wahl, wie du dich präsentierst. Willst du nur sexy sein, oder willst du auch anders für Aufsehen sorgen. Jeder kann sich als sexy verkaufen, aber du musst dir dann auch bewusst sein, dass dich jeder nur sexy findet und sich einen Scheiß um deine Texte kümmert. Das muss sich jeder mit sich selbst ausmachen.

„Headspace“ ist ein sehr persönliches, stellenweise auch autobiografisches Album. Einer deiner stärksten Songs ist etwa „Note To Self“ – welche Notizen machst du dir selbst in deinem Leben?
Die muss ich tatsächlich immer machen, weil ich mich oft daran erinnern muss, glücklich und positiv zu sein, die Welt einfach aus einem lebensbejahenden Standpunkt aus zu sehen. Ich will den Bullshit nicht an mich heranlassen und meinen Geist rein und offen halten. Es ist leider  so einfach, die Haftung zu all diesen Dingen zu verlieren, weil man schnell in einen Strudel der Negativität kommt. Also sage ich mir immer, dass ich glücklich und manchmal nicht so dickköpfig sein soll. (lacht)

Setzt du dir bei deinen Seelenstripteases auch Grenzen, die du für die Außenwelt nicht übertreten willst?
Ich bin eine persönliche Schreiberin, die immer ihr eigenes Leben und die Beobachtungen daraus in die Musik einfließen lassen muss. Es geht immer darum, welche Wörter ich verwende. Ich will nicht zu einfach und deutlich sein. Ich will keinem sagen, dass der Himmel blau ist, sondern biete eher die Option an, dass der Himmel vielleicht blau sein könnte. (lacht) Ich lerne aber jeden Tag dazu und mir wird immer mehr egal, was andere über mich denken.

Wird es mit steigendem Bekanntheitsgrad nicht auch schwieriger, den richtigen Menschen zu vertrauen?
Das ist wohl ganz natürlich, damit muss man leben. Ich bin aber niemand, der blind durchs Leben rennt und voller Naivität steckt. Wenn sich etwas scheiße anfühlt, dann ist es meistens auch scheiße und dann sollte man Abstand davon halten. So geht es aber ohnehin mit allen Dingen im Leben. Das Leben ist nicht immer leicht und einfach, man muss wach bleiben.

Deine Alben erscheinen auf dem Label Broken Complex, eine Indie-Schmiede, die sehr weit von den gängigen Plattenfirmen entfernt ist. Ist diese Art von Unabhängigkeit essenziell für dich?
Die DIY-Arbeitsweise ist verdammt wichtig für mich. Es ist das Label von DJ Hopper und ich bin seit fünf Jahren Teil davon. In meinen Songtexten, meinem Merchandise und auf allen anderen Plattformen spreche ich quasi durch die Broken-Complex-Brille. Jeder Teil von mir hat damit zu tun. Das Label hat mir geholfen herauszufinden, wer ich bin und was ich in dieser Welt zu sagen habe. Ich vertraue mir selbst und bin mir meiner Sache sicher – dafür war das Team immer wichtig. Wenn mir jemand hilft, dann weiß ich genau, dass er an meine Vision glaubt. Da kann ich mir sicher sein in diesem Team. Das ist mir wesentlich wichtiger als den nächsten großen Vertrag zu unterzeichnen und ins Ungewisse zu blicken.

Was sind die nächsten großen Ziele auf deiner noch jungen Reise?
Ich will einfach weiter Musik machen, noch größere Touren spielen und lässige Kleidung entwerfen. Ich will all meine Ideen ins Leben setzen und selbst zu einem Markstein auf dieser Welt und in diesem Genre werden. Ich bleibe fokussiert, glaube an mich und meine Kunst und bleibe fröhlich und gut gelaunt. Die Welt kann noch so einiges von mir erwarten.

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