Scheinwahl in Russland

„Ohne mich das Chaos“: Putin bleibt an der Macht

Ausland
17.03.2018 06:59

Fürst Potemkin und Wladimir Putin haben eines gemeinsam: die Krim. Der Fürst ließ „potemkinsche“ Schwindel-Dörfer bauen, um seiner Zarin Katharina II. auf dem Weg zur soeben von ihm eroberten Krim blühende Landschaften vorzugaukeln. Putin veranstaltet am Sonntag eine Präsidentschaftswahl genau am vierten Jahrestag der Annexion der Krim und verspricht dem Volk soziale Wohltaten und „Jahrzehnte voller Siege“. So wird Putin-Wählen eine patriotische Weihehandlung. 

Wohin steuert überhaupt das größte Land der Erde? Bei der Präsidentschaftswahl in Russland scheint alles entschieden: Wladimir Putin (65), der das Land seit 18 Jahren beherrscht, steuert erneut auf einen klaren Sieg und weitere sechs Jahre als Staatschef im Kreml zu. Doch das erwartbare Ergebnis überdeckt komplizierte Veränderungen, Putin tritt in den Spätherbst seiner Herrschaft ein.

Video: Putin-Kult in Russland

Große Töne bei Rede zur Lage der Nation
In seiner Jahresbotschaft Anfang März verkündete der Präsident soziale Wohltaten. Zugleich ließ er die Muskeln spielen und berichtete von neuen Atomwaffen. Nach außen sandte er damit ein beunruhigendes Signal: Russland fühlt sich bedroht, für die nächsten Jahre wird das Verhalten konfliktträchtig bleiben. Das Signal nach innen: In der Not muss sich das Volk um den Oberbefehlshaber scharen.

Dabei ist die Einstellung der Russen zu ihrem Langzeitpräsidenten vielschichtig. Die vom Westen als Völkerrechtsbruch verurteilte Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 hat seine Popularität hochgetrieben. Die Wahl ist auf den symbolträchtigen vierten Jahrestag des Anschlusses gelegt worden. Weniger beliebt ist hingegen das Eingreifen in Syrien.

Menschen haben immer weniger im Geldbeutel
Russland modernisiert sich in den großen Städten. Doch die fetten Jahre am Anfang von Putins Regierung, getragen vom hohen Ölpreis, sind vorbei. Die Wirtschaft ist über Jahre geschrumpft und hat erst 2017 wieder ein kleines Wachstum erreicht. Hohe Ausgaben für Rüstung und Sicherheit sind zulasten von Bildung und Gesundheitswesen gegangen. Schon vier Jahre in Folge haben die 140 Millionen Russen real immer weniger im Geldbeutel. Der Ärger über Korruption, über Behördenwillkür und Ungerechtigkeit ist groß. Aber die Kritik richtet sich gegen die Regierung, gegen Beamte und Polizisten, gegen Oligarchen – nicht gegen den Präsidenten.

Die zentrale Botschaft: „Ohne mich das Chaos“
Putin hat viele Russen von seiner Unersetzlichkeit überzeugt. „Die zentrale Botschaft von Wladimir Wladimirowitsch ist ziemlich einfach: ‚Ohne mich das Chaos. Deshalb lasst uns die Stabilität wahren und nichts ändern!‘“, sagt der Politologe Nikita Issajew. Doch selbst auf diesem Polster ist es nicht einfach, einen Wahlsieg zu organisieren, der überzeugend wirkt. Sorgen bereitet dem Kreml die Unlust der Wähler. 2012 nahmen offiziell nur 65,2 Prozent der Wähler an dem Urnengang teil, Putin siegte mit 63,6 Prozent der Stimmen. Der Wähler wird nicht nur mit Konzerten in die Wahllokale gelockt oder mit der Verlosung von Smartphones. Es gibt Hinweise, dass Druck ausgeübt wird auf Firmenbelegschaften, auf Studenten und Soldaten, zur Wahl zu gehen und für Putin zu stimmen.

Gefährliche Rivalen ausgeschaltet
Zugleich stoßen die Organisatoren auf eine neue Art der Opposition, vor allem unter jungen Leuten. Der Anti-Korruptions-Aktivist Alexej Nawalny (41) hat schon mehrfach landesweite Demonstrationen organisiert. Auch wenn er keine Chance auf einen Sieg hätte, hat der Kreml nicht riskiert, Nawalny als Kandidaten zuzulassen. Stattdessen wird er mit einer juristisch fragwürdigen Vorstrafe ferngehalten. Nawalny ruft deshalb zu einem Boykott der Wahl auf, um zu zeigen, dass die Unterstützung für Putin niedrig ist. Darauf reagieren die Behörden empfindlich und überziehen Oppositionelle seit Wochen mit Durchsuchungen, Festnahmen und Arreststrafen.

Die sieben zugelassenen Gegenkandidaten wie der Rechtsaußen Wladimir Schirinowski oder der altgediente Liberale Grigori Jawlinski agieren im gesteckten Rahmen. Die staatlichen Medien streichen heraus, wie zwergenhaft tief sie unter dem Amtsinhaber stehen. Höhepunkt ihrer Fernsehdebatte war, dass Schirinowski die junge Bewerberin Xenia Sobtschak beleidigte und diese ihn mit einem Glas Wasser überschüttete. Trotzdem sind die Gegenkandidaturen nicht sinnlos. Es geht um Politkapital für die Zukunft. Der TV-Star Sobtschak spricht im Wahlkampf Dinge aus, die in Russland sonst tabu sind. Sie nannte die Übergriffe auf die Ukraine ein Unrecht. Vielleicht wird die 36-Jährige tatsächlich Politikerin für eine Zeit nach Putin.

Auch die Kommunisten sind schon korrupt
Mit dem kommunistischen Bewerber Pawel Grudinin (57) hat sich die Staatsmacht in eine Zwickmühle manövriert. Der Chef eines großen Erdbeerhofs nahe Moskau hat Konten in der Schweiz verschwiegen, eigentlich ein Ausschlussgrund. Doch ein Rauswurf würde die kommunistische Wählerschaft verprellen und die Beteiligung drücken.

Viele Junge sind unzufrieden mit dem System Putin
Über allem schwebt der Eindruck, dass Putins Ära mit diesem 18. März in ihre Spätphase eintritt. Seine autoritäre Herrschaft habe „das Stadium der vollen Reife erreicht“, schreibt der Experte Andrej Kolesnikow vom Moskauer Carnegie-Zentrum. „Doch mit 2018 hat nun der Übergang ins Stadium des Verfalls begonnen.“ Viele junge Russen sind unzufrieden mit dem System Putin, das bislang ihr ganzes Leben geprägt hat. Es wächst ein Generationskonflikt heran. Die ältere Generation setzt nach wie vor auf Stabilität, während die Jungen das kritisieren: „Diese Art von Stabilität lähmt uns alle.“

Nachfolge-Intrigen stehen kurz bevor
Nach der Verfassung geht Putin in seine letzte Amtszeit. An deren Ende 2024 wird er 71 Jahre alt sein. Doch die Kämpfe in der Elite um seine Nachfolge dürften schon früher ausbrechen. Oder Putin bleibt noch länger an der Macht, aber auch das wird nicht ohne Spannungen in der Gesellschaft ablaufen. Das Hauptproblem für Russland, so schrieb der Jurist Ilja Schablinski in der Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“, ist einfach „die fehlende Veränderbarkeit der Macht“.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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