Neues Album „Blitz“

Kreisky: Österreichische Kratzbürstigkeit

Musik
16.03.2018 07:00

Zurück vom Abenteuer Theater veröffentlichen Kreisky mit „Blitz“ ihr fünftes Studioalbum. Zwischen Alltagskritik und unpatriotischen Statements ist genug Platz für lyrische Poesie und musikalische Verquerheit. Warum das veränderte Quartett trotzdem so eingängig wie nie musiziert, wie man Judas Priest und Blasmusik in einem Satz verwendet und was sie jetzt genau gegen die Steiermark haben, das erklärten uns Sänger Franz Wenzl und Schlagzeuger Klaus Mitter im Interview.

(Bild: kmm)

Der gemeine Deutsche hat die österreichischen Eigenarten mittlerweile auch in der Popmusik liebgewonnen. Da ist es nicht so schlimm, wenn man dem Idiom von Wanda nicht ganz folgen kann oder Voodoo Jürgens im Frankenland Clubs ausverkauft, in denen die Besucher nicht ein einziges Wort verstehen. Vielmehr geht es den ausgehungerten Hörern um Kratzbürstigkeit und Reibungsfläche und davon liefert die an Innovationen alles andere als müde heimische Popszene derzeit im Übermaß. Gleichklingende Retortenkünstler wie Adel Tawil, Matthias Schweighöfer oder Andreas Bourani haben sich im popmusikalischen Segment mittlerweile ebenso totgelaufen wie der inflationäre Deutsch-Gangsta-Rap, dessen Charisma längst unter der Gleichgültigkeitsgrenze firmiert.

Am Reibebaum
Wie wohltuend ist da der Blick zu den so oft belächelten kleinen Nachbarn, die im Pop und Rock aber nicht nur in punkto Humor kilometerweiten Vorsprung besitzen, sondern auch in textlicher Finesse, der gesellschaftlich notwendigen Sozialkritik oder der kompositorischen Güte. All das vereinen die oberösterreichisch-wienerischen Indie-Rock-Urgesteine Kreisky seit Jahren par excellence. Natürlich können Franz Wenzl und Co. nicht mit der Hipness eingangs erwähnter Hallen- und Beislfüller konkurrieren, doch wenn es um augenzwinkernde Selbstkritik und das bewusste „Aufblatteln“ österreichischer Eigenheiten geht, dann kratzt sich das Quartett noch immer am geschicktesten am großen Reibebaum Österreich.

„Das Schimpfen war für uns musikalisch und textlich immer eine Grundform und der bei uns vorkommende Wutbürger, der sich oft über Dinge aufregt, die maximal Orchideenthemen sind, hat sich mit der Zeit gewandelt“, erklärt Frontmann Wenzl im „Krone“-Interview die Entwicklung zum neuen Studioalbum „Blitz“. In Songs wie der charmanten Verlierer-Hymne „Veteranen der vertanen Chance“, „Ein Depp des 20. Jahrhunderts“ oder „Ein braves Pferd“ fechtet sich der Sänger rhetorisch lasziv durch die Alltagsprobleme des Durchschnittsbürgers, ohne sich über ihn und seine Umgebung despektierlich lustig zu machen. Auch so ein von außen beneidetes Talent der österreichischen Musikerzunft – die Fähigkeit zur realistisch-humorigen Selbsteinschätzung, ohne sich und sein Tun künstlich überhöhen zu müssen.

Risiko
In den vier Jahren seit dem letzten Album „Blick auf die Alpen“ blieben Kreisky nicht untätig, sondern versuchten sich im ungewohnten Segment Theater. Das Sibylle-Berg-Stück „Viel gut essen“ erweiterte auch die musikalischen Synapsen der Bandmitglieder. Als Teamerfahrung war das Stück, das im Wiener Rabenhof aufgeführt wurde und wird, unbezahlbar. „Als Rockband stellst du dir natürlich die Frage, ob das überhaupt noch cool ist. Zum Glück befinden wir uns heute schon in einem Alter, in dem Coolness nicht mehr der wichtigste Parameter ist. Wäre diese Erfahrung in die Binsen gegangen, hätten wir immer noch das Album gehabt. Blöd gewesen wäre nur, wenn beides danebengegangen wäre.“

Operation gelungen, Gefahr abgewehrt. Den Pfad der klanglichen Eingängigkeit haben Kreisky sicherheitshalber behalten – das ging schließlich schon am Vorgängerwerk ziemlich gut. „Wir wollten nie Schauermusik machen und haben auf unseren ersten drei Alben unseren Sound gesucht – und schließlich gefunden“, erklärt Schlagzeuger Klaus Mitter, „außerdem haben wir die Rahmenbedingungen bei der Aufnahme geändert. Auf dem letzten Album haben wir extrem viel getüftelt, teilweise 20 unterschiedliche Varianten eingespielt und dann den Faden verloren. Dieses Mal wollten wir so agieren wie eine Band, die sich frisch zusammengefunden hat. In einer sehr verklausulierten Form können wir uns heute noch die Unbedarftheit der frühen Tage gewahr machen.“

Nostalgievermeidung
Das rasante Songwriting ist auch den veränderten Lebensbedingungen geschuldet. Neben dem Theaterstück und zahlreichen anderen Projekten wurden die Bandmitglieder in den letzten Jahren auch Väter. „Wir sind viel entspannter als vor zehn Jahren, weil sich die Prioritäten verschoben haben“, sagt Mitter, „mit Familie und Kind fokussiert man sich schnell auf Dinge, die wichtiger und wohl auch schöner sind.“ „Ich schätze zudem bei Musikern prinzipiell, wenn sie über ihre Lebenswelt singen. Etwa wenn mir ein 70-Jähriger durch seine Musik erzählt, dass er seine Brille nicht mehr findet“, ergänzt Wenzl, „damit vermeidet er Nostalgie und ist authentisch.“

Textlich persiflieren Kreisky noch immer gerne Traditionen und Besonderheiten des Österreichers, ohne sich über ihn lustig zu machen oder belehrend zu wirken. So ist etwa die Tourismushymne „Saalbach-Hinterglemm“ ein Stück mit viel Pathos, das keine ironische Überhöhung benötigte. „Vor zehn Jahren hätte ich mich von gewissen Dingen distanziert, über die ich heute bewusst singe, weil man sie eben braucht. Der Song spiegelt das Setting einer hierarchischen österreichischen Gastronomie-Familie wider. Die meisten von uns kommen selbst aus ländlichen Gegenden, wo nicht alles so strikt unterteilt ist wie in Städten. Als wir jung waren gründeten sich Bands, die aus Fans von Judas Priest, Prince und Blasmusik bestanden. Weil es nicht anders möglich ist, fügt sich dann doch alles zusammen.“

Keine Verpflichtungen
„Blitz“ ist nicht nur eine vielseitige Momentaufnahme über die Lage und den geistigen Zustand des Österreichers und seiner Heimat, sondern auch das letzte Album mit dem langjährigen Bassisten Gregor Tischberger, der fortan durch Lelo Brossmann ersetzt wird. Führerpersönlichkeiten, Modernisierungsverweigerer, Egozentriker und Grantler finden sich gleichermaßen prominent auf „Blitz“ porträtiert. Mit dem misanthropischen Höhepunkt „Ich löse mich auf“, indem sich der Protagonist in das letzte Eck der Steiermark zurückwünscht, um dort in Ruhe herumsitzen zu können. „Hin und wieder denke ich mir einfach, dass ich von allem gerne weniger hätte und weg möchte. Die Steiermark habe ich nur als Beispiel herangezogen, weil ich auf sie noch nicht geschimpft habe“, lacht Wenzl, „sie blieb bislang als weißer Fleck übrig, also habe ich frech ins Grüne gepisst. Als Künstler sind wir niemandem gegenüber verpflichtet, fair zu sein.“ Eine passendere Selbstbeschreibung hat es noch nie gegeben.

Auf ihrer „Blitz“-Tour sind Kreisky im April viermal in Österreich zu sehen. Am 12. April im Grazer ppc, am 13. April im Innsbrucker PMK, am 14. April in der Stadtwerkstatt Linz und am 19. April im Wiener WUK. Weitere Infos und Karten erhalten Sie unter www.kreisky.net.

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