Italien wählt

Wütende junge Männer und leere Versprechen

Ausland
04.03.2018 08:12

Italien wählt am Sonntag sein Parlament und damit den neuen Regierungschef. In der Hauptstadt Rom ist der Ärger der Italiener auf das System groß, drei politische Blöcke kündigen Pläne an, die sie nicht halten können.

Mitteilungsbedürftig sind sie, die Römer, besonders wenn es um Politik und um die Wahl am Sonntag geht. Taxler Francesco gerät vom Flughafen Fiumicino in die Innenstadt bei 162 km/h auf der löchrigen Autobahn in seinem klapprigen Toyota regelrecht in Rage: „Sie versprechen uns immer das Gleiche. Der Liter Benzin kostet 1,7 Euro, und nun schauen Sie sich die kaputten Straßen an. Wohin geht das ganze Geld?“

Italien: Extrem hohe Arbeitslosigkeit vor allem bei der Jugend
Die rauschende Fahrt mit einigen Vollbremsern wegen spontaner Staubildungen geht an desolaten Wohnkasernen vorbei. In den Randvierteln der Ewigen Stadt rumort es wie schon lange nicht mehr. Extrem hohe Arbeitslosigkeit vor allem bei der Jugend, „wütende junge Männer, die nichts zu tun haben“, bemerkt Taxler Francesco nachdenklich.

Die Wut ist bei den Menschen zu spüren
Diese Wut auf den Stillstand und das Ungleichgewicht im Land ist in Rom abseits der noblen Gassen mit den Designerboutiquen und den Touristenmassen, die das weltweit schönste Freilichtmuseum abwandern, auch zu spüren. Italien ist vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland für Migranten vor allem aus Afrika mutiert. Die Wirtschaft erholt sich zwar, wird aber bei all den guten Ansätzen von einer „Bürokratie-Krake“ ausgebremst. Viele junge, gebildete Italiener suchen ihre Zukunft im Ausland. Früher schauten alle nach Italien, jetzt schaut Italien nach Mitteleuropa.

Geld versprochen, das es nicht gibt
Vor dem Pantheon marschiert indessen die Faschisten-Gruppierung CasaPound schon fast bedrohlich auf, geschwenkt werden Fahnen mit kryptischen Zeichen, die an schrecklich dunkle Zeiten erinnern.

Auf der Piazza del Popolo brüllten am Freitag Cinque-Stelle-Gründer Beppe Grillo und sein Zögling Luigi di Maio die letzten Allheilmittel-Parolen ins Mikro. Gegen das EU-Diktat, gegen die Establishment-Parteien, für Verdoppelung der Mindestpension für alle, für bedingungsloses Grundeinkommen für alle. 100 Milliarden Euro würde das den Staat pro Jahr mehr kosten. Dass dieses Geld nicht da ist, wissen die beiden auch.

Berlusconi kündigt an, woran er scheiterte
Forza-Italia-Chef Silvio Berlusconi versprach zum Wahlkampfabschluss in „Porta a Porta“, der wichtigsten Politiksendung des Landes auf RAI UNO, eine halbe Million Jobs im kaputten Süditalien zu schaffen und mit seinem Spitzenkandidaten Antonio Tajani die Steuern zu senken. So wie er es schon vor Jahren als Ministerpräsident ankündigte und scheiterte.

Sein Mitte-rechts-Bündnispartner, Lega-Spitzenkandidat Matteo Salvini, erhob erneut Anspruch auf den Premier. Es wäre in Italien tatsächlich eine Premiere, die das Land weit nach rechts treiben würde: Ausländerfeindlichkeit, gegen die EU, Italien den Italienern. Erinnerungen an den Vorfall im verschlafenen Macerata werden wach: Dort schoss Luca Traini, ein Ex-Lega-Kandidat, wahllos auf Migranten – die Attacke löste Proteste und gewaltsame Ausschreitungen zwischen Links- und Rechtsextremisten vielerorts aus.

Renzi warnt vor Machtübernahme der Extremisten
Matteo Renzi, der wankende Spitzenkandidat des Partito Democratico (PD), der größten Partei im Mitte-links-Bündnis, mahnte am Freitag eindringlich vor der Machtübernahme der Extremisten, sein Parteikollege, Premier Paolo Gentiloni, rief die wichtigste Wahl seit 25 Jahren aus und warb für ein weiterhin weltoffenes Italien.

Die Wahllokale haben bis 23 Uhr geöffnet, erste Ergebnisse gibt es am Montag. Taxler Francesco weiß schon, wen er wählt: „Niemanden. Es bleibt ohnehin alles beim Alten.“

Michael Pichler, Kronen Zeitung, aus Rom

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