Jähes Beziehungsaus

Das Liebesdrama um Eislady Estibaliz C.

Österreich
25.02.2018 06:00

Nach der Trennung von ihrem Ehemann verliebte sich die Doppelmörderin neu. In einen Angestellten aus Wien. Zwei Jahre waren die beiden ein Paar. In der "Krone" spricht der Mann über seine "wunderbare Zeit" mit Esti: "Aber jetzt machte sie plötzlich mit mir Schluss."

Die Justizanstalt Asten in Oberösterreich. Etwa 180 seelisch kranke Straftäter, darunter ein Dutzend Frauen, sind hier untergebracht. Die bekannteste Insassin: Estibaliz C. Bei ihrem Prozess 2012 war die als brandgefährlich geltende Doppelmörderin zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Plus Auflage.

Was bedeutet: Eine Entlassung, irgendwann, kann nur erfolgen, wenn die geistigen Störungen, die – laut einem psychiatrischen Gutachten – Mitauslöser für ihre Verbrechen gewesen sind, nicht mehr bestehen. Weswegen sie in der Haft – so schreibt es das Gesetz vor – umfassend therapiert werden muss. Seit mehr als einem Jahr befindet sich die mittlerweile 39-Jährige deshalb in dem Sondergefängnis. Ihr Alltag dort: Sie arbeitet in einer Werkstätte, bastelt Hundehütten und Vogelhäusern. "In ihrer Freizeit", berichtet die Mutter eines Mitinsassen, "malt sie Bilder." Hauptsächlich Porträts; von sich selbst und von Menschen, die ihr nahestehen. Von ihrem Sohn, ihrem Bruder, ihren Eltern, ihrem Anwalt Rudolf Mayer – und von einem Mann, der sie bis zuletzt regelmäßig in Asten besucht hat.

Außer den Wachebeamten, ihren Ärzten und Betreuern wussten nur Estis engste Vertraute unter den Häftlingen von den Visiten. Und jetzt wissen sie – dass diese Treffen nicht mehr stattfinden.

In kleiner Runde, bei einer Zusammenkunft im sogenannten Klientencafé des forensischen Zentrums, hätte die Eislady vor vier Wochen mit traurigem Blick erzählt: "Ich habe in der Therapie erkannt, dass ich vorerst auf einen Partner verzichten sollte. Um nicht in Gefahr zu laufen, mich in ähnliche Beziehungsmuster zu verstricken wie früher."

Ob sie damit die Morde an Holger H. und Manfred H. oder das Scheitern ihrer Ehe mit Roland R. – dem Vater ihres Buben – meinte, erläuterte sie nicht.

"Ich war beeindruckt von ihrer Freundlichkeit"
Estibaliz C. hatte sich also hinter Gittern neu verliebt. In wen? Der geheimnisvolle Mann, über den kaum jemand aus ihrem Umfeld Genaues erzählen kann, sitzt jetzt in einem Kaffeehaus, und er beginnt zu reden. Über zwei Jahre an Estis Seite, "in denen wir uns extrem nahe kamen".

49 Jahre ist der Mann alt, Wiener, Angestellter in einem renommierten Unternehmen; großgewachsen, gepflegtes Äußeres, kräftige Statur, dunkles Haar. Er will nicht, dass in dem "Krone"-Bericht sein wahrer Name oder ein Bild von ihm gebracht wird: "Nicht, weil ich mich für meine Verbindung mit Esti schäme. Aber nach dem Aus macht es keinen Sinn, mich zu outen. Nennen Sie mich einfach Walter."

Gut, Walter – wann und wie haben Sie die Doppelmörderin kennengelernt? "Ich war früher Kunde in ihrem Eissalon. Sie bediente mich manchmal, das war es. Ich hatte nicht mal eine Ahnung, wie sie hieß."

Bis im Frühjahr 2012 in ihrem Keller zwei Leichen gefunden wurden: "Ich dachte mir damals: Das gibt es nicht, dass sie solch fürchterliche Taten begangen hat. Denn sie war mir immer so freundlich und harmlos vorgekommen. 2014 erschien dann ihr Buch, ich kaufte es. Was ich darin las, bestätigte mich in meinem Gefühl, dass sie keine Bestie ist. Und ich schrieb ihr."

"2016 besuchte ich sie erstmals in der Haft"
Was? "Nichts Besonderes. Sie sollte einfach wissen, dass es draußen auch Menschen gibt, die sie nicht verdammen." Er bekam keine Antwort: "Ich schickte ihr dann noch zu Weihnachten und Ostern Glückwunschkarten." Nach einer kleinen Ewigkeit, im Jänner 2016, "Estis Beziehung mit ihrem Ehemann war da bereits zu Ende", bekam Walter zum ersten Mal Post von der Spanierin." Eine kurze Nachricht, in der sie sich für meine aufmunternden Worte bedankte."

Wieder ein Brief von ihm, einer von ihr, "in der Folge wurde der Kontakt intensiver, wir begannen uns voneinander zu erzählen und im Frühjahr darauf beschlossen wir, dass ich sie im Frauengefängnis Schwarzau, wo sie damals inhaftiert war, besuchen solle. Sofort ist eine immense Vertrautheit zwischen uns gewesen".

Der Visite folgten weitere, "und aus Freundschaft entwickelte sich bald Liebe". Walter, hatten Sie niemals Bedenken? "Es ist nicht so, dass ich 'draußen' keine Partnerin finden könnte. Ich hatte bereits mehrere langjährige Beziehungen." Aber sich an eine Frau zu binden, die vielleicht für immer inhaftiert bleiben wird? "Das war für mich kein Problem. Denn ich habe noch kaum wen getroffen, der so einfühlsam ist wie Esti. Sie empfindet extrem viel Mitleid, mit armen Menschen, mit gequälten Tieren."

Estibaliz C. hat zwei Männer umgebracht. Männer, mit denen sie Beziehungen hatte. "Sie neigt zu Überreaktionen." Merkten Sie davon etwas? "Manchmal, ein bisschen. Wenn sie sich in Ideen verrannte. Doch richtig gestritten haben wir nie." Die Treffen, sie seien "laufend schöner und intensiver geworden", besonders nach Estis Verlegung nach Asten, "dort konnten wir wöchentlich drei Stunden an einem Tisch zusammensitzen, keine Glaswand war mehr zwischen uns".

Die beiden durften plötzlich Händchen halten "und uns beim Begrüßen und Verabschieden sogar umarmen und Bussis geben". Die Visiten fanden unter größter Geheimhaltung statt, "an Tagen, an denen andere Gefängnisinsassen keine Besuche bekamen". Worüber sprach das Paar? "Über alles und nichts. Über Alltäglichkeiten. Über unsere Zukunft."

"Über ihre Taten sprachen wir nie"
Und über die Taten? "Nein, nie. Aber ich stellte ihr dazu auch keine Fragen. Weil ich spürte, dass sie das zu sehr belasten würde." Was waren die Pläne für das Später? "Esti träumt natürlich davon, irgendwann in Freiheit zu kommen." Ein Leben in Barcelona, "mit ihrem Sohn und mir, das hat sie sich gewünscht. Sie hoffte, zu einem Zeitpunkt entlassen zu werden, an dem es ihr möglich wäre, noch ein Kind zu bekommen".

Walter – Sie wären tatsächlich dazu bereit gewesen, für eine Doppelmörderin völlig neu zu beginnen? "Ich war bereits dabei, Spanisch zu lernen. Ich habe eine gute Ausbildung, ich hätte sicherlich auch im Ausland einen Job gefunden." Estis berufliche Vorhaben? "Als Übersetzerin zu arbeiten."

"Stückchenweise an die Wahrheit heranführen"
Kennen Sie ihren Sohn? "Ja, alle paar Monate kommt seine Großmutter mit ihm hierher, ich habe ihn mehrmals getroffen. Er ist ein liebes Kind. Und er hängt sehr an seiner Mami. Die zwei sind extrem vertraut, sie telefonieren oft miteinander." Der Bub ist mittlerweile sechs Jahre alt, er geht in die Vorschule – begreift er, warum er nicht bei seiner Mutter aufwachsen darf? "Er weiß, dass sie krank ist und deshalb in einer Art Klinik sein muss." Diese Geschichte wird nicht ewig aufrechtzuerhalten sein. "Er soll – stückchenweise, mithilfe von Psychologen – an die Wahrheit herangeführt werden. Bevor er vielleicht einmal im Internet den Namen seiner Mutter zu googeln beginnt." Kein einfaches Schicksal für den Buben. "Esti ist sich dessen bewusst – und sehr besorgt." Nachsatz: "Es schmerzt mich, dass ich ihr nun nicht mehr beistehen kann, in nichts."

Warum überhaupt – aus Walters Sicht – die Trennung? "Ich verstehe Estis Handeln nicht. Unser letztes Treffen, kurz nach Silvester, war harmonisch – wie immer. Sie freute sich wie ein junges Mädchen über die Partnerschaftsringe, die wir seit einigen Monaten trugen. Das Schmuckstück gäbe ihr Halt, beteuerte sie." Auch die Telefonate in den Tagen darauf seien "herzlich" verlaufen – "Esti durfte mich jeden Abend anrufen". Am 12. Jänner hätte sie "ein wenig beunruhigt" gewirkt: "Sie deutete an, dass in der Therapie Zweifel an unserer Beziehung entstanden wären."

24 Stunden später sagte sie: "Ich gebe dich frei, ich muss mit dir Schluss machen. 'Warum, Esti?', schrie ich in den Hörer. Ihre Antwort: 'Ich will gesund werden, und für meinen Heilungsprozess ist es nicht förderlich, wenn ich mich an dich binde.'"

"Jetzt bin ich zur Ungewissheit verdammt"
Zurück bleibt ein völlig verwirrter Mann: "Denn bis vor Kurzem noch hatte Esti stets beteuert, dass uns nichts jemals würde auseinanderbringen können." Walters Mutmaßung: "Ich denke, sie hat eine Bemerkung eines Psychologen falsch verstanden und sich in diese Missinterpretation hineingesteigert." Wie es ihrem Krankheitsbild entspräche ...

Dass das Personal in Asten gegen den Kontakt mit ihm ist, "glaube ich nicht. Die Fachkräfte dort verhielten sich mir gegenüber immer freundlich. Und außerdem werden in der Regel von ihnen Verbindungen der Patienten zu Menschen in Freiheit gefördert. Um die Häftlinge im Falle einer Entlassung besser resozialisieren zu können". Das "Liebes-Aus" zu verkraften fällt ihm schwer. Eine echte Aussprache mit seiner Ex: unmöglich. Die Eislady ließ ihn von der Besucherliste streichen: "Damit bin ich zur Ungewissheit verdammt."

Erst durch das schlimme Ende der Beziehung sei ihm klar geworden, "dass eine enge Verbindung mit einer Frau hinter Gittern schwierig ist. Als wir noch zusammen waren, kam mir nie dieser Gedanke." Trotz des Umstands, sich körperlich nicht wirklich nahe kommen zu dürfen: "Es gibt wichtigere Dinge als Sex." Walters Hoffnung? "Dass ich bald doch noch einmal mit Esti reden kann." Wenn sie "nur eine Freundschaft" wolle, sei das für ihn okay: "Egal, ob für immer oder nur vorübergehend. Denn die Empfindungen, die zwischen uns waren, sind nicht zu kappen. Zumindest nicht für mich."

Walter trägt weiterhin seinen Partnerschaftsring. Estis Name ist an der Innenseite eingraviert, und das Unendlich-Zeichen: "Ich schaffe es einfach nicht, ihn abzulegen. Weil er mich an die schönste Zeit meines Lebens erinnert."

Zwei Leichen im Keller
Der "Fall Estibaliz C." ist in die Kriminalgeschichte eingegangen: Im Juni 2011 wurden quasi zufällig – bei Bauarbeiten – im Keller ihres Eissalons in Wien-Meidling zwei zerstückelte Männerleichen gefunden. Ihren Ex-Ehemann Holger H. hatte die Spanierin 2008 getötet, ihren Lebensgefährten Manfred H. 2010. Als Esti in U-Haft kam, war sie von ihrem neuen Freund – Roland R. – im dritten Monat schwanger. Im Jänner 2012 brachte sie einen Buben zur Welt, im März darauf heiratete sie den Vater des Kindes.

Bei ihrem Prozess im November desselben Jahres bekam die als seelisch krank geltende Täterin lebenslang. Zunächst wurde sie im Frauengefängnis Schwarzau (NÖ) untergebracht, im Jänner 2017 erfolgte ihre Verlegung nach Asten (OÖ), in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Estibaliz C.s mittlerweile sechsjähriger Sohn wächst bei ihren Eltern in Barcelona auf.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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