Menschenrechtstag

Chinas Bürgerrechtler Liu festgenommen

Ausland
10.12.2008 16:52
Einer der wichtigsten Köpfe der chinesischen Demokratiebewegung, der Autor Liu Xiaobo, ist ausgerechnet vor dem 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen am Mittwoch wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" inhaftiert worden. Die Festnahme des Vorsitzenden des chinesischen Pen-Clubs unabhängiger Schriftsteller stieß national wie auch international auf scharfe Kritik (im Bild Proteste in Hongkong). Hintergrund ist offenbar ein "Charta 2008" genannter Appell für Demokratie und Freiheit in China, den Liu Xiaobo und 300 andere Bürgerrechtler zum Jahrestag veröffentlicht hatten. Liu zählt seit zwei Jahrzehnten zu den profiliertesten Kritikern der kommunistischen Führung.

Zwei Tage nach seinem Verschwinden am späten Montagabend bestätigte ein befreundeter Anwalt in Peking die Festnahme des 52-jährigen Liu Xiabo. Die Umstände der Inhaftierung am späten Montagabend, die Durchsuchung seiner Wohnung und die Beschlagnahme seiner Computer deuten darauf hin, dass der frühere Philosophie-Dozent und Literaturkritiker möglicherweise vor Gericht gestellt werden soll.

"Untergrabung der Staatsgewalt"
Die Polizei habe ein Dokument mit dem Vorwurf der "Untergrabung der Staatsgewalt" vorgelegt, berichtete die in den USA ansässige Menschenrechtsgruppe Human Rights in China (HRiC). Seit Anfang des Monats seien schon mehrere chinesische Dissidenten festgenommen worden, berichtete die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF), die sich für Presse- und Meinungsfreiheit einsetzt. Genannt wurden Zhang Zhuhua in Peking, der ebenfalls die "Charta 2008" mitorganisiert habe, sowie Chen Xi, Shen Youlin und Du Heping in der Provinz Guizhou, die Aktionen zum Menschenrechtstag geplant hätten.

Auch seien weitere Unterzeichner der "Charta 2008" verhört oder eingeschüchtert worden. Der Appell sieht sich bewusst in der Tradition der "Charta 77" genannten Petition vom Jänner 1977 gegen Menschenrechtsverletzungen in der Tschechoslowakei und fordert ein Ende der Ein-Parteien-Herrschaft in China. "Man hätte gehofft, dass China am 60. Jahrestag der Menschenrechtserklärung einige Dissidenten wie Hu Jia freigelassen hätte, aber sie setzen im Gegenteil auf eine Welle der Festnahmen und Drohungen", kritisierte Reporter ohne Grenzen das jüngste Vorgehen. "Das ist erschreckend."

Das Vorgehen enthülle "die leere Rhetorik" der chinesischen Menschenrechtspolitik, fand auch HRiC. Möglicherweise habe in China mit Blick auf mehrere wichtige Jahrestage im neuen Jahr eine Welle der Unterdrückung missliebiger Stimmen begonnen. So jährt sich 2009 die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 zum 20. Mal. Auch gibt es den 50. Jahrestag der Flucht des Dalai Lama nach der Invasion der Volksbefreiungsarmee in Tibet. Im Oktober feiert China den 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik.

Zahlreiche prominente Kritiker
In der "Charta 2008" fordern 303 Intellektuelle, Anwälte, Journalisten, Autoren und Aktivisten freie Wahlen, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Justiz. Der demokratische Wandel dürfe nicht aufgeschoben werden, forderten die Unterzeichner. Unter ihnen sind neben Liu Xiaobo auch die pensionierte Professorin Ding Zilin, die dem losen Netzwerk der Familien der Opfer des Massakers vom 4. Juni 1989 vorsteht, sowie der Rechtsaktivist Yao Lifa oder die Frau des inhaftierten Bürgerrechtlers Hu Jia, Zeng Jinyan.

60 Jahre UN-Menschenrechte
Am 10. Dezember 1948 war Eleanor Roosevelt vor den Vereinten Nationen ans Rednerpult getreten. "Ich lese Ihnen jetzt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor", sagte sie schlicht. Doch was die Witwe des ehemaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt so einfach ankündigte, war in Wirklichkeit eine Revolution: Erstmals hatten sich die Staaten der Welt auf einen umfassenden Katalog von Menschenrechten verständigt, der über alle Grenzen und Kulturen hinweg gelten sollte.

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es in dem 30 Artikel umfassenden Dokument. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person." 48 der damals 56 UN-Mitgliedsstaaten stimmten im Pariser Palais de Chaillot für das in zweijähriger Kleinarbeit ausgehandelte Papier. Acht Länder - darunter die Sowjetunion, Saudi-Arabien und Südafrika - enthielten sich der Stimme.

Nach den barbarischen Erfahrungen von zwei Weltkriegen, Naziterror und Holocaust wollte die Weltgemeinschaft einen Wertekodex festlegen, der die Menschenrechte unter den Schutz der Allgemeinheit stellt. Obwohl die Erklärung rechtlich nicht verbindlich ist und von neuen UN-Mitgliedern noch nicht einmal eigens unterschrieben werden muss, gilt sie als unverbrüchliche Grundlage des Völkerrechts. Mit Übersetzungen in mehr als 360 verschiedene Sprachen ist sie laut UN der meistübersetzte Text der Welt.

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