Polizist entlastet

Autopsie: Querschläger tötete 15-Jährigen

Ausland
11.12.2008 20:45
Der in Griechenland durch eine Polizeikugel getötete 15-Jährige ist offenbar von einem Querschläger tödlich getroffen worden. Das habe die Autopsie der Leiche ergeben, hieß es am Mittwoch aus Justizkreisen. Demnach ist die Kugel "ein bisschen verformt, was darauf hinweist, dass sie auf einen harten Untergrund geprallt ist", bevor sie in die Brust des Opfers einschlug. Unterdessen ist es Donnerstag früh (siehe Video) erneut zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei gekommen.

Im Stadtviertel Exarchia, in dem sich auch die Polytechnische Universität befindet, warfen mehrere Dutzend junger Menschen Steine auf Ordnungskräfte, später griffen Studenten mehr als zehn Polizeiwachen in der ganzen Stadt mit Steinen und Molotow-Cocktails an. Die Beamten gingen mit Tränengas gegen die Demonstranten vor.

Hochschulen seit Tagen besetzt
Die Polytechnische Universität sowie 15 weitere Hochschuleinrichtungen und rund hundert Schulen in Athen und Thessaloniki sind nach Angaben der Polizei seit Beginn der Woche von Schülern und Studierenden besetzt. In Thessaloniki im Norden des Landes kam es zudem zu Plünderungen in den Bildungseinrichtungen, wie Professoren und Lehrer berichteten. Nach griechischem Recht darf die Polizei innerhalb der Schul- und Universitätsgebäude nicht aktiv werden. Für Freitag riefen Schüler und Studenten zu einer Kundgebung in Athen auf. Weitere Demonstrationen sind für die nächste Woche geplant.

Am Mittwoch lähmte ein landesweiter Streik das öffentliche Leben in Griechenland. Ein Aufruf von Ministerpräsident Kostas Karamanlis, angesichts der angespannten Situation auf ihre Proteste gegen den Sparkurs der Regierung zu verzichten, wurde von den Gewerkschaften zurückgewiesen. Sie meldeten eine "massive Teilnahme" an dem 24-stündigen Generalstreik mit rund zwei Millionen Menschen.

Flugverkehr komplett lahmgelegt
Der Internationale Flughafen von Athen musste seinen Betrieb komplett einstellen, Schulen, Universitäten, Ministerien und Krankenhäuser blieben geschlossen. Hotels und Taxis wurden dagegen nicht bestreikt. Die deutsche Lufthansa strich nach Angaben eines Sprechers zwölf Flüge von und nach Athen. Auch zwei Flüge von Athen nach Wien-Schwechat fielen am Mittwochnachmittag aus, einer von Austrian Airlines und einer von SkyEurope.

Regierung unter großem Druck
Der Druck auf die Regierung Karamanlis wird unterdessen immer größer. Einer Umfrage der konservativen Tageszeitung "Kathimerini" zufolge sind 68 Prozent der Griechen der Meinung, die Regierung habe schlecht auf die Krise reagiert. Die Hälfte der Befragten gab an, zuletzt Karamanlis gewählt zu haben. Trotzdem bescheinigten nur 18 Prozent der Regierung ein gutes Krisenmanagement. Die Opposition fordert inzwischen den Rücktritt von Karamanlis, dessen Regierung im Parlament nur die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme hat.

"Die Regierung kann die Krise nicht bewältigen, und sie hat das Vertrauen des griechischen Volkes verloren", erklärte der sozialistische Parteichef Georgios Papandreou. Er machte politische Fehlentscheidungen und Versäumnisse für die Unruhen verantwortlich. Der Tod des Jugendlichen Alexandros Grigoropoulos hatte tagelange Krawalle ausgelöst. An der Straße, wo der 15-jährige getötet wurde, haben Passanten Dutzende Zettel mit Sprüchen wie "Gute Reise Alex. Wir werden Dich nie vergessen", an die Wand geklebt.

Schäden in Athen geringer als zunächst geschätzt
Die Schäden nach den schweren Unruhen in Athen fielen erheblich geringer aus als zunächst angenommen. Wie der Verband der Geschäftsleute am Mittwoch bekanntgab, seien insgesamt 435 Läden und andere Betriebe beschädigt worden. Der Sachschaden wird von den Besitzern auf zusammen etwa 50 Millionen Euro geschätzt. Schwere Schäden gab es auch in 16 Banken, zwei Supermärkten, drei Kinos und drei Theatern. Über die Schäden in anderen Städten lagen noch keine Angaben vor. Der Gesamtschaden war zunächst auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt worden.

Proteste auch im Ausland
In der Nacht auf Donnerstag kam es indes auch außerhalb Griechenlands zu Protestaktionen. In Madrid wurden laut Polizei neun Menschen festgenommen, nachdem rund 200 Demonstranten eine Polizeiwache, Banken und Geschäfte angegriffen hatten. In Barcelona wurden während einer ähnlichen Protestaktion ein Mädchen aus Griechenland und ein weiterer Ausländer festgenommen. Zwei Polizisten wurden verletzt. Die Proteste wurden Medienberichten zufolge über das Internet organisiert.

In Kopenhagen demonstrierten etwa 150 Jugendliche, 63 wurden laut Polizei nach Ausschreitungen festgenommen. In Rom und Sofia hielten Demonstranten Plakate mit dem Bild des von der Polizei erschossenen 15-Jährigen hoch. Vor der griechischen Botschaft in der italienischen Hauptstadt warfen Aktivisten Autos um, in New York schleuderte ein Passant einen Ziegelstein gegen das Konsulat. In Istanbul sprühten Unbekannte ein Anarchistenzeichen an die Hauswand der griechischen Vertretung. In Bordeaux steckten Unbekannte vor dem griechischen Konsulat zwei Autos in Brand.

15-Jähriger starb durch Kugel aus Polizeipistole
Die Polizei hatte nach dem Tod des 15-Jährigen zunächst mitgeteilt, der Jugendliche habe in dem Athener Stadtteil Exarchia mit etwa 30 anderen Autonomen einen Polizeiwagen mit Steinen beworfen. Ein Polizist stieg nach den ersten Darstellungen zu dem Zwischenfall aus dem Auto, um die Jugendlichen aufzuhalten, feuerte drei Schüsse ab und traf den 15-Jährigen tödlich in die Brust.

Der 37-jährige Beamte hatte seit Samstag mehrmals ausgesagt, er habe drei Warnschüsse abgefeuert; das Opfer sei von einem Querschläger getroffen worden. Er hofft nun, nicht wegen Totschlags oder Mord, sondern nur wegen fahrlässiger Tötung belangt zu werden. Einem 31-jährigen Polizei-Kollegen wird bisher Beihilfe zum Totschlag vorgeworfen.

Am Mittwochnachmittag wurden die beiden Polizisten, die sich in Untersuchungshaft befinden, dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Die Aussagen sollten mehrere Stunden dauern, berichtete das Staatsradio weiter. Jugendliche warfen Molotow-Cocktails und Steine auf das Gerichtsgebäude, die Polizei feuerte mit Tränengas auf die Demonstranten. Mindestens zwei Menschen wurden verletzt.

Krawalle bei Trauerfeier
Am Dienstagnachmittag war es bei der Trauerfeier für den getöteten 15-Jährigen in Athen zu heftigen Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei gekommen. Die Polizei ging mit Tränengas gegen jugendliche Trauergäste vor, die mit Steinen und Knüppeln warfen und Müllbehälter anzündeten. An der Beisetzung des Jugendlichen nahmen etwa 6.000 Menschen teil.

Heftiger Anwältestreit
Unterdessen brach ein Streit zwischen dem Rechtsbeistand des Polizisten und den Anwälten der Familie des Opfers aus. Ersterer versuchte, das Opfer als bekannten Fußballhooligan darzustellen. Zudem soll der 15-Jährige aus der Privatschule verwiesen worden sein, was dementiert wurde. "Der Bub wird noch einmal getötet, indem der Rechtsanwalt solche fürchterlichen Gerüchte verbreitet", kommentierte die Athener Zeitung "Eleftherotypia". Die Rechtsanwälte der Familie des Opfers wiesen die Behauptungen mit Abscheu zurück.

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