Über die Dächer

Mirror’s Edge

Spiele
04.12.2008 10:31
George Orwells Vision eines Überwachungsstaates ist in "Mirror's Edge" traurige Realität geworden. Damit der Informationsfluss unter den Augen des "Großen Bruders" jedoch nicht zum Erliegen kommt, transportieren sogenannte Runner über den Dächern der Stadt sensible Daten von A nach B. Eine von ihnen ist Faith. Als man ihrer Schwester den Mord an einem hochrangigen Politiker unterschieben möchte und sie kurz darauf selbst zur Gejagten wird, ergreift die akrobatische Briefträgerin die Flucht nach vorn.

Von diesem Moment an geht es in Schwindel erregender "Parkour"-Manier rennend, hüpfend, hangelnd, balancierend und kraxelnd über Simse, Rohre, Stahlträger und an Wänden entlang von Dach zu Dach. Farblich hervorgehobene Leitungsrohre, Dachrinnen, Mauervorsprünge und ähnliches weisen dabei den Weg, den zu finden dennoch nicht immer leicht ist. Stürze in die Tiefe liegen damit an der Tagesordnung: Meist braucht es mehrere Anläufe, um die optimale Route zu finden. Die Speicherpunkte sind glücklicherweise jedoch fair gesetzt, so dass sich der Frust in Grenzen hält.

Mit ein Grund für die häufigen Abstürze ist die ungewöhnliche Perspektive: Während vergleichbare Spiele wie "Tomb Raider" oder "Prince of Persia" in einer 3rd-Person-Perspektive gesteuert werden, verfolgt der Spieler das Geschehen in "Mirrors Edge" aus einer Ego-Ansicht, was Timing und Übersicht mitunter erschwert. Da aber bei vielen Aktionen die Arme und Beine der Protagonistin im Bild zum Vorschein kommen, kann sich der Spieler in die Rolle der Heldin hineinversetzen, wodurch ein realitätsnahes und authentisches Spielgefühl entsteht.

Probleme bereitet neben der Perspektive anfangs auch die ungewöhnliche Tastenbelegung. Bei der PS3-Version wird mit L1 gesprungen und mit L2 unter Hindernissen hindurchgerutscht, während mit den Schultertasten auf der rechten Seite etwa zum Schlag ausgeholt oder eine 180-Grad-Drehung vollzogen wird. Natürlich lassen sich die verschiedenen Bewegungsabläufe auch miteinander kombinieren. Wer möchte, kann gewisse Aktionen wie das Abrollen oder Balancieren optional auch mit Hilfe der Sixaxis-Funktion steuern, was die Sache aufgrund des durchgehend hohen Spieltempos aber nicht unbedingt vereinfacht.

Für zusätzliche Action zwischen den Sprung- und Klettereinlagen sorgen schließlich Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt. Da Faith unbewaffnet ist, gilt es in diesem Fall entweder schleunigst die Beine in die Hand zu nehmen und zu fliehen, oder mit Fäusten und Tritten in die Konfrontation zu gehen. Auch Waffen kommen im Spiel der "Battlefield Bad Company"-Macher von DICE vor, spielen jedoch lediglich eine untergeordnete Rolle: Zwar kann Faith im passenden Moment ihr Gegenüber entwaffnen, die Waffe mitzunehmen ist jedoch wenig empfehlenswert, da das zusätzliche Gewicht Faith nur unnötig ausbremst.

Ist der Story-Modus nach etwa zehn bis zwölf Stunden Spielzeit gemeistert, können im "Speed Run" alle Level noch einmal auf Zeit durchlaufen oder im "Time Trial" 23 spezielle Laufkurse, meist bereits aus dem Story-Mode bekannte Abschnitte, in Angriff genommen werden, wobei es auch hier die Bestzeit zu erzielen gilt. Eine Online-Variante, in der man mit anderen Spielern gemeinsam über die Dächer hüpfen könnte, hat es leider nicht ins Spiel geschafft.

Davon abgesehen kann sich "Mirror's Edge" aber durchaus sehen lassen, überzeugt der Titel neben dem frischen Spielprinzip doch auch mit einer sehenswerten, wenngleich ungewöhnlichen Optik. Farbenfrohe Explosionen und andere Spezialeffekte sucht das Auge zwar vergeblich, dafür fügen sich die tristen und sterilen Außen- wie Innenräume perfekt in das Überwachungsstaat-Szenario. Dem schlichten Look ist es dann wohl auch zu verdanken, das Faiths Bewegungen ruckelfrei und geschmeidig über den Bildschirm laufen. Ladezeiten gibt es zwar, diese werden jedoch zumeist geschickt hinter kleineren Zwischensequenzen wie einer Fahrt im Aufzug überbrückt.

Fast schon zu schlicht sind hingegen die im Comic-Stil gehaltenen Cutscenes, in denen die von Fantasy-Autor Terry Pratchetts Tochter Rihanna verfasste Story vorangetrieben wird. Voll und ganz punkten kann der Titel jedoch in Sachen Musik und Soundkulisse: Zum typischen Lärm der Großstadt gesellen sich authentische Lauf- und Atemgeräusche der Heldin, deren Äußerungen dank guter Synchronisation recht überzeugend aus den Boxen kommen.

Fazit: Dass ausgerechnet die sonst so waffenvernarrten Entwickler von DICE ein pazifistisches Spiel vorlegen, überrascht. Die schweißtreibenden und atemberaubenden Verfolgungsjagden über die Dächer der Stadt wissen, ein wenig Übung vorausgesetzt, aber dennoch zu gefallen. Schade nur, dass das Spiel stark auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum basiert und man sich deshalb nur zu oft auf hartem Asphalt wiederfindet. Über die in ihren Ansätzen interessante, aber ansonsten flache Story sowie den fehlenden Online-Modus lässt sich angesichts des erfrischenden Spielprinzips, der ungewöhnlichen Optik sowie der sehr guten Soundkulisse gerade noch hinwegsehen.

Plattform: PS3 (getestet), Xbox 360, PC
Publisher: Electronic Arts
krone.at-Wertung: 8/10

von Sebastian Räuchle

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