Tenor der Herzen

Paul Potts im krone.at-Interview

Musik
09.11.2008 17:02
Wer er ist, muss man wohl nicht mehr großartig ausführen. Paul Potts, gefeierter "Popera"-Star aus Großbritannien und seit seinem Sieg bei "Britain's Got Talent" die Hauptfigur in einem modernen Märchen. Darin wird aus einem schüchternen Mann aus Bristol, der es nach einem halben Philosophiestudium wegen seiner Versessenheit auf eine klassische Musikkarriere gerade einmal zum Handyshop-Leiter gebracht hat, ein Star der Herzen. Paul Potts kann singen und begeistert Massen rund um den Globus. Am Montag (10. November) und am Dienstag gastierte er in der kleinen Wiener Stadthalle F. Mit krone.at sprach Paul Potts davor über sein neues Leben und erzählt, wie ein 10-Pence-Stück sein Schicksal entschied.
(Bild: kmm)

Seit seinem Sieg bei der britischen Castingshow (siehe Infobox) hat sich für Paul Potts viel verändert. Er gewann damals gut 1,4 Millionen Euro - das Preisgeld und einen fetten Plattenvertrag bei Sony BMG - und tourt seither durch die halbe Welt, singt in ausverkauften Konzerthallen und Opernhäusern. Seine internationale Karriere verdankt er dem Hype auf Internetportalen wie YouTube, wo sein berührender Castingauftritt von Millionen Menschen gesehen wurde. Geholfen hat auch ein emotionaler Werbespot der Deutschen Telekom, der Potts Auftritt beinhaltete und in Deutschland die Verkaufszahlen für sein Album fast ein Jahr nach dessen Veröffentlichung gewaltig in die Höhe schnellen ließ.

Die schiefen Zähne wie beim Casting hat Paul Potts jetzt nicht mehr. Er hat sie sich richten lassen und auch den 50-Euro-Anzug, den er beim Casting trug, hat er gegen edlen Zwirn eingetauscht. Konzertgeher sagen, er hat auch ein bisschen zugenommen - kein Wunder, wenn man sich plötzlich gutes Essen leisten kann, was in England ja bekanntlich rar ist. In seinem Blog auf seiner Website verlautet er im aktuellsten Eintrag, dass er und seine Frau nun endlich ein Haus gefunden haben. Ein 1930 erbautes Anwesen im Art-Deco-Stil in Port Talbot, einer Hafenstadt an der Südküste von Wales. Seine Fans gönnen ihm den neuen Wohlstand, denn außer seiner Stimme, die von Pavarotti-erprobten Kulturkritikern freilich oft als die eines Hobbytenors charakterisiert wird, gibt Paul Potts ihnen etwas abseits der Musik: Die Hoffnung, dass jeder es schaffen kann.

Seit deinem Sieg bei „Britains Got Talent“ - was hat dich mehr umgehauen: Plötzlich berühmt zu sein oder auf der ganzen Welt auftreten zu können?

Paul Potts: Ich glaube, es ist beides zugleich. Ich sang vor einiger Zeit ein Open Air in Kopenhagen und man sagte mir, es würden so ungefähr 1.000 bis 1.500 Leute hinkommen. Wow, dachte ich - die kennen mich dort schon! Dann kamen 17.000 Menschen und der ganze Platz vor dem Rathaus war voll. Ich konnte es nicht glauben! Vor kurzem sang ich dann bei „The Dome“, dieser Musikshow in Deutschland. Ich hatte fürchterliche Angst, dass nach meinem Auftritt alle still sein würden. Schließlich ist die Show für 14- bis 18-Jährige und bietet fast nur Popmusik. Doch schon als ich auf die Bühne ging, haute mich der Applaus fast um. Es war so laut, dass ich mich beim Singen fast nicht hören konnte. Am Ende war es dann natürlich alles andere als still (lacht).

Dein Vater war ein Busfahrer, deine Mutter arbeitete in einem Supermarkt und soweit ich weiß, hast du eine katholische, öffentliche Schule in Bristol besucht. Glaubt man dem Klischee, so ist das nicht gerade das Umfeld, in dem ein Teenager die Liebe zur Klassik findet...

Paul Potts: Mein Eltern waren ziemlich überrascht, als ich mit dem Singen im Schulchor begann. Und sie waren noch mehr überrascht, als ich damit weitermachte. (Paul sang mehr als 10 Jahre in einem Kirchenchor, Anmk.) Ich sang zunächst aber immer nur für mich selbst, so als Hobby. Und damals war es auch nicht mehr als ein Hobby, obwohl ich ziemlich viel Geld dafür ausgab. Ich vergleiche das immer mit einem Golfer, dessen Training ja auch nicht billig ist. Der Unterschied zwischen mir und den meisten Golfern war allerdings, dass ich für die nächste Gesangsstunde immer sehr lange und viel arbeiten musste. Dass ich mein ganzes Geld für Unterricht (Paul finanzierte sich unter anderem eine Gesangsausbildung in Italien, Anmk.) ausgab, und um mehr über klassische Musik und die Oper zu lernen, das verstand damals niemand.

Ich stelle mir das so vor: Deine Freunde gingen bowlen oder fuhren übers Wochenende an einen See - und du bist zu Hause geblieben und hast gesungen?

Paul Potts: Na ja, ganz so krass war es nicht. Aber jeder hat seine Interessen und seine Vorlieben - und meine waren eben etwas exotischer. Die meisten meiner Schul- und später Arbeitskollegen wussten ohnehin nicht, dass ich klassische Musik mochte und sang. Das einzige Mal, als ich vor Freunden gesungen habe, war in einer Karaokebar in Bristol. Ich sah sie damals schon Tomaten werfen, schließlich hielt ich nie besonders viel von mir als Sänger. Dankenswerterweise taten sie es nicht (lacht).

Bei deinem Erfolg drängt sich oft der Vergleich zu Andrea Bocelli („Con te partiró“ bzw. „Time To Say Goodbye“) auf, der vor seinem Durchbruch auch Talentwettbewerbe gewann und dann vor mehr als zehn Jahren Millionen Menschen zur klassischen Musik zog, die vorher nichts damit anfangen konnten. Schwingt bei deinem Siegeszug auch so etwas wie ein Botschaftergedanke mit, Menschen für klassische Musik begeistern zu wollen?

Paul Potts: Ich finde, jede Musik ist für alle da. Ich verstehe nicht, wie es bei manchen Stilrichtungen dazu kommen konnte, dass nur bestimmte Gesellschaftskreise im Publikum erwünscht sein sollen. Ich habe oft gelesen, wie man Bocelli dafür kritisierte, weil er klassische Musik zu Hits macht und selbst ein Popstar geworden ist. Was kann daran negativ sein, wenn jemand Erfolg hat und so viele Leute dafür begeistern kann? Musik gehört niemandem, keinem bestimmten Land, keiner bestimmten Gesellschaftsschicht. Sie gehört allen. Du brauchst keine Ausbildung, um Klassik oder Jazz zu hören und zu verstehen. Du brauchst keinen Abschluss an einer Musikhochschule, um Musik, die dich bewegt, schätzen zu können. Am Ende geht es doch nur um Geschmack und Vorlieben. Entweder spricht es dich an oder nicht - da gibt‘s kein richtig oder falsch. Musik ist sehr subjektiv, du wirst selten absolut gleiche Meinungen dafür finden.

Ich nehme an, du hast dir früher neben den Gesangsstunden auch Karten für die Oper zusammengespart und bist zu Vorstellungen gegangen, wo dann vielleicht zwei verschiedene Welten an Klassikliebhabern zusammenprallten.

Paul Potts: Du meinst wahrscheinlich die kleinen Modeschauen, die bei einer Opernvorstellung im Foyer über die Bühne gehen. (lacht) Ich finde das okay. Wenn sich jemand für die Oper schön anzieht, dann soll er sich herausputzen. Ich finde da nichts böses dran. Ich erinnere mich an eine Vorstellung von La Bohéme in der Royal Opera, die ich mir einmal angesehen habe. Ich trug Jeans und Pullover - und dann bekamen wir plötzlich Karten für eine Loge. Und da stand ich nun, zwischen grauhaarigen Männern mit Dinner Jackets und Smokings, feinen Damen mit prächtigen Kleidern. Aber es war mir egal, ich ging so, wie ich mich wohlfühlte. Es war die Musik, bei der ich mich wohlfühlen wollte. Ich finde, man sollte da gewissen Respekt haben. Wie ich schon sagte, jede Musik ist für alle da. Man sollte umgekehrt auch nicht über Musik urteilen, wenn man sie nicht kennt. Ich habe mich nicht nur mit der Oper beschäftigt, ich habe auch Rap gehört. Es ist nicht meins, aber es gibt viele, denn es gefällt. Ich habe vor kurzem zum ersten Mal Slipknot gehört. Meine Güte, es ist kein Vergleich zur Oper! (lacht) Aber für Heavy Metal musst du schon sehr viel Talent haben, damit du diese Musik spielen kannst. Genau so, wie du für Hip-Hop ein gutes Rhythmusgefühl brauchst. Die Geschmäcker sind verschieden. Das heißt aber nicht, dass dich nicht auch einmal etwas ansprechen könnte, das außerhalb sonst deiner musikalischen Vorlieben liegt. Ich sehe mich in erster Linie als Sänger und bin jedem unendlich dankbar dafür, der mir das ermöglicht, wenn er ein Album oder ein Konzertticket kauft. Ohne ihn oder sie habe ich keine Karriere.

Von deinen Auftritten existieren unzählige Videos auf YouTube und im Internet. Ich hatte jetzt den Eindruck, zwischen dem - verzeih, wenn ich das so sage - Nobody bei „Britains Got Talent“ und dem Star, der jetzt vor Tausenden Menschen singt, liegt ein satter Gewinn an Selbstvertrauen und Mut.

Paul Potts: Oje, da liegst du vollkommen falsch! (lacht) Ich bin ein nervliches Wrack, wenn ich auf die Bühne gehe. Erst wenn ich sinuchstäblich die Ruhe in die Knochen. Ich versuche jede Arie so zu singen, als würde ich sie das erste Mal entdecken. In letzter Zeit habe ich allerdings das Gefühl, ich könnte die Nervosität ein wenig besser verstecken. In England haben sie eine Doku über mich gedreht - ich war fast schockiert, als ich sah, wie gut man mir das große Zittern ansehen konnte (lacht). Ich glaube, ich bin mein größter Kritiker. Ein Teil von mir will, dass ich mich selbst nicht besser werden lasse, obwohl es sich augenscheinlich verbessert. Deswegen werde ich wohl immer nervös sein.

Dein Album trägt den Titel „One Chance“. Du hast die Chance deines Lebens damals mit der Teilnahme an der Castingshow ergriffen. Wahrscheinlich fragt man dich das täglich: Was glaubst du, wäre passiert, wenn die Jury bei „Britains Got Talent“ lieber eine hübsche, blonde Popsängerin gehabt und es nicht gewagt hätte, dich zum Star zu machen?

Paul Potts: Komischerweise, werde ich nicht müde, die Geschichte immer wieder neu zu erzählen! (lacht) Nein, im Ernst: Ich ging zu diesem Casting mit einem Gedanken im Kopf: Paul, das ist das letzte Mal, dass du singen wirst. Das sagte ich mir und ich hatte mir wirklich vorgenommen, nach dieser Ablehnung nie wieder zu singen. Für mich war es natürlich klar, dass sie mich dort nur nach Hause schicken konnten. Ich wollte einen Schlussstrich ziehen, mich anderen Dingen zuwenden, die ich zu lange liegen gelassen hatte. Ich wollte härter arbeiten, eine Gehaltserhöhung bekommen, mehr Schulden zurückzahlen und mir ein anderes Hobby suchen. Wegen der Krankheit und der Verletzung (Paul war 2003, kurz nach der Hochzeit mit seiner Frau Julie-Ann, mit einem gutartigen Tumor an seiner Niere diagnostiziert worden und brach sich danach auch noch das Schlüsselbein, Anmk.) konnte ich es mir nicht mehr leisten, so viel Geld für mein Hobby auszugeben. Wenn ich irgendwo an einem Amateurtheater sang, musste ich mir die Fahrt dorthin selbst zahlen. Eine Gage hatte ich nie bekommen, keinen Penny! Meine Frau und ich hatten zu dieser Zeit zwar mehrere Konten, was aber nicht hieß, dass wir Geld hatten (lacht). Zum anderen war es unser Geld, das von meiner Frau und mir. Ich konnte es vor mir selbst nicht mehr verantworten, dass ich unser Geld zu meinem Vergnügen ausgab. Also sagte ich mir: Es hat nicht sollen sein, es ist an der Zeit, dass du dir das eingestehst. Eines Nachts stolperte ich dann im Internet über den Castingaufruf. Ich füllte kurzerhand das Anmeldeformular aus. Bevor ich dann zu dem Termin ging, warf ich noch ein 10-Pence-Stück, weil ich mir dann doch nicht ganz sicher war, ob die Blamage sein muss. Dankenswerterweise landete die Münze auf Kopf. (lacht)

Du hast einen Bachelor in Philosophie und sozusagen die Weisheit studiert. Was sagst du jetzt zu Fans, wenn sie dich um Rat für ihr Leben fragen?

Paul Potts: Schau in dein Inneres - denn was du suchst, wirst du von niemandem von außerhalb bekommen. Es muss aus dir kommen. Wenn es da drinnen nicht ist, dann kommt es auch nicht von woanders her. Als ich noch Verkäufer war, karrten sie uns oft zu Motivationstrainings. Auf jedem zweiten dieser Seminare wurde ein Song von M People gespielt: Suche den Helden in dir („Search for the hero inside yourself“). Und es ist wahr, diese Person musst du in dir finden können. Wenn dem nicht so ist, gelangst du irgendwann an den Punkt, an dem du entdeckst, dass du diese Person auch nicht sein kannst oder willst. Ob du sie selber gerne wärst oder ob das andere wollen, ist egal. Und wenn du nur draufkommst, dass du‘s nicht tun kannst, ist das immerhin schon etwas.

Du singst demnächst in Österreich. Zwei Tage hintereinander sogar. Was darf man erwarten. Kommst du mit Orchester? Erzählst du Witze zwischen den Arien?

Paul Potts: Ein paar Witze werden sicher fallen - meistens auf meine Kosten. (lacht) Ich bin ein wenig tollpatschig un meine Frau fürchtet sich vor jeder Reise, bei der sie nicht mitkommt, dass ich mit einem gebrochenen Fuß zurückkommen könnte. Und ein paar Mal hat das nur das Glück verhindert... (räuspert sich) Jedenfalls hab ich ein kleines Orchester mit dabei und versuche, bei der Auswahl der Stücke möglichst gut durchzumischen. Es wird Musik vom Album geben, ein paar Stücke aus meinem Repertoire und mindestens ein österreichisches Lied, vielleicht sogar eines aus Wien.

Das heißt, du probst für jedes Konzert neue Stücke aus dem jeweiligen Land?

Paul Potts: Ja, ich finde das immer nett, weil ich den Zuhörern damit zeigen kann, dass mir etwas an ihnen liegt. Außerdem lerne ich dabei für mich selbst etwas dazu, in jedem Land gibt es tolle Komponisten und Lieder, die ich auf diese Weise entdecke. „Dein ist mein ganzes Herz“ (eine Arie aus „Das Land des Lächelns“ von Franz Lehár, Anmk.) werde ich ganz bestimmt in Wien singen. Ich freue mich schon darauf!

Interview: Christoph Andert

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele