Kursgemetzel

Wiener Börse im freien Fall

Österreich
10.10.2008 18:20
Weder die gleichzeitige Leitzinssenkung im Euro-Raum auf 3,75 und in den USA auf 1,5 Prozent noch die Verstaatlichungspläne von internationalen Banken oder der fallende Ölpreis konnten den freien Fall des Leitindex der Wiener Börse stoppen. Sogar der unbegrenzten Einlagensicherung für österreichische Spargelder, der Garantie für Bankenliquidität und dem Verbot der Leerverkäufe trotzte der ATX-Absturz. Auf einer noch nie dagewesenen Talfahrt verlor das heimische Börsenbarometer im Wochenverlauf 28,92 Prozent und notierte am Freitag kurz vor Handelsschluss bei 2.002,05 Punkten, dem tiefsten Stand seit Mai 2004.

Seit Jahresbeginn wurden in Wien bereits mehr als 90 Milliarden Euro vernichtet, 18,41 Mrd. allein in dieser Woche. Am Donnerstag lag die Marktkapitalisierung nur mehr bei 64,46 Mrd. Euro. Im Vergleich zu anderen europäischen Indizes hat die Finanzkrise die Wiener Börse besonders stark erwischt. Experten führen dies u. a. auf die geringe Liquidität und auf die starke Gewichtung der Bankaktien und der OMV zurück.

Rabenschwarze Woche
Es war eine rabenschwarze Woche: Schon am Montag stand der Handel im Zeichen der Angst vor der Ausweitung der Finanzkrise. In ganz Europa brachen die Börsen ein, der ATX fiel auf den tiefsten Stand seit Jänner 2005. Am Dienstag raste der ATX weiter nach unten und erreichte den tiefsten Stand seit Dezember 2004. Die Welle an Negativ-Rekorden setzte sich auch tags darauf fort. Der Wiener Aktienindex verbuchte mit einem Tagesverlust von 8,71 Prozent bis dahin das größte Minus seit seiner Einführung im Jahr 1991. Am Donnerstag legte er eine kurze Verschnaufpause ein, drehte aber kurz vor Handelsschluss und rasselte weitere 4,10 Prozent nach unten.

Neuer Tiefpunkt mit neuen Regeln
Einen neuerlichen Tiefpunkt gab es am Freitag. Das erste Mal in ihrer Geschichte setzte die Wiener Börse den Handel sämtlicher Aktien bis Mittag aus, um neue Spielregeln zu schaffen. Nun kann jeder Titel bei einer Schwankung von mehr als 10 Prozent vom Handel ausgesetzt werden. Erholung bedeutete das aber vorerst keine. Am Nachmittag setzte der ATX seinen freien Fall dann fort, gegen Handelsschluss konnte er aber wieder ein paar Punkte gutmachen. Am Freitag verlor er insgesamt 7,37 Prozent.

Finanz- und Immobilienaktien schwer getroffen
Am stärksten hat es Finanz- und Immobilienaktien getroffen. So hat sich die Marktkapitalisierung der meisten Unternehmen im ATX Prime im Jahresverlauf schon mehr als halbiert. Die Verlustliste in diesem Jahr führt eindeutig die Raiffeisen International an, die knapp 69 Prozent ihres Börsenwerts verloren hat. Über 60 Prozent eingebüßt haben die voestalpine (minus 5,5 Milliarden Euro), Wienerberger (minus 2 Milliarden Euro), Zumtobel (minus 756 Millionen Euro) und Palfinger (minus 630 Millionen Euro). Die "beste Verliererin" auf Jahressicht ist die Post, die "nur" acht Prozent bzw. 195 Millionen Euro im Minus liegt.

Kaum Ausreißer nach oben
Auch in dieser Woche sahen fast alle 20 ATX-Titel rot. Am stärksten bluteten Raiffeisen International (RI, minus 48,48 Prozent) und die Erste Group Bank (minus 42,32 Prozent). Die RI-Titel rutschten am Donnerstag auf 32 Euro und damit erstmals unter ihren Emissionspreis von 32,50 Euro bei ihrem Börsengang im April 2005. Am Freitag brach die Aktie erneut um 21,72 Prozent auf 25,05 Euro ein, bevor sie am Nachmittag ein weiteres Mal vom Handel ausgesetzt wurde. Die Erste Group stürzte nicht nur an der Wiener Börse ab, sondern erlitt in der vergangenen Woche auch in Prag dramatische Kurseinbrüche. Die Anteilsscheine verbilligten sich um 40,98 Prozent und verbüßten den drittgrößten Kursverfall im Prager Leitindex PX.

Überraschung durch Zumtobel
Ebenfalls kräftig im Minus schlossen die Papiere von bwin (minus 36,11 Prozent im Wochenverlauf), RHI (minus 35,83 Prozent) und Vienna Insurance Group (minus 34,65 Prozent). Die Strabag SE hat trotz ihres günstigen Gesamtausblicks und der Umschuldungsvereinbarung mit Großaktionär Oleg Deripaska 22,54 Prozent eingebüßt. Die Aktien aller drei Unternehmen wurden am Freitagnachmittag gemäß den neuen Bestimmungen vorübergehend vom Handel ausgesetzt. In den letzten Handelsminuten ins Plus gedreht hat sich einzig der Leuchtenhersteller Zumtobel, der am Freitag sensationelle 16 Prozent gewann und damit auf Wochensicht 4,19 Prozentpunkte gutmachte.

Keine Entspannung erwartet
Für die kommende Woche erwarten Analysten noch keine nachhaltigen Aufwärtsbewegungen. Diese würden erst einsetzen, wenn sich eine konjunkturelle Verbesserung abzeichnet, so die Experten der Volksbank in ihrem Wochenkommentar. Auch die Unternehmensberichtssaison werde das Marktgeschehen stark beeinflussen. In den nächsten Tagen werden die veröffentlichten Konjunkturdaten in den USA und in der Euro-Zone mehrheitlich schwach ausfallen.

"Prinzipiell keine schlechten Signale"
Ob sich die gebeutelten Bankaktien kommende Woche erholen werden, vermochten Analysten am Freitag noch nicht zu prognostizieren. Die Leitzinssenkung und die Verengung des Zinskorridors für den Geldverkehr mit Geschäftsbanken durch die EZB sowie das Herbsttreffen von IWF und Weltbank am Wochenende in Washington seien prinzipiell keine schlechten Signale, so ein Experte. Zudem wird die EZB ab Montag den wöchentlichen Tender zur Hauptrefinanzierung vollständig und in unbegrenzter Höhe zum Leitzins bedienen.

Die Analysten der Erste Bank Research verwiesen darauf, dass stabile und finanzstarke Unternehmen nach der Krise gestärkt werden. Die Rettungspläne der österreichischen Regierung würden "früher oder später zu einer Stabilisierung des Systems führen." Anleger sollten kühlen Kopf bewahren und Aktien nicht wahllos verkaufen, hieß es.

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