Pädagoge im Talk

“Verschleierte Mütter schicke ich weg”

Österreich
03.09.2016 16:55

Pünktlich zum Schulanfang hat Niki Glattauer ein Buch über seinen Alltag als Lehrer geschrieben. Mit Conny Bischofberger spricht Österreichs bekanntester Pädagoge über Multi-Kulti im Unterricht, schweinefleischlose Schulküchen, verschleierte und betrunkene Eltern - und warum er seinen Beruf trotzdem über alles liebt.

Drei Tage vor Schulbeginn herrscht in der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße im Wiener Nobelbezirk Währing noch heilige Ruhe. "Ab Montag werde ich wieder Ohropax brauchen", lacht Niki Glattauer, 57. Er lehnt mit einem schwarzen Kaffeehäferl in der Hand an der Tafel und hat viele lustige, traurige und skurrile Geschichten auf Lager (die besten stehen in seinem neuen Buch "Best of Schule"). Er strahlt Freude aus, und Sendungsbewusstsein.

An der Wand hängt ein goldgerahmtes Bild von Milad, 13. "Ein Flüchtlingskind aus Afghanistan", erklärt der Pädagoge, "zwei Jahre lang haben wir ihn durchgetragen, dann ist er an einer seltenen Krankheit gestorben." Acht von 25 Kindern seiner neuen Klasse werden Flüchtlingskinder sein.

Wenn am kommenden Montag in Ostösterreich 463.000 Schüler in das neue Schuljahr starten - eine Woche später folgen dann 644.000 Schüler in den westlichen Bundesländern -, dann bekommt der streitbare Lehrer und Buchautor sein Fett ab: In der 1 A wird der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund 100 Prozent betragen. Gerade deshalb hat der Klassenvorstand aber auch so viel zu erzählen.

"Krone": Herr Glattauer, wir sitzen hier in Ihrer Klasse, wo ab Montag ausschließlich Schüler mit Migrationshintergrund Platz nehmen werden. Fühlen Sie sich manchmal fremd an Ihrem Arbeitsplatz?
Niki Glattauer: Nein, gar nicht. Mein Auftrag heißt Integration und Kommunikation. Bei uns geht es nicht um die Frage, wer ist in welchem Fach besser als der andere, sondern um Zusammenarbeit, Zusammenhalt, den anderen schätzen und mögen lernen. Als Lehrer bin ich einer unter zehn Kulturen. Aber ich stelle den Anspruch, die Leitkultur zu vertreten.

"Krone": Wie geht das, wenn keiner Deutsch spricht?
Glattauer: Die meisten sprechen rudimentär Deutsch. Die, die keine Kenntnisse haben, gehen parallel zum Unterricht in einen Deutschkurs. Denen geht es wie mir bei meinem Auslandssemester in Spanien. - Lacht. - Da habe ich am Anfang gar nichts verstanden, nach ein paar Wochen ein bisserl was und nach zwei Monaten kann man das Wichtigste. Aber Sie haben schon Recht: An unserer Schule können wir nicht dort anfangen, wo man im Gymnasium normalerweise anfängt.

"Krone": Ist es da nicht verständlich, wenn österreichische Eltern ihre Kinder eben nicht in öffentliche Schulen schicken wollen?
Glattauer: Ich verstehe, dass Eltern nicht wollen, dass ihre Kinder in SOLCHE Klassen kommen. Die 20 Prozent schwachen Schüler in Wien - bildungsfern, zum Teil nicht alphabetisiert - müssten eben aufgeteilt werden. Es gibt in Deutschland Vorzeigeschulen, die das machen. Dort lernen die Schwachen von den Starken, ohne dass die Starken deshalb schwächer werden.

"Krone": Aber was haben die starken Schüler davon?
Glattauer: Sie werden besser, indem sie den Schwachen den Stoff erklären. Dadurch erspart sich die Schule die Hausübungen, denn etwas zu erklären ist das beste Training, das es gibt.

"Krone": In Wien beträgt der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund bereits 56 Prozent…
Glattauer: Ja, das kann man sich im Waldviertel oder in Salzburg gar nicht vorstellen, was es heißt, wenn jedes zweite Kind eine andere Umgangssprache hat als Deutsch.

"Krone": Was heißt es?
Glattauer: Dass wir Lehrerinnen - die Männer sind mitgemeint, aber 75 Prozent sind nun einmal Frauen, in der Volksschule sogar 90 Prozent - wirklich einen anstrengenden und sehr umfangreichen Job haben.

"Krone": Dafür neun Wochen Ferien…
Glattauer: Richtig. Es gibt noch weitere Privilegien. Wir haben keinerlei Konkurrenzdruck und sind weitgehend autonom. Dafür kämpfen wir mit einem hohen Geräuschpegel. Wenn 50 oder 100 Kinder zusammenkommen, dann ist es einfach laut. Väter und Mütter wissen das: Schon zwei Kinder können laut sein, dass einem der Schädel kracht. Früher einmal, auch noch in meiner Schulzeit, war es mucksmäuschenstill, wenn der Lehrer in die Klasse gekommen ist. Man ist aufgesprungen und sofort hat sich Militäratmosphäre breit gemacht. Das will man ja heute nicht mehr. Kinder sollen kreativ sein, Fragen stellen, und auch Grenzen überschreiten.

"Krone": Sie haben von Leitkultur gesprochen. Welche Erfahrungen haben Sie mit muslimischen Kindern?
Glattauer: Muslimische Kinder haben auch Vorteile. Es gibt mit ihnen zum Beispiel keine Alkohol- oder Drogenprobleme. Meist kommen sie auch aus sehr geordneten Familienverhältnissen. Ihre Eltern mischen sich selten ein. Sozial verwahrloste, betrunkene Eltern, die im Schlaf- oder Trainingsanzug in die Schule kommen und die Lehrer bedrohen, gibt es bei Migrantenfamilien nicht.

"Krone": Aber Väter, die Lehrerinnen nicht die Hand geben?
Glattauer: Wenn eine Kollegin einem Vater die Hand entgegenstreckt, dann hat er die Hand zu erwidern. Und wenn eine Mutter mit mir über ihr Kind reden will, soll sie bitte den Schleier aus dem Gesicht tun. Denn mit verschleierten Frauen rede ich nicht.

"Krone": Warum nicht?
Glattauer: Hier geht es um kulturelle Regeln. Ich will gar nicht mit dem Sicherheitsrisiko kommen. Es geht um die Beispielwirkung. Wir erziehen hier Mädchen zu Gleichberechtigung und dann kommen Mütter, die sich verhüllen. Das geht nicht. Wir müssen in den Schulen von Anfang an klar machen, dass es sich um österreichische Schulen mit Regeln und Hausordnungen handelt, die unserer Kultur entsprechen. Denen müssen sich alle anpassen. Umgekehrt müssen wir auch Rücksicht auf andere Kulturen nehmen.

"Krone": Beim Essen?
Glattauer: Ja. Keine Schule wird ein islamisches Kind zwingen, Schweinefleisch zu essen. Aber deshalb muss sich auch keine Schule eine schweinefleischlose Küche aufzwängen lassen. Das halte ich für ein falsches Nachgeben. Die Moslems haben ja auch kein Problem damit, dass es bei uns Wiener Schnitzel gibt, sie essen es halt nicht. Und wenn tschetschenische Väter kommen und sich über Marillenknödel beschweren, weil das in Tschetschenien keine Hauptspeise ist, dann muss man sagen: Bei uns in Österreich aber schon.

"Krone": Im kommenden Schuljahr werden auch viele Flüchtlingskinder eingeschult. Sind Österreichs Lehrer für diese Herausforderung gerüstet?
Glattauer: Wir können uns dafür noch rüsten. Indem wir einsehen, dass wir gerade in einer Art Völkerwanderungszeit leben und je früher wir klarmachen, was von beiden Seiten verlangt wird, desto besser wird Integration gelingen. Ich spreche nicht von Willkommenskultur, ich bin nicht naiv. Ich zitiere die Kirche: Lasset sie kommen und machen wir das Beste daraus. Mein Kinderbuch "Flucht" dient dieser Verständigung, und mit diesem Buch werde ich an der Schule auch arbeiten.

"Krone": Ihr Buch zum Thema Schule ist gespickt mit witzigen Dialogen zwischen Ihnen und Ihren Schülern. Wie lustig ist Schule überhaupt noch?
Glattauer: Schule macht Spaß, ehrlich! Wir haben es täglich lustig. Eine Schulstunde, in der nicht auch gelacht wird, in der nicht auch einmal eine Frechheit fällt, in der der Lehrer nicht auch mal auszuckt und brüllt, ist fad. Denn das ist das Leben. Mein Ziel ist es, dass die Schüler gerne herkommen. Am enttäuschtesten bin ich, wenn Kinder Schule schwänzen. Da muss ich als Lehrer sofort aktiv werden. Nachforschen, was dahintersteckt. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass manche Kinder keine Hausübungen machen, weil es zuhause gar keinen Schreibtisch gibt. Die liegen mit ihrem Geschwistern im Bett und raufen sich um Platz. Deshalb bieten wir, obwohl wir eine Halbtagsschule sind, Nachmittage an, an denen die Kinder einen Platz haben, um zu übng> Apropos Frechheit: Was machen Sie, wenn ein Kind frech wird?
Glattauer: Ich akzeptiere Frechheit je nach Stimmung. Wenn ich schlecht drauf bin und ein Kind kommt mir deppert, dann werde ich auch deppert. Ich finde, wir dürfen Kinder nicht wie rohe Eier behandeln. Als Lehrerin musst du immer eine Autoritätsperson sein. Auf Kämpfe, die man dann verliert, darf man sich gar nicht erst einlassen.

"Krone": Fällt Ihnen so einer ein?
Glattauer: Einmal hab ich einem Schüler das Handy weggenommen. Handys sind ja heilig und wenn ich Kindern das Handy wegnehme, dann nehme ich ihnen die Seele weg. Schreit mir der nach: "Fettsack!" Er wollte mich provozieren. Ich habe nicht reagiert. Aber unter vier Augen habe ich ihm am nächsten Tag gesagt: "Mach das nie wieder, sonst schmier' ich dir eine." Von da an war unser Verhältnis wieder super.

"Krone": Sie schreiben in "Best of Schule" auch, dass Sie erst wieder ein Buch veröffentlichen, wenn es eine Schulreform gibt, die diesen Namen auch verdient. Also nie wieder?
Glattauer: Mit der neuen Unterrichtsministerin Sonja Hammerschmid und Bundeskanzler Christian Kern haben wir tatsächlich die Chance, die große Schulreform zu derheben - ich würde sagen, es ist die letzte Chance.

"Krone": Sie haben aber jede Unterrichtsministerin mit Vorschusslorbeeren bedacht…
Glattauer: Weil sie ja auch Gutes im Sinn hatten. Nur sind sie eben von der Parteipolitik im Regen stehengelassen worden. Alle wissen doch, in welche Richtung es gehen müsste - von OECD über Industriellenvereinigung bis hin zu Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer: Wir brauchen eine ganztägige gemeinsame Schule und eine Ausbildung für alle Lehrerinnen. Alle Ressourcen in eine Schule, wo möglichst alle hineindürfen, die man auch öffnet für Experten von außen. Kann von mir aus auch Gymnasium heißen.

"Krone": Ihre Vision von Schule 2030?
Glattauer: Ganzjährig geöffnet, wie ein buddhistischer Tempel, in den alle hineinströmen.

"Krone": Noten ja oder nein?
Glattauer: Beurteilung muss sein, aber nicht unbedingt nach einem Notenschema. Ich bin aber auch gegen ewig lange Ausformulierungen. Beurteilung in Gesprächen, ohne diesen Zensurfaktor, wo man aussiebt wie bei den Goldwäschern. Das Gold bleibt oben, der Rest wird weggeschwemmt. Aber um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht natürlich um Differenzierung und Leistung. Es sollen nicht alle über einen Kamm geschert werden.

"Krone": Herr Glattauer, Sie waren einmal ein erfolgreicher Journalist. Haben Sie es nie bereut, dass Sie dann Lehrer geworden sind?
Glattauer: Nie. Im Gegenteil. Als Lehrer kann ich noch viel mehr das tun, was mir immer wichtig war: Botschaften vermitteln und in Kommunikation treten. Das war im Journalismus in dieser Intensität nicht möglich.

Zur Person
Geboren am 1. 1. 1959 in Zürich als Sohn eines Wieners mit böhmisch-jüdischen Wurzeln und einer Kärntner Slowenin. Als Niki ein Jahr ist, kommt die Familie nach Wien. Wie sein Vater Herbert O. Glattauer wird auch er Journalist. 1995 macht er das Lehramt, seit 1998 ist er spät berufener Lehrer und Buchautor. "Best of Schule" ist bei Kremayr & Scheriau erschienen (€ 22). Ebenso neu von Niki Glattauer: Das Kinderbuch "Flucht" (Tyrolia, € 14,95). Verheiratet mit Zhuofeng, einer diplomierten Krankenschwester. Zwei Kinder (Suzie wird 14, Daniel ist 7).

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