Fords Kleinrakete

Fiesta ST: Reichen drei Krügerl für einen Rausch?

Motor
26.05.2018 16:44

Die Ankündigung sorgte unter Fans sportlicher Autos für einen ähnlichen Aufschrei wie das Bekenntnis zum Frontantrieb bei BMW: Der Ford Fiesta ST, mittlerweile eine Ikone unter den Mini-Raketen, hat in der neuesten Generation nur noch drei Zylinder unter der Haube. Sollte der einstige Klassenprimus zur faden Downsizing-Büchse mit Kleinwagen-Klang werden? Erstkontakt am Col de Vence in den französischen Seealpen.

(Bild: kmm)

Auf dem Papier ist jedenfalls alles in Ordnung: 200 PS, dazu fette 290 Nm maximales Drehmoment ab 1600 Touren - das reicht bei einem DIN-Leergewicht (also ohne Fahrer gewogen, Dreitürer) von 1187 kg für einen hervorragenden Standard-Sprintwert von 6,5 Sekunden und 232 km/h Höchstgeschwindigkeit. Dazu soll der Normverbrauch von 6,0 l/100 km die Mittel, sprich: den Verzicht auf den vierten Zylinder rechtfertigen. Dank Benzin-Partikelfilter erfüllt das Triebwerk die Abgasnorm Euro 6d-TEMP.

Fast exakt drei Krügerl ist er groß, der Motor (1497 cm³), die drei Zylinder fassen also je einen halben Liter. In Bier bemessen zu viel, um sich noch ans Steuer zu setzen, aber genug für die Art Rausch, die man sich von einem Sportler erhofft?

Die erste Überraschung kommt schon beim Anlassen, …
… wohlgemerkt, als ein Ford-Mann den Motor startet und ich hinter dem Wagen stehe. Alle Achtung! Schon im Stand gibt es hier richtig was auf die Ohren, weil sie dem Fiesta tatsächlich einen Klappenauspuff unter den Hintern geschraubt haben.

Der tut auch der Optik gut. Gemeinsam mit dem Diffusor mühen sich die beiden Rohre redlich, der Van-artigen Grundform der Karosserie Sportlichkeit einzuhauchen. Für feuchte Hände reicht der Anblick nicht, doch mit dem Auspuffsound, der schon leicht die Nackenhaare aktiviert, keimt die Hoffnung auf einen Wolf im Schafspelz, er da - 15 mm tiefergelegt - auf seinen optionalen 18-Zöllern kauert.

Langsam wird klar: Ja, das wird was!
Erst recht, wenn beim Einsteigen der Blick auf die wunderbaren Recaros fällt, die dem eher nüchternen Innenraum Glanz verleihen. Ein bisschen mit dem Gas spielen, dazu die drei Fahrmodi mit dem unter dem Handanker versteckten Knopf durchschalten. Ja, klar, Dreizylinder, das hört man gleich, je nach Modus mehr oder weniger über die Lautsprecher akustisch unterstützt, wie das mittlerweile üblich ist. Aber überraschend angenehm, authentisch und unkünstlich.

Und dann rollen wir vom Hof …
… Richtung Col de Vence, dorthin, wo schon James Bond sich im Aston Martin DB5 gespielt hat. Hier ist der Ford Fiesta in seinem Element und würde um den schönen Briten wahrscheinlich Kreise fahren. Der Dreizylinder-Zwerg unter der Haube zieht richtig gut, der Turbolader spricht schnell und sanft an, ohne den Fahrer mit explosionsartiger Leistungsentfaltung zu nerven. Gerade bei starken Kleinwagen ist das sonst nicht unbedingt üblich, da dauert es - unabhängig von der Drehzahl - nach dem Tritt aufs Gaspedal gerne mal gefühlt eine Sekunde, bis was weitergeht. Nicht so im Fiesta ST.

Das geht so geschmeidig und unangestrengt, dass ich anfangs immer wieder in den Drehzahlbegrenzer rausche, der bei 6500/min. einsetzt. Dabei ist das Schalten eine reine Freude, verkürzte Schalthebel flutscht wie von selbst durch die Gassen - was er wiederum mit dem ganzen Auto gemeinsam hat. Präzise zieht der kleine Ford seine Kurven, die mit 12,1:1 sehr direkt übersetzte Lenkung gibt erstklassige Rückmeldung, dank (optionalem) mechanischem Sperrdifferenzial in Verbindung mit zusätzlichem Torque Vectoring durch Bremseingriffe sorgen die eigens abgestimmten 205er-„Michelin Pilot Super Sport“ für viel Traktion. Und selbst wenn die Vorderräder in engen Kehren durchdrehen, bleibt die Lenkung davon unbeeindruckt. Nichts zerrt.

Stabilität mit neuen Mitteln
Die Verbundlenkerhinterachse ist mit neuartigen Federn bestückt, die für mehr Spurstabilität sorgen sollen, indem sie durch eine spezielle Krümmung die Räder daran hindern, sich in Kurven zur Seite zu neigen. Die Stoßdämpfer (hinten Einrohr-, vorne Zweirohr-) arbeiten je nach aktueller Fahrweise unterschiedlich, quasi adaptiv: Ihre sogenannten frequenzabhängigen Ventile ermöglichen einen Spagat zwischen Komfort und Stabilität mit reduzierten Karosseriebewegungen. Die harten ST-Zeiten sind also vorbei, ohne dass man bei der Sportlichkeit Abstriche machen muss.

Zusätzlich für sattere Straßenlage sorgt die vorne im Vergleich zum Standard-Fiesta um 10 Millimeter breitere Spur (sogar 48 mm breiter als der Vorgänger-ST).

Das Ergebnis des Aufwands („dreimal so hoch wie üblich“, sagt Ford) ist ein sehr gutmütiges, sehr präzises Fahrverhalten. Da ist es nur konsequent, dass sich das ESP komplett abschalten lässt.

Normal, Sport, Track - und Launch Control!
Drei Fahrmodi greifen in Gaskennlinie, Lenkung und Soundkulisse ein. In Normal und Sport bleibt das ESP voll aktiv, in Track ist die Traktionskontrolle deaktiviert und das ESP schaut nicht so genau hin. Hier ist die Sicherheitsleine so locker, dass es das Heck bis zu 40 Grad quer kommen lässt, bevor es einregelt. Zum völligen Deaktivieren reicht in jedem Fahrmodus ein Knopfdruck.

Ganz und gar nicht klassenüblich ist die Launch Control, die Teil des „Performance-Pakets“ ist. Die 900 Euro sollte man investieren - wegen des im Paket enthaltenen Sperrdifferenzials.

Spieglein, Spieglein
Nur Kleinigkeiten sind nicht ideal, etwas das stark spiegelnde zentrale Display oder der fehlende Haltegriff für den Beifahrer. Viel wesentlicher ist jedoch der hervorragende Seitenhalt, den die Recaro-Sportsitze bieten.

Kampfpreis zum Start
19.190 Euro (statt 23.050 Euro Listenpreis, Dreitürer) schreibt Ford auf das dicke Werbepreisschild, wenn der Fiesta ST im Juli zu den Händlern rollt; ein echter Kampfpreis, der nur gilt, wenn man über die hauseigene Bank least (sonst ein Tausender mehr). Da ist dann die Ausstattung überschaubar, die Klimaanlage manuell und selbstredend auch noch kein Performance-Paket an Bord. Dieses sollte man sich auf jeden Fall gönnen, außerdem zumindest den Ford Fiesta ST Plus wählen (Liste: 26.000 Euro). Okay, und 500 Euro für den Fünftürer drauflegen.

Unterm Strich
Es wird Zeit, die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Im Prinzip ja. Klar, wer Dreizylinder unabänderlich hasst, wird beim neuen Fiesta ST nicht glücklich. Irgendwie verständlich. Aber: Wenn Dreizylinder, dann bitte so! In Sachen Sounddesign können sich die Macher des BMW i8 beim ST anschauen, wie so etwas geht, vor allem, wie das klingen kann, ohne künstlich zu wirken. Der Kleine macht tatsächlich so viel Spaß, dass man sich in einen Flow hineinfahren kann, den mancher als Rausch bezeichnen wird. Message nach Köln: Hoch die Tassen!

Warum?
Hervorragendes Fahrverhalten
Top Fahrleistungen
Für einen Dreizylinder sehr gute Klang

Warum nicht?
Trotz allem: Ein Dreizylinder ist kein Vierzylinder

Oder vielleicht …
… VW Polo GTI, Renault Clio RS, Seat Ibiza Cupra, Peugeot 208 GTI …

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(Bild: kmm)



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