Musste sogar in Haft

Auto-Rebellin: War es das wert, Frau al-Sharif?

Ausland
18.03.2018 07:00

Die Auto-Rebellin aus Saudi-Arabien auf Österreich-Besuch! Im „Krone“-Interview mit Conny Bischofberger spricht Manal al-Sharif (38) über ihre Zeit im Gefängnis, die Trennung von ihrem Sohn und das neue Leben als Freiheitskämpferin.

Freitagmorgen im Hotel „König von Ungarn“. „Ich liebe dieses Ambiente“, schwärmt Manal al-Sharif und nimmt im Foyer vor einem goldgerahmten Spiegel Platz. Sie trägt Jeans, weiße Bluse und Blazer. Bei ihren Reden tritt sie aber bewusst mit farbenfrohen orientalischen Kleidern auf. „Sie spiegeln meine Wurzeln und meine Kultur wider. Denn ich bin eine stolze Saudi.“ Den Hijab hat sie vor einem Jahr endgültig abgelegt.

Am 17. Juni 2011 setzte sich Manal al-Sharif in Saudi-Arabien, wo Autofahren für Frauen damals noch strengstens verboten war, ans Steuer eines Wagens und ließ sich bei dem Tabubruch filmen.

Sie landete im Gefängnis, aber das Video löste eine weltweite Welle der Solidarität aus und machte die 38-Jährige zur wichtigsten Vorkämpferin für Frauenrechte in der islamischen Welt.

Am Tag nach dem „Krone“-Interview trat die 38-jährige Friedensaktivistin beim „Surprise Factors Symposium“ zum Thema Mut in Gmunden auf - sie ist auf Einladung des Think-Tanks „Academia Superior“ in Österreich.

„Krone“: Frau al-Sharif, warum haben Sie erst vor einem Jahr das Kopftuch abgelegt?
Manal al-Sharif: Ich habe es in der Öffentlichkeit zum ersten Mal 2007 abgelegt, aber ich habe zehn Jahre gebraucht, um endgültig keinen Hijab mehr zu tragen. Warum? Wenn Musliminnen das Kopftuch ablegen, wird ihnen immer vorgeworfen, sie seien verwestlicht. Mir ist es wichtig zu betonen, dass es nicht um westliche Werte geht, sondern um Frauenrechte innerhalb unserer Kultur.

Alice Schwarzer, eine Ikone der Frauenbewegung, sagt, das Kopftuch sei das Symbol des radikalen Islam. Da müsste es doch leicht sein, es abzulehnen.
Ich war den Großteil meines Lebens gezwungen, den Hijab zu tragen. Weil ich das für falsch halte, möchte ich auch nicht gezwungen werden, ihn abzulegen. Musliminnen sollten die Wahlfreiheit haben, ohne dafür verurteilt zu werden.

Sie sind also gegen das Burkaverbot?
Ich bin gegen die Burka, weil mein Gesicht für mich meine Identität ist. Aber wenn Frauen sie tragen wollen, dann sollte man das nicht verbieten. Nicht jede Frau, die das trägt, ist eine radikale Islamistin.

Sie sind einem Land geboren, in dem die Menschenrechte reihenweise missachtet werden. Wie dürfen wir uns Ihre Kindheit als saudi-arabisches Mädchen vorstellen?
Es wäre leichter für mich aufzulisten, was ich tun durfte. Ich durfte nicht Rad fahren, ich durfte nicht im Park spielen, ich durfte nicht schwimmen, nur weil ich ein Mädchen war. Aber ich habe immer Wege gefunden, es trotzdem zu tun. – Lacht.

Eine kleine Rebellin?
Ja. Ich habe sogar Sport mit den Jungs gemacht. Ungerechtigkeit hat mich immer schon so wütend gemacht.

Wie kam es dann zu Ihrem historischen Protest? War das geplant oder eine spontane Idee?
Hm, gute Frage. Ich habe zehn Jahre lang als Ingenieurin in einer Firma mit Männern gearbeitet – unter schrecklichen Diskriminierungen. Irgendwann bin ich zum Präsidenten der Firma marschiert und habe ihn darauf angesprochen. Ich wusste nicht, dass das Aktionismus war. Ich arbeitete dann ein Jahr in den USA, wo ich den Führerschein machte. Als ich nach Saudi-Arabien zurückkam, war ich so frustriert, dass ich nicht Auto fahren durfte, dass ich die „Women2Drive“-Bewegung gegründet habe. Aber ich habe gespürt: Es haben einfach alle nur Angst …

Hatten Sie keine Angst?
Ich hatte auch als Kind nie Angst gehabt. Ich dachte mir: Du gehst jetzt als gutes Beispiel voran. Deshalb habe ich dieses Video gemacht und auf YouTube gestellt. Es hatte bereits am ersten Tag 700.000 Zugriffe. Da steckten sie mich ins Gefängnis, ohne Haftbefehl und ohne Urteil. Mir wurden fünf Verbrechen vorgeworfen: Auto fahren als Frau, Störung der öffentlichen Ordnung, Anstacheln der Frauen zum Autofahren, Kontaktaufnahme zu ausländischen Medien und Veröffentlichung eines Videos auf YouTube.

Wie haben Sie die Zeit im Gefängnis erlebt?
Ich musste mich Leibesvisitationen unterziehen, aber ich war vor allem entsetzt über die Bedingungen, in der die Gefangenen dort leben müssen. 90 Prozent der Inhaftierten waren Frauen, meist ausländische Haushaltshilfen, die eingesperrt wurden, weil sie sich kein Ticket nach Hause leisten konnten. Nach neun Tagen bin ich entlassen worden, mein Vater musste zum König gehen und um eine Begnadigung bitten. Das Erste, was ich nach meiner Freilassung gemacht habe, war, diesen Frauen Tickets zu besorgen.

Waren Sie von der internationalen Unterstützung überrascht?
Sehr. Femen kamen extra aus Rumänien nach Berlin, um vor der saudischen Botschaft zu protestieren. In Italien gründeten Frauen eine Facebook-Gruppe, um mich zu unterstützen. Ein Künstler in Brasilien entwickelte das Logo für die weltweite Initiative „Women2Drive“. Die ganze Welt wusste plötzlich: Oh Gott, Saudi-Arabien ist das letzte Land, in dem Frauen nicht Auto fahren dürfen!

Die Argumente für das Fahrverbot waren haarsträubend. Auto fahrende Frauen würden ihre Fruchtbarkeit verlieren und sich die Eierstöcke ruinieren. Glaubt in Saudi-Arabien jemand diesen Blödsinn?
Es gab auch eine Studie, nach der es in zehn Jahren keine Jungfrauen mehr geben würde, wenn Frauen Auto fahren dürfen! Lieber lassen sie neunjährige Buben Auto fahren, und die Mutter muss auf dem Rücksitz Platz nehmen.

Und warum werden Frauen so behandelt?
Darauf gibt es nur eine Antwort: Radikaler Islam! Politiker, die eine Religion missbrauchen, um Menschen zu kontrollieren und Macht auszuüben. Und religiöse Führer, die es geschehen lassen. Nichts hat der islamischen Welt so geschadet wie der Islamismus. Das schreibe ich auch in meinem Buch „Losfahren!“ Ich bin sehr froh, dass es auch in Deutsch erschienen ist, weil die Flüchtlingskrise eine steigende Islamophobie zur Folge hatte.

Sie mussten nach Ihrer Freilassung Saudi-Arabien verlassen. Was ist passiert?
Mein Mann und mein Sohn wurden bedroht, in einem Bericht des staatlichen Fernsehens behaupteten sie, ich wäre von Israel finanziert. Eine Verleumdungskampagne sollte meine Glaubwürdigkeit zerstören. Es wurde eine Fatma ausgerufen, mich wegen Ungehorsam und Respektlosigkeit zu töten. „Du hast dir dein Grab selber geschaufelt“ oder „Du hast das Tor zur Hölle geöffnet!“ waren nur zwei von vielen Morddrohungen. 

Hatten Sie Bodyguards?
Nein. Als Muslimin bitte ich Allah um Schutz für mich und meine Familie. Und wissen Sie, was interessant war? In Saudi-Arabien galt ich als Teufelin, aber schon in Ägypten war ich eine Heldin. Zwei extreme Sichtweisen für ein und dieselbe Person.

Wie ist Ihre Familie mit den Repressalien fertig geworden?
Mein Bruder ist Geologe, er hat mich und meine Bewegung unterstützt und wurde ebenfalls festgenommen. Sie haben sogar sein Auto beschlagnahmt. Meine Mama hat oft geweint, aber ich habe ihr gesagt: Ich höre erst auf, wenn die erste Frau in Saudi-Arabien ihren Führerschein bekommt.

Am 24. Juni 2017 hob der neue saudische Kronprinz das Fahrverbot auf. Ist er für Sie ein Held?
Ja, denn er ist jung und ambitioniert … In diesem einen Jahr ist so viel passiert in Saudi-Arabien! Die Kinos wurden geöffnet, Frauen dürfen Sport machen und Auto fahren, es gibt die erste weibliche Vize-Bürgermeisterin und die Sprecherin von Saudi-Arabien in den USA ist eine Frau, eine Freundin von mir. Aber das Wichtigste: Die Menschen leben nicht mehr in Angst! Ich habe geweint, als ich von seiner Entscheidung erfahren habe. Ich wünschte nur, meine Mutter hätte es noch erleben können, aber sie ist 2016 gestorben.

Heute leben Sie mit Ihrem jüngeren Sohn in Australien, getrennt von ihrem ersten Sohn. War es das wirklich alles wert?
Manchmal hab‘ ich da meine Zweifel. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich sehr niedergeschlagen bin, aber dann nehme ich all meinen Mut zusammen und kämpfe weiter. Vielleicht wird 2018 das Jahr, in dem meine beiden Söhne einander endlich kennenlernen dürfen.

Ist es Ihnen erlaubt, nach Saudi-Arabien einzureisen?
Ja, ich darf meinen älteren Sohn besuchen. Mein hoher Bekanntheitsgrad schafft einen gewissen Schutz. Aber wie gesagt: Ich persönlich glaube an den Schutz Gottes.

Können Sie vom Aktivismus leben?
Ja, das kann ich. Ich schreibe, blogge und twittere. Manchmal, wie jetzt beim Symposium in Gmunden, verlange ich ein Honorar, das hilft mir, weiter zu arbeiten und unabhängig zu bleiben. Aber meistens trete ich unentgeltlich auf.

Haben Sie das alles auch für Ihre Kinder gemacht?
Wir Frauen sind mit vielen Problemen konfrontiert, aber man darf nicht vergessen, dass die Männer mit den doppelten Problemen zu kämpfen haben, denn sie sind unsere Beschützer, unsere Zeugen vor Gericht, sie müssen mit uns fliegen, wenn wir das Land verlassen. Das ist eine große Last für die Männer und letztlich auch für meine Söhne. Deshalb heißt die neue Bewegung: „I am my own guardian“ – „Ich bin mein eigener Vormund“. Wir fechten die männliche Vormundschaft an.

Wie ist Ihre Vision für die nächsten zwanzig Jahre?
Überlegt keine Sekunde.
- Ich möchte, dass Saudi-Arabien an die Spitze des Global-Gap-Index aufrückt. Momentan sind wir auf Platz 142, nur noch übertroffen von Pakistan, Syrien und Jemen. Wir können das schaffen, es braucht nur politischen Willen. Wir Frauen werden die Standards setzen und alle mit unserer Kraft inspirieren.

AKTIVISTIN UND ZWEIFACHE MUTTER
Geboren am 25. April 1979 in Mekka, Saudi-Arabien. Manal al-Sharif studiert Informatik und arbeitet als eine der ersten Frauen in einem saudischen Ölkonzern gemeinsam mit Männern. 2011 lässt sie sich am Steuer eines Wagens filmen und stellt das Video auf YouTube. Sie wird verhaftet und kommt ins Gefängnis. Nach Morddrohungen muss sie Saudi-Arabien verlassen. Heute lebt die Aktivistin und Mutter zweier Söhne in Sydney, Australien. Ihr Buch „Losfahren – das Erwachen einer saudischen Frau“ wurde zu einer der „Besten zehn Memoiren 2017“ gewählt.

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