„Krone“-Interview

Karzai: „Der IS wechselt jetzt nach Afghanistan!“

Ausland
12.01.2018 06:00

Afghanistan ist seit 40 Jahren blutgetränkter Boden von Kriegen, in die ausländische Mächte verstrickt sind und die große internationale Auswirkungen haben. Nach 9/11 begannen die USA und die NATO dort den Kieg gegen die Taliban - bis heute. Das Jahr 2017 war ein "Erfolgsjahr" für die Taliban - und seit Neuestem meldet sich dort auch der IS mit blutigem Terror.

Hamid Karzai ist der langjährige Präsident (2001 bis 2014) von Afghanistan. Er kam auf Einladung des Präsidenten des "Austria Institute für Europa- und Sicherheitspolitik", Ex-Minister Werner Fasslabend, nach Wien. Im Interview mit "Krone"-Redakteur Kurt Seinitz beantwortet Karzai Fragen nach einem Ausweg aus dem afghanischen Teufelskreis, der auch die Weltpolitik vergiftet.

„Krone“: Herr Präsident, die Taliban „leben“ von ihrer Propaganda, wonach es sich bei den ausländischen Truppen, geführt von den USA, um Invasoren und um Besatzer handle. Sind die Truppen die Ursache des nicht enden wollenden Kriegs oder die einzig mögliche Lösung?
Hamid Karzai: Nach 9/11 hatten die Afghanen die Truppen als Freunde willkommen geheißen, die sie von der Taliban-Herrschaft befreien. Nach ein paar Monaten war Afghanistan befreit. Es kam zu vielen positiven Veränderungen, etwa Schulen, auch für Mädchen. Die Afghanen konnten sich endlich wieder als Eigentümer ihres Landes fühlen.

Der Rückschlag kam aus Pakistan
Das funktionierte einige Jahre gut. Doch dann begann der Rückschlag - und er kam aus Pakistan: Terror, Selbstmordbomber. Die USA ignorierten die Entwicklung beharrlich, obwohl die Taliban von dort mit Waffen versorgt wurden, weil sie Pakistan als einen Alliierten betrachteten. Stattdessen bombardierten sie Afghanistan, und das mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Sie drangen in Häuser ein und zeigten überhaupt wenig Respekt vor der afghanischen Identität. Die Stimmung unter den Menschen schwenkte um. Die Amerikaner machten aus Freunden Gegner.

Die USA hätten also das sogenannte Afghanistan-Problem lieber in Pakistan lösen sollen?
Genau, und das vor 15 Jahren!

Nun setzt US-Präsident Donald Trump Pakistan aber die Daumenschrauben an.
15 Jahre zu spät, aber gut so!

Ist es also auch zu spät, dass die Afghanen wieder Vertrauen in die US-Truppen gewinnen?
Wenn sie Sicherheit bringen, wenn sie nicht einen Krieg mit so vielen zivilen Opfern führen, ist es nicht zu spät. Das Problem ist nicht die Anwesenheit der Truppen, sondern ihr Verhalten. 

Seit Neuestem werden in Afghanistan blutige Terroranschläge verübt, deren sich der IS brüstet. Taucht da eine neue Gefahr auf?
Der IS und Al-Kaida gehören zusammen. Das sind im Gegensatz zu den Taliban keine Afghanen, keine Landsleute. Sie sind total landesfremde Elemente, die von auswärts kommen. Anfangs kamen sie nicht aus Irak und Syrien, wo sie jetzt ihre Gebiete verloren haben, sondern aus Pakistan, wo sie ebenfalls von auswärts eingesickert waren. Nun kommen sie laut den Berichten, die ich höre und lese, auch aus Syrien. Es heißt, sie würden von dort nach Afghanistan ausweichen. Der IS ist eine Gefahr und er muss besiegt werden.

Wenn Sie vorher hingewiesen haben, dass die Taliban Landsleute sind, dann könnte man sich ein politische Vereinbarung mit ihnen vorstellen.
Absolut!

Unter welchen Bedingungen?
Auf der Basis der afghanischen Realität. Also: Wir sind ein tiefgläubiges Land. Wir waren seit 30 Jahren ein Land, dem fremde Ideologien aufgedrängt wurden. Ein Land, das zum Schauplatz des Extremismus gemacht wurde. Wenn ich die Realität des afghanischen Lebens nenne, dann beinhaltet das auch die Errungenschaften in unserem Land, das heißt: kein Kompromiss bei dem Recht der Frauen auf Schule und Bildung, kein Kompromiss beim Recht auf freie Wahlen - also kein Kompromiss bei den fundamentalen Menschenrechten.

Eine Verhandlungslösung müsste letztlich von einer Loya Jirga, der traditionellen großen Landesversammlung der Stämme, abgesegnet werden. Sollte man eine solche einberufen und wäre es überhaupt unter den jetzigen Umständen möglich, eine solche zu organisieren?
Absolut. Die Loya Jirga ist die höchste Legitimität in diesem Land, aber die USA sind gegen eine Einberufung. Sie befürchten, dass die Loya Jirga sie zum Abzug aus Afghanistan auffordert. Aber das würde sie nicht tun. Sie würde sie nur auffordern, sich besser zu verhalten, Gesetze und Traditionen dieses Landes zu respektieren. Die Loya Jirga bündelt durch alle historischen Perioden hindurch die Vernunft der Menschen dieses Landes. Und diese Vernunft würde die USA nicht zum Rückzug auffordern.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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