„Krone“-Interview

Warum ist Weihnachten so wichtig, Herr Bischof?

Österreich
23.12.2017 19:00

8000 Menschen kamen zu seiner Weihe, mehr als zu einem Popkonzert. Deshalb fand die Feier auch nicht in einer Kirche, sondern in der Innsbrucker Olympiahalle statt. Hermann Glettler, Bischof von Tirol, ist der lebende Beweis, dass Kirche bewegen kann. Im großen Interview zum Heiligen Abend spricht der 52-jährige Steirer mit Conny Bischofberger über Glaube, Sehnsucht und Liebe.

Ein schlichtes Besucherzimmer im Bischofssitz am Innsbrucker Domplatz, mitten in der Altstadt. An den Wänden hängen Kreuzweg-Meditationen der Tiroler Künstlerin Patricia Karg, auf dem Tisch flackert eine dicke Kerze. "Ich hatte so ein schönes Erlebnis heute", erzählt Hermann Glettler. Bei der Lebenshilfe hätte die Betreuerin einen Mann gefragt: "Was bedeutet Zufriedenheit für dich?" Der habe nur genickt und gesagt: "Ja! Zufrieden heit!" Er sei zufrieden heute.

Der neue Tiroler Bischof liebt solche Wortspiele. Überhaupt ist er ein sehr fröhlicher, symbolträchtiger Bischof. Sein Bischofsring ist durchlöchert, genauso wie sein Bischofskreuz. "Die Löcher deuten Transparenz an, aber auch Verwundbarkeit", sagt Glettler, der als "Künstlerpfarrer" bekannt wurde und sich immer auch um Menschen am Rande der Gesellschaft gekümmert hat. Den Heiligen Abend wird der Bischof mit Drogensüchtigen und Obdachlosen verbringen und später in einer Dorfkirche im Stubaital die Mette feiern.

"Krone": Bevorzugen Sie "Exzellenz" oder "Herr Bischof" als Anrede?
Hermann Glettler:Lacht. - Herr Bischof ist mir lieber.

Herr Bischof, für die Weihe statt einer Kirche die Olympiahalle zu wählen war ja sehr ambitioniert. Was hat Sie eigentlich so sicher gemacht, dass die auch halbwegs voll werden würde?
Im Dom hätte es nur 750 Plätze gegeben, aber wir wollten einen Ort, wo ganz viele Menschen mitfeiern können, nicht nur ein ausgewählter Kreis. Ob das 2000 werden oder knapp 8000, wussten wir natürlich nicht, das war schon ein sehr schönes, positives Echo.

Sie untertreiben. Das sind mehr als zu manchem Popstar pilgern und auch 3000 mehr, als gegen die türkis-blaue Regierung demonstriert haben. Warum?
Die Kirche in Tirol mit ihrer uralten Geschichte hat einen großen Rückhalt in der Bevölkerung, sie ist trotz aller Schwierigkeiten eine sehr lebendige Kirche. In den Pfarren sind Zigtausende Menschen aktiv. Aber was mich besonders gefreut hat: Zur Bischofsweihe sind auch Leute gekommen, die mit der Kirche gar nicht so viel zu tun haben. Sie haben sich wahrscheinlich gedacht: Das schau ich mir an, da gehöre ich jetzt auch einmal dazu.

Den Popstar und die Anti-Regierungs-Demonstration haben Sie jetzt elegant unter den Tisch fallen lassen …
Na ja, Popstar bin ich keiner. Und die Demonstration zur Angelobung der neuen Regierung will ich nicht kommentieren. Die vielen Menschen in der Olympiahalle haben ein Fest des Glaubens gefeiert. Ich glaube, der große Zuspruch war ein Beweis dafür, dass Kirche etwas bewegen kann. Und mit ihrer Botschaft auf die Sehnsucht ganz vieler Menschen antwortet.

Was ist das für eine Sehnsucht?
Die Sehnsucht, in der Unruhe unserer Zeit und in der Anonymität der Gesellschaft persönlich empfangen zu werden, ankommen zu können und mit allem, was man mitbringt, sein zu dürfen. Diese Ursehnsucht kommt zu Weihnachten ganz stark zum Ausdruck. Ich möchte fast sagen, es ist ein Heimweh nach Gott, ohne das jetzt zu übertreiben oder Menschen zu vereinnahmen, die keinen Glauben haben.

Was ist die Botschaft an sie?
Gott hat ein leidenschaftliches Interesse für alle Menschen. Er hat uns mit Jesus "sein Herzstück" in die Krippe gelegt. Das ist Weihnachten. Die Feier der Gottesdienste gibt eine Ahnung, dass der Himmel nicht mehr verschlossen ist. Seit Betlehem wissen wir, dass uns letztlich kein blindes Schicksal regiert, auch wenn das Leben sehr hart sein kann. In vielem bleibt die Frage: Warum lohnt es sich, auf dieser Welt zu sein? Die Antwort des Evangeliums lautet: Wir sind auf dieser Welt, um unser Herz zu verbrauchen.

Sie sind bei der Weihe mit einem modernen Bischofsstab aufgefallen. Der "Standard" schrieb von einem Stab mit Discokugel und Gewürzmühle. Was sollte das?
Das ist keine Disco-Kugel, sondern ein mit Bruchstücken von Spiegeln verkleideter Knauf. Der Knauf ist wie beim Kelch immer das Symbol für die Welt. Gerade durch die Ecken und Kanten kommt es zu einer faszinierenden Vielfalt von Reflexionen. Das Schöne liegt also nicht in der Perfektion. Ein starkes Bild für die Brüche in menschlichen Biographien. Auch das Leid kann verwandelt werden. Und die Pfeffermühle hat mein Freund, der Künstler Gustav Troger, als Hinweis auf die nötige Lebenswürze installiert. Wenn wir zu träge werden, braucht es die "Geh-Würze"!

Gab es einen Moment während der Bischofweihe, wo ein paar Tränen geflossen sind?
Tränen nicht, aber es waren bewegende, dichte Momente. Als mir die Bischöfe die Hand aufgelegt haben, dachte ich, jetzt kann ich nur hoffen, dass möglichst viel Geist und Courage da in mein Hirn hineinfließt. – Tätschelt sich mit beiden Händen den Kopf und lacht.

Ihr Wahlspruch stammt aus dem Matthäus-Evangelium: "Geht, heilt und verkündet." Wie heißt denn da die Krankheit?
Am meisten Heilung braucht die Seele des Menschen. Auch wenn man zuerst meist an die physischen Leiden denkt. An der Zerbrechlichkeit des Körpers spüren wir, dass unser Leben ein Geschenk ist. Heutzutage gilt Krankheit oft als furchtbare Niederlage, weil wir in allen Bereichen auf Erfolg getrimmt sind. Es braucht Heilung, nämlich Befreiung vom Stress, immer funktionieren zu müssen.

Die beschäftigt eine ganze gewinnbringende Industrie.
Ja, aber die wichtigste Heilung ist dennoch die Versöhnung. Jesus sagt zum Gelähmten: "Steh auf, nimm deine Bahre und geh!" Es geht um die Lähmung des Herzens. Wir verabsäumen es, den inneren Mistkübel auszuleeren. Das sind jetzt viele Bilder und Metaphern, aber sie zeigen das Problem.

Wie leert man den inneren Mistkübel?
Dafür gibt es das großartige Sakrament der Beichte, die leider ein unglaublich armseliges Dasein fristet. Trotzdem wird es von einigen wiederentdeckt, auch von jungen Leuten. Zulange war es auf das Sünden-Aufsagen fixiert. Der Beichtstuhl ist ein Ort der totalen Vertrautheit, wo sich der Mensch ganz öffnen, sein Herz ausschütten kann. Ein Schutzraum der Versöhnung und des Zuspruchs: Du bist entlastet. Du kannst neu beginnen. Gott ist die unendliche Quelle von Barmherzigkeit und Zuspruch.

Herr Bischof, Sie sind als Steirer nach Tirol gekommen. Vermissen Sie noch manchmal Ihre Schäfchen?
Die Schäfchen vermisse ich nicht, aber die Menschen – Lacht. – Aber Sie haben schon Recht. Jeder will ein bisschen Chef sein, insofern hatte ich viele "Chefchen".

Sie haben in Graz eine sehr bunte Pfarre geleitet und sich selbst als Migrant bezeichnet. Warum?
Ich habe gesagt, ich habe einen innerösterreichischen Migrationshintergrund. Diese humorvolle Anspielung verweist aber auch auf viele Menschen, die einen tragischen Migrationshintergrund haben. Oftmals, wie wir wissen, eine bittere Realität.

Die Furcht vieler Menschen ist, dass der Islam irgendwann Europa erobern könnte. Wie soll die Kirche damit umgehen?
Kategorien von Eroberung und Verteidigung sind mir fremd, das führt uns auch nicht zu einer Allianz für die Zukunft, die wir neu schmieden müssen. Wichtig ist, wie wir als Menschen miteinander leben, Christen mit Muslimen und umgekehrt. Den Islam insgesamt zu bewerten ist sehr schwierig. Es gibt Ausprägungen des Islam, die mir wirklich Angst machen, aber die Mehrheit der Muslime sind einfache Gläubige, die in der Fremde in ihrer Religion Halt finden. Ich bin mit vielen befreundet. Extreme Sorgen bereitet der politisierte Islam. Da ist höchste Aufmerksamkeit geboten. Aber jeder Mensch sollte überall auf der Welt seinen Glauben bekennen und frei ausüben dürfen.

Wie erklären Sie sich, abgesehen von Terror, die Feindseligkeit, die den Muslimen oft entgegenschlägt?
Uns aufgeklärten Westeuropäern ist fremd, dass Religion so eine Bedeutung haben kann. Vielleicht kommt einiges an dieser emotionalen Abwehrhaltung auch daher, dass man sich selbst in Frage gestellt fühlt. Die innere Leere macht Angst.

Und was schließen Sie daraus?
Der wichtigste Anstoß wäre, sich zu fragen: Was sind meine Wurzeln? Was trägt mich und wofür will ich leben? Wie könnte ich meinen eigenen Glauben wiederbeleben? Was hindert uns daran, die Heilige Schrift aus dem Regal zu nehmen, sie abzustauben und zu lesen?

Der Islam als Inspiration für den christlichen Glauben?
Ja. Ich habe das auch in Schulen erlebt. Wo viele muslimische Schüler waren, ist der Religionsunterricht plötzlich auch für die christlichen Schüler wieder interessanter geworden. Die Frage wird sein: Sind wir wirklich fit, einander zu akzeptieren, auch mit unseren unterschiedlichen Überzeugungen? In einer falsch verstandenen Aufklärung weist man einen guten, gesunden Glauben oft bei der Tür hinaus, und dann kommt der Aberglaube beim Fenster herein. Plötzlich sind Leute bereit, Dinge zu glauben, die haarsträubend sind.

Sie haben von einer Allianz gesprochen, die Christen mit Muslimen schmieden müssen. Die Regierung sieht zahlreiche Verschärfungen vor, auch was Asylwerber betrifft. Ihnen sollen künftig Handys und Geld abgenommen werden. Wie finden Sie das?
Ich muss das Regierungsprogramm, was den Sozial- und Integrationsbereich betrifft, noch genauer studieren. Aber wenn das mit der Abnahme von Handys und Geld stimmt, dann ist das eine wirkliche Beleidung von Menschen, ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Das Geld ist meist mühsam Erspartes, das nach der beschwerlichen Flucht vielleicht noch übrig ist. Das Handy ist der Speicher von allem, was den Leuten wichtig ist, ihr Kommunikationstool. Es abzunehmen heißt, den Flüchtling aus einem Kommunikationsnetz herauszureißen.

Wenn Sie der neuen Regierung einen Leitsatz mitgeben könnten, wie würde der lauten?
Volle Unterstützung für den Gestaltungswillen angesichts drängender Reformen, aber zugleich die Bitte um Ausgewogenheit und Fairness in allen sozialen Maßnahmen. Die soziale Kälte darf nicht salonfähig werden! Schwächere Mitglieder unserer Gesellschaft dürfen nicht einer öffentlichen Aggression ausgesetzt werden. In der Planung kirchlicher Initiativen versuchen wir, uns von folgenden drei Fragen leiten zu lassen. Erstens: Stimmt das Vorhaben mit dem Evangelium überein? Zweitens: Was haben die Armen davon? Drittens: Was bringt es dem normalen Menschen in der Entwicklung seiner Persönlichkeit?

Muss sich die Kirche einmischen, wenn Politiker den Pfad der Menschenwürde verlassen?
Ja. Die Kirche ist ja nicht für eine Sonderwelt oder für ein höheres Stockwerk verantwortlich. Die Kirche muss sich in den Grundsatzfragen immer zu Wort melden. Die gute Trennung von Staat und Kirche heißt nicht Beziehungslosigkeit, sondern ganz im Gegenteil. Gute Kooperationen sind notwendig, ohne jene auszuschließen, die kein Glaubensbekenntnis haben.

Herr Bischof, heute ist Heiliger Abend. Was verbinden Sie damit?
Natürlich die Geschenke! - Lacht - Ich meine vor allem, dass man sich mit Nähe beschenken lässt. Von Menschen, die einen annehmen im Wissen, dass wir alle keine perfekten Wesen sind. Und dass man sich von Gott mit Frieden beschenken lässt. Jesus selbst ist das Weihnachtsgeschenk Gottes. Er ist nicht das idyllische Christkinderl, dessen Geburtstag wir heute feiern, sondern die wichtigste Person der Weltgeschichte. Wer ihm begegnet, ist beschenkt und kann diese Weihnachtsfreude mit anderen teilen.

Warum ist Weihnachten so wichtig?
Weihnachten stillt eine Sehnsucht, die wir ganz tief in uns tragen: Als Mensch wertgeschätzt zu werden und auf diesem Planten nicht verloren zu sein. Weihnachten heißt, sich von Gott in dieser wunderschönen, aber auch unruhigen Zeit umarmen zu lassen.

Gibt es eine prägende Erinnerung an das Weihnachtsfest Ihrer Kindheit?
Ich bin auf einem Bergbauernhof aufgewachsen. Ich sehe ich immer noch das weite Tal und die umliegenden Berge. Mein Vater war ein sehr fröhlicher Mensch. Wenn er die Haustür aufgemacht hat, dann hat er erst einmal hinausgejodelt. Weihnachten ging man mit Weihrauch und Weihwasser durch das Haus und den Stall, um Gottes Segen zu erbitten. Das ist der weihnachtliche Duft und Klang meiner Kindheit: Der Weihrauch und die Fröhlichkeit.

EIN STEIRER ALS OBERHIRTE VON TIROL
Geboren am 8. Jänner 1965 in Übelbach, Steiermark. Bei einer Maturareise nach Südfrankreich lernte er die Gemeinschaft Emmanuel kennen, der er seit 1987 angehört. Studium der Theologie und Kunstgeschichte. Priesterweihe 1991. Glettler begann als Kaplan im obersteirischen Judenburg und arbeitet bis heute auch als Künstler. Zuletzt war er Pfarrer im multikulturellen Grazer Bezirk Gries und Bischofsvikar in der Diözese Graz-Seckau. Am 2. Dezember 2017 wurde Hermann Glettler zum Bischof der Diözese Innsbruck geweiht.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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